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Schieben und Zerren am Beton

Bauen. - Vor etwa 6 Monaten, am 23. Mai, stürzte ein Teil der imposanten Halle des Pariser Flughafens ein. In Berlin entsteht gerade eine ähnlich große Konstruktion: der neue Hauptbahnhof. Auch wenn er ganz anders aufgebaut ist, auch hier können sich die einzelne Teile des Bauwerks gegeneinander verschieben und so die Stabilität gefährden. Forschung Aktuell hat den Rohbau besichtigt und Wissenschaftler befragt, wie sie die Probleme unter Kontrolle bringen wollen.

Von Michael Fuhs |
    Die Berliner S-Bahn hält inmitten einer der größten Baustellen Europas: im neuen Hauptbahnhof. Das 180 Meter lange und 16 Meter hohe Glasdach wölbt sich bereits über die Bahnsteige, die auf dem etwa 25 Meter hohen Bahnhofsrohbau liegen. Ohne zu halten fahren dort heute schon die Züge, die die Stadt in Ost West Richtung durchqueren. Eine Herausforderung an die Statiker, denn die Bahnstrecke ist auf Brücken geführt. Michael Baufeld von der Deutschen Bahn:

    Das ist ja insgesamt ein kilometerlanger Brückenzug, den wir hier haben, der aus 64 Einzelteilen besteht. Und wir wollen sicher stellen, dass der Bahnverkehr hier nicht gefährdet wird, dass sich diese Brücken nicht mehr bewegen, als ein Bierdeckel dick ist.

    Und das, obwohl sie in den märkischen Sand gebaut sind. Ein diffiziler Untergrund, denn das Grundwasser steht hoch und flutet die Baugruben. Dadurch bewegt sich der Boden. Um den Eingriff gering zu halten, wird Stück für Stück gebaut.

    Bevor das Glasdach gebaut wurde, sind die Brücken weniger belastet gewesen, dann wurde das Glasdach gebaut, kurz danach wurde der alte S-Bahnhof, der unmittelbar benachbart gelegen hat, abgerissen. Das heißt, der gesamte Bodendruck wurde geringer und man hat mit Aufwärtsbewegung des Bodens gerechnet.

    Wolfgang Habel von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung hat deshalb Sensoren entwickelt und getestet, die die Bewegungen im Bauwerk registrieren. Er geht an den Rand des Bahnsteigs. An einer Stelle klafft noch eine Lücke im Glasdach. Dort schützt ein Geländer vor dem herunter fallen.

    Sie sehen direkt unter dem Geländer unten montiert die Sendeeinrichtung. Hier wird ein Laserstrahl ausgesendet, und etwas weiter außen liegend sind die Empfänger.

    Wenn sich der Sender bewegt, streicht der Strahl auf dem Empfänger entlang. Einmal hat er registriert, dass sich der Sender einige Millimeter nach oben bewegt hat, so viel, dass die Statiker nachgerechnet haben, ob die Stützpfeiler der Brücke nachjustiert werden müssen. Die Höhenverschiebung über einen größeren Bereich wird mit einem anderen System kontrolliert.

    Neben den Gleisen, hier, dieser abgedeckte Bereich, ist ja die gesamte Trassenführung für alle Kabel, aber auch für die Messsysteme, hier versteckt sind die hydrostatischen Schlauchwaagen.

    Das Prinzip: Zwei Töpfe, mit Wasser gefüllt und über einen Schlauch verbunden.
    Wenn die Töpfe gleich hoch sind, haben sie den gleichen Wasserstand.
    Verschieben sie sich gegeneinander, fließt Wasser von dem einen Topf in den anderen. Die Pegel sind dann unterschiedlich. Wolfgang Habel misst so Verschiebungen, die kleiner als ein halber Millimeter sind.

    Wir gehen um den Bahnhofsrohbau herum, zum Eingang der Baustelle. Unter den Bahnsteigen, eingelassen in den Beton, sind etwa halbmeterlange, handbreite hell verputze Stellen sichtbar. Darunter verbergen sich Sensoren aus Glasfasern. Je nach Dehnung, benötigt das Licht unterschiedlich lange, um hindurchzukommen.

    Die Lichtwellenleiterfaser ist an zwei Punkten fixiert und wenn sich das Bauwerk dehnt, wird die Lichtwellenleiterfaser verlängert, einfach genauso gedehnt, wie das Bauwerk sich dehnt. Wir können deutliche Unterschiede im Verformungsverhalten sehen, wenn die Sonne drauf scheint, oder wenn es Nacht ist und die Brücken sich verkürzen durch Kontraktion.

    Zusätzlich zu Höhenverschiebung und Dehnung messen die Wissenschaftler die Temperatur und die Neigung. Ursprünglich sollte ein Teil der sichtbaren Sensoren nach Abschluss der Bauarbeiten entfernt werden. Doch Wolfgang Habel denkt, dass das keinen Sinn macht.

    Denn auch die Langzeitstabilität kann damit untersucht werden. Und das ist wichtig, um Einstürze zu verhindern und einzugreifen, bevor Schäden sichtbar werden.
    Beton giessen im Tauchgang. Froschmänner fertigen unter Wasser die Sohle der Baugrube Berlin Hauptbahnhof Lehrter Bahnhof. Hier stand einst das alte Gebäude des Lehrter Stadtbahnhofs
    Froschmänner fertigen unter Wasser die Sohle der Baugrube des Berlin Hauptbahnhofs (DB AG/Schmid)