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Schiefergas in Deutschland

Ein Großteil des in Deutschland genutzten Erdgases wird importiert. Dabei könnte es vielleicht kürzere Wege geben: In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen werden riesige Schiefergaslagerstätten vermutet. Eine Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe nennt nun erstmals Zahlen zum Gasvorkommen.

Wissenschaftsjournalist Ralf Krauter im Gespräch mit Jochen Steiner | 26.06.2012
    Jochen Steiner: Erdgas aus Deutschland - das klingt vielleicht etwas ungewohnt. Aber im dichten Tonschiefergestein unter Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen werden riesige Erdgaslagerstätten vermutet. Dieses Erdgas könnte Deutschland unabhängiger von Gasimporten aus Russland machen. Doch die Anwohner protestieren gegen die Erkundungsbohrungen – aus Angst vor Umweltrisiken beim sogenannten Fracking. Die Politik gab Gutachten in Auftrag, die die Chancen und Risiken der Förderung des Erdgases auf Schiefergestein ausloten sollen Eine aktuelle Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR, nennt nun erstmals Zahlen zum Gasvorkommen. Frage an meinen Kollegen Ralf Krauter, der das Thema für uns verfolgt: Zu welchem Schluss kommen denn jetzt die Experten der BGR?

    Ralf Krauter: Herr Steiner, zu einem etwas optimistischeren als ihre Kollegen noch vor ein paar Monaten. Die Deutsche Rohstoffagentur DERA hatte im Dezember 2011 eine Kurzstudie publiziert. Da stand drin, dass es in Deutschland Schiefergasvorräte von 227 Milliarden Kubikmetern gibt. Die aktuelle BGR-Studie jetzt legt da deutlich noch einen drauf. In dem 47-seitigen Papier steht: Die Schiefergasvorkommen in Deutschland betragen circa 13 Billionen Kubikmeter. Das ist also über 50 Mal mehr als in der gerade erwähnten früheren Schätzung. Wenn man jetzt mal vorsichtig geschätzt davon ausgeht, dass man zehn Prozent von diesen 13 Billionen Kubikmetern technisch fördern könnte, dann heißt das im Klartext, dass diese Schiefergasressourcen, die im Boden schlummer, zehn mal Größer sind als alle konventionellen Gasressourcen Deutschlands zusammen.

    Steiner: Das klingt ja nach ganz schön viel.

    Krauter: Wie man's nimmt. Also der Verbrauch der Deutschen: 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas brauchen wir jedes Jahr. Das heißt, das komplett förderbare Schiefergas - 1,3 Billionen Kubikmeter, von denen ich gerade sprach, würde uns gerade mal 13 Jahre lang reichen. Also große Sprünge können wir da nicht machen. Von einem Rohstoffrausch, wie es sich zum Beispiel seit ein paar Jahren in den USA abspielt, kann keine Rede sein. Dafür sind die Ressourcen zu gering. Aber wenn man eben dieses Schiefergas im großen Stil fördern würde, könnte es über viele Jahre helfen, die sinkenden Erträge heutiger Gasblasen in Deutschland zu kompensieren. Denn die pfeifen, plastisch gesagt, zum Teil schon auf dem letzten Loch. Aktuell decken wir rund 13 Prozent des Gasverbrauchs aus heimischer Förderung, vor allem in Niedersachsen. Und wenn das so bleiben soll, und wir künftig nicht noch mehr importieren wollen, führt an Schiefergas eigentlich kein Weg vorbei.

    Steiner: Wie belastbar sind denn jetzt diese neuen Zahlen zum Schiefergaspotenzial?

    Krauter: Die Experten machen natürlich keinen Hehl daraus, dass es da schon noch beträchtliche Unsicherheiten gibt. Die genannte Zahl - 1,3 Billionen Kubikmeter, die technisch förderbar sein könnten - ist das Ergebnis einer komplexen Berechnung. Sie ist auch nur ein Mittelwert. Und die Fehlerbalken dieser komplizierten Berechnung sind durchaus nicht klein. Sie sind so groß, dass es auch doppelt so viel sein könnte oder nur halb so viel. Also von 0,7 bis 2,3 Billionen Kubikmetern ist laut dieser BGR-Studie derzeit noch alles drin. Die Unsicherheiten kommen eben dadurch zustande, dass man viele Parameter, die in diese Berechnung einfließen, kann nicht so genau bestimmen kann. Man weiß zwar ziemlich genau, wo die interessanten Gesteinsschichten liegen - also zum Beispiel interessiert man sich für die 350 Millionen Jahre alten Tonschiefer des Unterkarbon im Norddeutschen Becken, so 500 bis 1000 Meter tief dort. Aber man weiß zum Teil gar nicht genau, wie dick diese Schichten eigentlich sind. Und das macht es natürlich schwer zu berechnen, wie viel Erdgas man da raus holen könnte. Generell kann man aber sagen, dass diese aktuelle Studie, die bis dato genaueste ist. Sie basiert auf deutlich feinmaschigeren geologischen Daten als alle Vorläuferstudien, die bislang zum Thema publiziert wurden.

    Steiner: Wann könnte es denn mit der Förderung losgehen?

    Krauter: Das wird noch dauern, würde ich sagen. Aber genau weiß es natürlich keiner. Aber warum wird es noch dauern? Zum einen gab's bislang ja nur eine Hand voll Erkundungsbohrungen. Selbst die liegen derzeit auf Eis. Förderbohrungen wurden in Deutschland überhaupt noch nicht genehmigt. Ob es dazu kommen könnte und unter welchen Auflagen, hängt jetzt von der Politik ab. Die Gretchenfrage ist ja letztlich: Kann man Schiefergas fördern, ohne das Trinkwasser zu gefährden? Daran scheiden sich die Geister. Um an das Schiefergas ranzukommen, muss man ja das schwarze, feste Gestein, in dem es sitzt, hydraulisch aufsprengen - Fracking heißt das -, man presst mit Chemikalien versetztes Wasser in die Tiefe, um Risse, Wegbarkeiten zu erzeugen, durch die das Gas strömen kann. Aus den USA weiß man: Wenn man dabei pfuscht, kann das Trinkwasser verschmutzt werden. Wie groß das Risiko tatsächlich ist und wie man es minimieren kann, das ist der Stoff zweier Gutachten, die der Bundesumweltminister und die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegeben haben. Mit Ergebnissen ist noch in diesem Sommer zu rechnen, heißt es. Und die dürften dann ausschlaggebend sein, wie die weitere Marschrichtung aussieht. Also die BGR glaubt, wenn man das Fracking richtig macht, ist das Risiko akzeptabel und tolerierbar. Umweltschützer sehen das anders. Bis man sich einig wird, kann es noch dauern. Meine Prognose ist: in den nächsten fünf Jahren wird in Deutschland kein Schiefergas gefördert.