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"Schillers Sprache packt auch die Jungen"

Der Geschäftsführer der Deutschen Schillergesellschaft, Ulrich Raulff, hat anlässlich des 250. Geburtstags von Friedrich Schiller die ungebrochene Aktualität des Dichters betont. Er sei immer noch einer der meistgelesenen Autoren in der Schule und meistgespielten Bühnendramatiker.

Ulrich Raulff im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Nach zweijähriger Bauzeit und einigen Millionen Euro Kosten wurde heute die neue Dauerausstellung zur Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts in Marbach eröffnet im Schiller-Nationalmuseum in Anwesenheit des Bundespräsidenten. An den Feierlichkeiten zu solchen Geburtstagen, Goethe- oder Schiller-Geburtstagen, da lässt sich ja für jede Zeit der Umgang, die Indienststellung, die Wertschätzung, die nationalen Bedürfnisse und auch die Erregungen einer Zeit für ihre Dichter ablesen. Bundespräsident Horst Köhler heute Nachmittag zum 250. Geburtstag von Friedrich Schiller:

    "So ist es zwar ein Zufall, aber doch eine wunderbare Fügung, dass der Jahrestag des Mauerfalls so unmittelbar vor dem Geburtstag Friedrich Schillers liegt, des Dichters der Freiheit."

    Köhler: Soweit der Bundespräsident heute Nachmittag. Direktor des Deutschen Literaturarchivs in Marbach und zugleich Geschäftsführer der Deutschen Schillergesellschaft ist Professor Dr. Ulrich Raulff, und wir freuen uns, dass wir ihn am Telefon haben. Guten Abend, Herr Professor Raulff!

    Ulrich Raulff: Ja, guten Abend!

    Köhler: Wir wollen nicht die Frage nach der Kunstreligion oder dem Reiz von Autografen bei unserem Gespräch in den Vordergrund stellen, sondern ein bisschen vielleicht den Tag beschreiben: Wie staatstragend oder wie staatsfern ging das denn heute am Neckar vor sich? Erzählen Sie doch mal!

    Raulff: Also staatstragend war das sicher nicht. Es gab einen wunderbaren Versprecher, nämlich als Rüdiger Safranski, der die Festrede gehalten hat, anhub, sagte er: Hochverehrter Herr Bürgerpräsident. Also er wollte Bundespräsident sagen, aber er sagte Bürgerpräsident. Und das gab also gleich Beifall, weil das so richtig, weil es so stimmig war, also so war der Tag. Es ist zwar ein Tag der Bürger. Sie wissen, Marbach, die ganze Einrichtung hier oben, die ganze Schiller-Verehrung, das ist eine bürgerliche Angelegenheit gewesen des 19. Jahrhunderts, des 20., und Bürgerlichkeit im guten, schönsten Sinne hat auch diesen Nachmittag geprägt.

    Köhler: Nun werden Sie eine Tagung durchführen, die heißt "Schiller, der Spieler", und erst denkt man: Wieso denn das? Es fallen einem dann vielleicht die Briefe zur ästhetischen Erziehung des Menschen ein, aber auch eine Zeile aus den "Räubern" ist mir in Erinnerung, wo es um das - eine schöne Formulierung -, das Lotto des Lebens geht. Inwiefern war Schiller ein Spieler? Ich denke, er ist der große Apostel der Freiheit.

    Raulff: Ja natürlich, aber Freiheit heißt auch, Freiheit des Menschen heißt auch Spielraum, und darin liegt schon ein guter Sinn. Nur da, wo der Mensch den Raum hat, sich spielerisch zu entfalten, da hat er Freiheit. Das weiß Schiller. Der Preis für diese Freiheit kann allerdings hoch sein. Auch das weiß er, und das prägt ja seine Stücke. Da ist ja nichts Leichtfertiges, und das Spiel ist sehr ernst genommen. Spiel ist das ernsteste, wichtigste Geschäft des Menschen überhaupt, es macht ihn zum Menschen. Und ein großer Spieler, der anderen wiederum die Bühne bereitet hat für ihre Spiele, das ist er natürlich auch gewesen. Und als solcher wird er hier heute gefeiert und studiert gleichzeitig.

    Köhler: Würde das, wenn ich damit an die Eingangsfrage anknüpfe, vielleicht ein bisschen eine Verschiebung der Wahrnehmung bedeuten, dass wir also weniger den Autor des "Tell" sehen, sondern vielleicht jetzt mehr den Ästheten, dass wir politische Ereignisse mehr ästhetisch betrachten? Diese Formel vom Lotto des Lebens findet sich im dritten Akt der "Räuber": "Dieses bunte Lotto des Lebens, worein so Mancher seine Unschuld und seinen Himmel setzt, einen Treffer zu haschen". Es beschreibt uns eigentlich ganz gut: Wir sind heute so auf persönlichen Vorteil bedacht, der Solidargedanke, den quälen wir uns so ein bisschen ab.

    Raulff: Ja, das mag schon sein, jede Zeit sucht sich natürlich aus Schiller die Stücke und sucht sich die Figur, sucht sich den Dichter, in dem sie sich wiedererkennt. Das ist sicher richtig. Deshalb zum Beispiel auch - damit sind wir wieder am Beginn - suchen wir uns vielleicht weniger den Pathetiker, also so der Balladen und so, sondern was wir suchen, ist der Anthropologe, der Kriminalpsychologe, der Meister der gebrochenen Formen und der gebrochenen Figuren. Das interessiert uns stärker, darin erkennen wir uns stärker.

    Köhler: 1859 beim 100. Geburtstag war es ein riesiger nationaler Aufmarsch, eine Erhebung, könnte man geradezu sagen. Sie haben es schon gesagt, er wurde der Dichter der Deutschen, der Freiheitsapostel und Weltbürger. Wie vermeidet man denn jetzt im umgekehrten Fall den Vitrinen-Schiller? Ich lese, dass also 700 Exponate bei Ihnen zu bestaunen sind, also Hosen und Hemden, Pfeifen und Mützen - wie kann man denn das vermeiden, ihn lebendig zu halten?

    Raulff: Das passiert schon von selbst, dafür sorgt er selbst schon. Dafür sorgt er durch seine Stücke, die ihn immer noch und immer wieder also zu einem der meistgespielten Bühnenautoren machen - übrigens nicht nur in Deutschland. Und dafür sorgt er natürlich auch durch und mittels unserer Gymnasien. Er ist immer noch einer der meistgelesenen Autoren in der Schule. Und kein Wunder, ich habe es selbst sehen können bei meinem Sohn: Schillers Sprache packt auch die Jungen immer noch wieder. Also er sorgt schon selber dafür, dass er lebendig bleibt und keineswegs irgendwo in der Vitrine verstaubt und vergessen wird.

    Köhler: Beim Goethe-Geburtstag vor zehn Jahren gab es Leitartikel in der "Frankfurter Allgemeinen", vielleicht erinnern Sie sich sogar, die hießen ungefähr so wie "Abschied von Goethe". Irgendwie sind solche hohen Feiertage immer auch ein kleines Stückchen Abschied und Willkommen, um ein Goethe-Gedicht zu zitieren. Was denken Sie, wie kann man das fruchtbar machen über so einen Tag hinaus, dass man es wirklich lebendig hält und nicht ein nationales Erbe ist, das da zu bestaunen und zu bewundern ist?

    Raulff: Was Sie mich da fragen, das trifft eigentlich den Lebensnerv unserer Einrichtung hier, das ist die Frage, auf die wir immer wieder jeden Tag eine Antwort geben müssen. Wir tun es, indem wir die Leute zum Lesen führen, zum Betrachten, zum Hören auf seine Verse. Wir tun es, indem wir ihn studieren, indem wir die Forschung lebendig halten. Die Schiller-Forschung ist eine sehr lebendige, fast eine Wachstumsbranche. Also all das erfüllt mich mit Zuversicht, dass es doch mit unserem geliebten Namensgeber hier auch noch weit in die Zukunft gut geht.