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Schiffsschaukel im Windkanal

Die Rümpfe moderner Schiffe sind deutlich strömungsgünstiger als früher und sparen Treibstoff und CO2-Emissionen. Die Kehrseite: Jene Schiffe neigen eher zum Umherschaukeln bei Seegang. Um künftig besser beurteilen zu können, wann ein Schiffsrumpf womöglich zu unsicher ist, haben Hamburger Experten einen neuartigen Simulator in Betrieb genommen.

Von Frank Grotelüschen |
    Der Windkanal der TU Hamburg-Harburg. Über 40 Meter lang und fünf Meter breit und hoch – ein respektables Exemplar. Gerade laufen die letzten Vorbereitungen für einen Versuch. Die Ingenieure wollen ein Schiffsmodell testen. Ein Schiff im Windkanal – das klingt paradox. Doch unter bestimmten Bedingungen zeigen Luft und Wasser ähnliche Strömungseffekte. Und Luft hat gegenüber Wasser einen großen Vorteil:

    "In Luft kann man das preiswerter bestimmen. Die Modelle müssen nicht wasserdicht sein",

    sagt Professor Moustafa Abdel-Maksoud vom Institut für Fluiddynamik und Schiffstheorie. Und weil das Schiffsmodell nicht schwimmt, wird es von acht Seilen in der Luft gehalten. Eine Schiffsschaukel im wahrsten Sinne des Wortes.

    "Zum Beispiel können wir das Schiff komplett quer bewegen, oder vertikal, oder um eine Achse drehen. Und damit können wir die Bewegung des Schiffes im Seegang simulieren."

    Aber: Wie ein Schiffsmodell sieht das fünf Meter lange Gebilde nicht gerade aus, eher wie ein Torpedo oder ein Flugzeugrumpf. Der Grund:

    "Meistens untersuchen wir nur die Kräfte, die im Unterwasserbereich auf das Schiff wirken. Deswegen betrachten wir nur die Hälfte des Schiffes."

    Und das bedeutet: Das, was für gewöhnlich aus dem Wasser ragt – Aufbauten, Brücke, Schornsteine – fällt flach. Dafür ist der Rumpf des Schiffes gleich doppelt vorhanden: einmal unten wie gewohnt, das zweite Mal aber nach oben geklappt wie eine Sandwich-Hälfte.

    "Das Schiff wird genau auf der Höhe der Wasserlinie gespiegelt. Und wir haben zwei Schiffsrümpfe, die aufeinander geklebt werden."

    1 zu 60, so der Maßstab. Das Modell eines 300 Meter langen Frachters. Jetzt zeigt Abdel-Maksoud auf die acht Seile, die das Modell in der Luft halten.
    "Diese acht Stellen bewegen sich hin und her."

    Jedes der Seile kann durch einen Motor extrem präzise ausgelenkt werden. Dadurch können die Ingenieure das Schiffsmodell gezielt zum Hin- und Herschwenken bringen – von vorne nach hinten, von links nach rechts, oder beides zusammen. Kommt dann die Strömung des Windkanals dazu, lässt sich die Bewegung eines Schiffs auf hoher See erstaunlich genau simulieren.

    Das Gebläse des Windkanals setzt sich in Bewegung. Erst nur ein laues Zischen, doch bald weht eine ordentliche Brise durch den Kanal. Windgeschwindigkeit: knapp zehn Meter pro Sekunde. Machbar sind 35.

    "Wenn es richtig schnell wird, kann man hier kaum stehen. Dann muss man mit einer Sicherung an der Decke angebunden werden. Sonst fliegt man weg."

    Der Wind bläst, und dann bringen die Experten jene acht Seile in Gang, an denen das Modell hängt. Gefährlich wankt es auf und ab, fast einen halben Meter hoch. In Originalgröße entspräche das der Fahrt durch 20-Meter-Wellen – ein ausgewachsener Sturm. Sensoren, zu Dutzenden im Schiffsmodell montiert, messen, wie stark der Rumpf belastet wird, welche Kräfte an Ruder und Propeller zerren – und wie heftig das Schiff im simulierten Seegang von links nach rechts rollt.

    "Man hat festgestellt bei manchen neuen Schiffsformen, dass die Schiffe zu starken Rollbewegungen neigen. Das Schiff schaukelt stark. Das kann dazu führen, dass Container verloren gehen."

    Damit geht nicht nur wertvolle Fracht verloren, sondern die Container treiben zum Teil tagelang auf See – eine Gefahr für andere Schiffe. Um das zu verhindern, wollen die Hamburger Experten die Rumpfformen der Schiffe mit ihrem neuen Simulator testen. Und erweist sich ein Rumpf als zu anfällig, sollten ihn die Konstrukteure besser noch mal überarbeiten.