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Schillernde Zellhaufen in 3D

Biologie. - Erst Mikroskope lieferten Einblicke in die verborgene Welt der Zellen. In Denve stellten Physiker jetzt ein bildgebendes Verfahren vor, das der Erforschung innerzellulärer Vorgänge ganz neue Möglichkeiten eröffnen könnte.

Von Ralf Krauter |
    Abstrakte Mikroskopie – so könnte man das neuartige bildgebende Verfahren wohl am ehesten bezeichnen, das David Nolte entwickelt hat. Der Physik-Professor von der Purdue Universität in West Lafayette, Indiana, traktiert Zellhaufen mit Laserstrahlen, um Aufschluss über die biologische Aktivität der enthaltenen Zellen zu bekommen.

    "Unser Messverfahren basiert auf Holographie. Wir spalten einen schwachen Laserstrahl in zwei Teilstrahlen auf. Einen davon lenken wir auf das biologische Gewebe, das wir untersuchen wollen. Dort wird er reflektiert und dann mit dem zweiten Teilstrahl überlagert. Dabei entsteht ein Interferenzmuster aus hellen und dunklen Flecken, das wir mit einer Digitalkamera aufzeichnen und auswerten."

    Die Aufnahmen haben wenig mit dem gemein, was Biologen sonst so zu sehen bekommen, wenn sie einen Zellhaufen unters Mikroskop legen. Die Wabenstruktur der Zellen ist auf den Holo-Bildern nämlich nicht zu erkennen. Ein Haufen aus knapp 100 Zellen erscheint als heller Fleck, zusammen gesetzt aus tausenden wabernden Lichtpunkten, deren Intensität sich ständig verändert. Weil das Interferenzmuster extrem empfindlich auf die kleinste Bewegung in jeder der Zellen reagiert, liefert die statistische Analyse seiner wabernden Leuchtpunkte ein ultrapräzises Maß für die intrazelluläre Mobilität. Das macht es möglich, die molekulare Maschinerie in den Zellen bei der Arbeit zu beobachten – und zwar erstmals dreidimensional und in Echtzeit, bei Gewebeproben von bis zu einem Millimeter Dicke.

    "Wenn Sie mit konventionellen Mikroskopen einen ähnlich detaillierten Blick ins Zellinnere werfen wollen, verlieren Sie dabei automatisch den Überblick, weil Sie ihr Sichtfeld drastisch einschränken müssen. Wir dagegen bringen beides unter einen Hut. Wir können Gewebehaufen mit Abmessungen im Millimeterbereich ins Visier nehmen und winzigste Bewegungen im Inneren der Zellen sichtbar machen."

    Um die Leistungsfähigkeit ihrer Methode zu demonstrieren, haben die US-Forscher untersucht, wie das Krebsmedikament Cholchizin das Tumorgewebe von Ratten beeinflusst. Cholchizin, das Gift der Herbstzeitlosen, verhindert die Zellteilung, indem es den Aufbau des innerzellulären Autobahnnetzes unterbindet, das die Zellorganellen brauchen, um korrekt zu funktionieren. Auf den holographischen Bildern, die David Nolte im Sekundentakt geschossen hat, lässt sich diese zunehmende Blockade des zellulären Langstreckenverkehrs live beobachten. Die Änderung des Interferenzmusters zeigt, wie die molekulare Maschinerie in den Krebszellen allmählich zum Stillstand kommt.

    "Leben bedeutet Bewegung. Wenn sie irgendetwas Lebendiges unter dem Mikroskop anschauen, wird es sich immer bewegen. Deshalb glaube ich: Unser Verfahren ist für viele Anwendungen spannend."

    Zum Beispiel bei der Entwicklung neuer Medikamente. Dabei werden häufig hunderte Gewebeproben auf einem Analysechip mit verschiedenen potenziellen Wirkstoffen beträufelt. Mit der relativ simplen Laseroptik aus Indiana ließe sich erstmals live verfolgen, welcher Wirkstoff die biologische Aktivität wie verändert. Um die Suche nach aussichtsreichen Kandidaten wirklich zu beschleunigen, müssen die Forscher aber erst besser verstehen, welche Lichtmuster charakteristisch für bestimmte Bewegungen der Zellorganellen sind. Noch sind die Messergebnisse zum Teil reichlich unspezifisch, räumt David Nolte ein. Doch die Forscher sind optimistisch, dieses Problem innerhalb der nächsten drei Jahre in den Griff zu bekommen. Die Akzeptanz der Biologen zu gewinnen, könnte länger dauern.

    "Biologen wollen die Zellen und ihr Innenleben tatsächlich sehen. Wir dagegen nehmen die statistische Analyse wabernder Laserpunkte als Maß für die biologische Aktivität einer Zelle. Das ist ungewohnt abstrakt und gefällt vielen Biologen gar nicht. Aber ich hoffe, zumindest in der Pharmaindustrie wird man die Vorzüge der Methode zu schätzen lernen."