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Schienenfahrzeuge
Die Bahndoktoren aus Hattingen

Lokomotiven sehr alt werden, doch auch sie müssen gelegentlich zur Reparatur. Dann kommen Firmen wie die Westfälische Lokomotiv-Fabrik Reusching in Hattingen ins SPiel. Gegründet wurde das das Unternehmen bereits 1814. Heute ist es über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. Und das nicht nur bei der DB und Co.

Von Klaus Deuse |
    In diese Güterzuglok installiert die Lokomotivfabrik Reuschling ein Zugsicherungssystem installiert
    In diese Güterzuglok installiert die Lokomotivfabrik Reuschling ein Zugsicherungssystem installiert (Lokomotivfabrik Reuschling)
    "Wir sehen hier eine V 200 um die 1960er-Jahre. Diese Maschine wurde schon mal bei uns wieder instand gesetzt. Im Original werden hiermit also Aluminiumzüge entlang des Rheines gefahren."
    Lokomotiven, nicht nur die legendäre Diesellok V 200, haben eine Lebensdauer von 50 Jahren und mehr, sagt Diplom-Ingenieur Udo Pinders, der bei der Westfälischen Lokomotiv-Fabrik Reuschling in Hattingen für den technischen Bereich zuständig ist.
    Das traditionsreiche Unternehmen, das 1914 gegründet wurde, hat sich darum früh auf die Instandsetzung und Modernisierung von Schienenfahrzeugen aller Art spezialisiert. Insbesondere für Lokomotiven mit Dieselantrieb und für Elektro-Lokomotiven. Über einen eigenen Gleisanschluss rollen die Fahrzeuge vom unweit gelegenen Bahnhof in die weitläufigen, über 100 Meter langen Hallen. Hier führen Gleisstränge im Boden zu den Arbeitsbereichen, rollen die Lokomotiven im Schritttempo über tiefe Arbeitsgruben und kommen zum Stillstand.
    Ob zur Hauptuntersuchung oder zur Aufarbeitung der Radsätze. Zum Kerngeschäft, erläutert Geschäftsführer Walter Schreiber, gehört mittlerweile der Neuaufbau von Lokomotiven und Waggons:
    "Wir nehmen alte Fahrzeuge, die vielleicht 20, 30 Jahre alt sind. Nehmen nur das Rahmenteil mit den Radsätzen und bauen alles komplett nach neuestem Stand der Technik auf. Was auch für den Kunden den Riesenvorteil hat, weil er etwa 60 bis 70 Prozent nur vom Neupreis zahlen muss."
    Mehr als Eisenbahn-Reparateure.
    Obwohl die Deutsche Bahn über eigene Werkstätten verfügt, gehört auch sie zu den Kunden der Fachwerkstatt. Bei Triebfahrzeugen der Deutschen Bahn, die im Personennahverkehr eingesetzt werden, gehören der Austausch von Drehgestellen und die Instandsetzung von Bremsanlagen für die Monteure bei Reuschling zur Routine. Aber auch etliche andere Unternehmen, bei deren Produkten man nicht unbedingt mit Bahnverkehr rechnet, lassen Schienenfahrzeuge in Hattingen aufarbeiten.
    Udo Pinders nennt Beispiele:
    "Das sind ganz bekannte Unternehmen wie Opel, wie VW, wie Mercedes, Audi, die auf ihren Werksgeländen eigene Lokomotiven einsetzen zur Verfuhr ihrer Fahrzeuge, die hergestellt werden.
    Das sind andere Anschlussbahnen wie in Chemieparks bei Bayer und so weiter, die ebenfalls solche Fahrzeuge benötigen, um Rangierarbeiten und Zubringerdienste zu Bahnhöfen zu leisten."
    Damit eine Güterzuglok bei einer Zuglast von einigen tausend Tonnen auf der Schiene nicht schlapp macht, führt Frank Fessel an dem 800-PS-starken Dieselaggregat eine Generalüberholung durch:
    "Zylinderköpfe werden abgebaut, Achsen, Kurbelwellen ausgebaut, Schwingungsdämpfer abgebaut. Also wird komplett und grundzerlegt, dann wird kontrolliert, überprüft, gemessen und dann wird er wieder zusammengebaut."
    Bis zum Wiedereinbau in die Lok veranschlagt Frank Fessel rund sechs Wochen. In einem anderen Bereich der großflächigen Halle vermessen Mitarbeiter den Planlauf eines Radsatzes. Oder wie es Udo Pinders erklärt:
    "Auf gut Deutsch gesagt dürfen die Räder nicht eiern oder wackeln, weil sie dann zu unsicherem Fahrverhalten führen. Und hier wird mit der Messung eben aufgenommen, ob ein Seitenschlag des Radsatzes vorliegt. Und insofern einer vorliegt, wird nachgedreht, sodass nach der Instandsetzung der Radsatz auch wieder einen ordentlichen Gleichlauf hat."
    Wachsende Nachfrage
    Der Großteil der Aufträge aus dem In- und Ausland entfällt mittlerweile auf schwere Güterzuglokomotiven. Reuschling fährt gut mit den angebotenen Leistungen rund um die Eisenbahn. Denn der Transportbedarf auf der Schiene, so Geschäftsführer Walter Schreiber, wächst beständig. Nicht nur in Deutschland:
    "Weil die Bahn hat schon Zukunft. Die Eisenbahn ist ja europäisch vernetzt und überbrückt große Strecken. Wir sind gewachsen von 2004 mit etwa 55 Mitarbeitern und vier bis viereinhalb Millionen Umsatz auf heute mit etwa 120 Mitarbeitern und gut 14 Millionen Umsatz."
    Tendenz steigend. Schließlich geht es im Grenzen überschreitenden europäischen Schienennetzverkehr zunehmend um die Ausrüstung mit neuen technischen Sicherungssystemen. Am Beispiel einer über 20 Meter langen Güterzugmaschine mit mehreren Hundert PS, die über einer Arbeitsgrube steht, erläutert Udo Pinders, was die Techniker installieren:
    "Hier läuft ein neues Projekt aus dem Bereich Benelux/Europa. Die Aufrüstung mit einem ETCS-System im Cargobereich für Class 66 Fahrzeuge. Das ist ein neues Zugsicherungssystem. In der Regel haben Sie nationale Systeme, die nicht über Grenzen betrieben werden können. Das ETCS-System sorgt dafür, dass Sie praktisch über die Grenze hinweg fahren können."
    Ein Arbeitsprozess, der sich einschließlich einer Serie von Funktionsprüfungen über Wochen erstreckt, bis die Lok wieder auf die Schiene gesetzt und an den Betreiber ausgeliefert wird.
    Für den Fall, dass der Auftraggeber keinen eigenen Lokführer zur Abholung schicken kann, merkt Walter Schreiber an, dann "sind wir bereit, dem Kunden diese Dienstleistung anzubieten, weil wir einfach ein paar Leute haben, die diese Führerscheinvorausetzung haben."