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Schiller-Doppel am Nationaltheater Weimar

Gestern Abend hatte in Weimar Schillers "Maria Stuart" Premiere. Gemeinsam mit einer "Räuber"-Performance bildete sie einen Schwerpunkt im zu Ende gehenden Schiller-Jahr. Also einmal Schiller vor und einmal Schiller nach der Französischen Revolution.

Von Hartmut Krug | 06.11.2005
    Das Deutsche Nationaltheater Weimar hat seine Aktivitäten zum Schillerjahr unter dem Motto "Zeitgenosse Schiller!" zusammen gefaßt, so zur Voraussetzung der Arbeit mit und an Schiller eine Behauptung setzend, die sonst durchs Schillerjahr nur als skeptische Frage geisterte. Bei der Internationalen Schillerkonferenz, die das Weimarer Theater und der Bauhaus-Universität gemeinsam veranstalteten, wurde unter Themen wie "Die Macht der Ästhetik", "Der Kampf ums Symbolische" und "Eine Begegnung mit dem Realen" zwar mächtig theoretisiert und abstrahiert, doch zum vierten Thema "Perspektiven auf die Praxis" eher wenig praktisch-konkretes gesagt. Indem man keinerlei Theaterpraktiker dazu gebeten hatte und noch nicht einmal die zwei Weimarer Schiller-Premieren des Wochenendes in den Fokus der Konferenz-Diskussion stellte, verschenkte man die Möglichkeit, mit Schillers der Konferenz ihren Titel gebendem Wort vom "Spieltrieb" eine Verbindung zwischen philosophisch-ästhetischen Theorien und sinnlicher Theaterpraxis herzustellen.

    Auch die beiden Premieren waren eher von einem theoretischen "Denktrieb" statt von einem "Spieltrieb" bestimmt. Felix Ensslin, auch Kurator der Konferenz, zeigte unter dem Titel "Die Räuber - Short circuits Vol. II" die zweite Fassung seiner Performance. In nur einer Stunde lieferte er ein didaktisches zugerichtetes, zeigefingerig-untheatralisches Konzentrat von Schiller sozialem und politischem Proteststück. Links auf leerer Bühne ein Chor, der unter anderem Passagen aus Thomas Manns "Dr. Faustus" sang, in der Mitte drei Schauspieler an einem Tisch, die Texte von Franz, Karl und Amalia mit uninspiriert leierndem Understatement lasen, und rechts der Tisch der Theorie, von dem Felix Ensslin Texte aus Schillers Briefen "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" dozierend einlas. Auf Videowänden sah man eine passive, röckchenschwenkende junge Frau im aufwirbelnder Luft einer Windmaschine, einen mit nacktem Oberkörper Fäuste und Bizeps präsentierenden Jüngling und beständig raufende junge Männer. Schillers Räuber wurden gewissermaßen anthropologisch gesehen. Das Verhältnis von Männern und Frauen, so sagten auch die eingesprochenen Texte, wird durch soziale Bilder geprägt, - zugleich wurde es mit sozialem gender-gestus gezeigt. Die Frauen bleiben passiv, die Männer lernen ihren Gestus der Gewalt, und die Geschlechter müssen einander zerstören. Wo Schiller die Emotionen und Exaltationen der Figuren in die Sprache legt, verlagert Ensslin diese in die Körper der Figuren und ihre für die Kamera inszenierten Kampfspiele.

    Markus Schmickler liefert dazu atmosphärisch grelle, surrende Töne, und der amerikanische Performer Brock Enright zeigt einmal mehr seine Spezialität: die (im Einverständnis mit den Betroffenen) inszeniert Entführung eines Menschen. Der ist in diesem Fall eine Frau, deren Malträtierung und Beschmierung aus dem Bühnenhintergrund auf die Videowand übertragen wird. Das ganze: eine altbacken-unsinnliche Denkveranstaltung, die beim Weimarer Publikum wütende Abwehrreaktionen hervorrief.

    Die "Maria Stuart"-Version des Intendanten Stephan Märki dagegen, obwohl ebenfalls mehr von konzeptuellen Gedanken als von theatralischer Wirkungsabsicht bestimmt, konnte einhellige Zustimmung verbuchen. Vor einigen Wochen sah ich in Chemnitz eine leider nur gedankenflach verslapstickte "Maria Stuart", bei der zu den Darstellerinnen der beiden Königinnen ein alle anderen Männerrollen chargierender Schauspieler kam. Bei Stephan Märki gibt es neben den beiden ins Korsett ihrer Prachtkostüme und ihrer gesellschaftlichen Bestimmheit gezwängten Königinnen die Gesellschaft nur als Entourage in Form zweier Chöre: eines Männer- und eines Frauenchores. Elisabeth, die ein wie ein Männlichkeitssymbol wirkendes Schmuckgeweih trägt, wird auf ihrem abstrakten Thron von den Männern auf einer von langen Stoffbahnen strukturierten leeren Bühne unterm Neonleuchter hin und her geschoben, Maria wird im Halbdunkel von den Männern hoch über deren Köpfen umhergetragen.

    Was bei der Konferenz zu Schillers Konzept eines Chores gesagt wurde, dass dieser nämlich eine Mauer zur Realität und einen poetischen Raum schaffen solle, versucht Märki mit seiner bewußten Absage an jedes psychologisch-realistische Sprechen und Spiel auf seine leider die Grenze zur unfreiwilligen Komik überschreitende eigene Weise zu leisten. Doch ein leiernder, Schillers Sprache hundsmiserabel verschenkender Chor wird im Weimar zu so absichtsvollen wie ungeschickten Arrangements gestellt, die sich gleichzeitig zur jeweils auf der Bühne gemeinten Frau wie zum Publikum richten. Zugleich wird die Spannung der Intrigen und zwischen den Intriganten im Stück verschenkt an die Demonstration einer Art öffentlicher Gerichtsdemonstration. Nicht dass hier mal zwölf Personen als eine angesprochen oder sechs mit einer Stimme antworten, macht das komische Mißlingens-Potential der Inszenierung aus, sondern die mangelnde choreographische und sprachliche Beherrschung der Chormittel in einer Theaterlandschaft, in der Einar Schleef Maßstäbe gesetzt hat.

    Insgesamt erlebte man ein engagiertes und wagemutiges Schiller-Wochenende in Weimar, das mit Heiner Müllers Worten von einem "Scheitern, immer besser scheitern" bestimmt war.