Sonntag, 28. April 2024

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Schimpansen in der Röhre

Paläontologie. - In ganz Europa digitalisieren Paläontologen ihre Primatensammlungen für das im Aufbau befindliche Europäische Virtuelle Anthropologie-Netzwerk Evan. Von besonderer Bedeutung sind dabei Exponate des Instituts Senckenberg in Frankfurt, das seine Schädelsammlung aufwändig digitalisiert.

Von Michael Stang | 18.11.2008
    Frankfurt am Main im Stadtteil Sachsenhausen.

    "Wir versuchen heute etwa 130 Schädel zu scannen."

    Hier in der Radiologie, direkt am Main, werden wochentags Patienten gescannt, am heutigen Samstag jedoch kommt eine besondere Schädelsammlung des Forschungsinstituts Senckenberg in den Computertomographen. Der Paläontologe Ottmar Kullmer steht vor mehr als hundert alten, schuhkartongroßen Kisten. Darin liegen Schimpansenschädel aus Liberia, die bei mehreren Expeditionen um 1949 gesammelt wurden. Die Forscher zogen damals durch die Dörfer im tropischen Regenwald und kauften den Bewohnern alle Affenschädel ab, die diese vor ihren Hütten als Trophäen liegen hatten.

    "Wenn man nun so verschiedene Schädel betrachtet, die wir hier mitgebracht haben, dann sieht man, dass der Erhaltungszustand sehr unterschiedlich ist. Zum Teil wurden die nach Buschfeuern gesammelt, ja hier sieht man dann diese braune Färbung richtig, das sind so Brandzeichen natürlich, verrußte Schädel kann man sagen."

    Das Besondere an der Sammlung ist, dass alle Schädel aus einem kleinen Gebiet stammen, nur wenige Generationen umfassen und sämtliche Altersstadien von jung bis alt vorhanden sind. Diese einmalige Datenbasis soll nun digitalisiert werden. Uwe Berner ist der zuständige Radiologe, der für diese digitale Archivierung seine Räumlichkeiten zur Verfügung stellt. Er steht zusammen mit Ottmar Kullmer und einer Assistentin im CT-Raum vor dem Computertomographen. Dieser röntgt die einzelnen Schädel aus verschiedenen Richtungen und errechnet rund tausend Schnittbilder pro Scan.

    "Also, wir legen jetzt den nächsten Schädel auf, der wird gerade sorgsam in der Kopfschale positioniert."

    Nachdem der Schimpansenschädel auf dem Tisch platziert wurde, muss er noch leicht verschoben werden, um ihn für die Messung perfekt zu positionieren.

    "Also, jetzt müssen wir eigentlich den Raum schon wieder verlassen."

    Alle verlassen zügig den CT-Raum, so geht die Arbeit wie im Akkord gut voran. Draußen hinter einer Glasscheibe wird der nächste Scan vorbereitet.

    "Im Moment stehen wir gerade vor der Konsole von dem Hauptrechner des Computertomographen und im Moment laufen wirklich im Millisekundentakt die berechneten Bilder durch, also wir fliegen gerade durch den Schädel durch."

    Nacheinander tauchen wie bei einer Diashow einzelne Strukturen des Schädels auf, sowohl äußere wie die Augenhöhlen oder das Hinterhauptsloch oder innere wie das Innenohr. Von solchen hoch aufgelösten Daten hat Ottmar Kullmer bislang nur träumen können.

    "Wir haben damit die Möglichkeit, die Schädel im Computer zu vermessen. Das ist ein Riesenvorteil, weil man früher die Schädel alle angefasst hat und mit mechanischen Messwerkzeugen vermessen hat, da leiden die Originale natürlich enorm drunter."

    Jetzt werden die Schädel zum ersten Mal objektiv und berührungsfrei vermessen. Diese digitale Inventarisierung ist Teil des so genannten European Virtual Anthropology Network – kurz Evan, eine digitale Datenarchivierung von Sammlungen. Dazu werden nach und nach wichtige Schädelsammlungen in ganz Europa ähnlich wie in Frankfurt gescannt. Ziel ist die Gründung einer Datenbank.

    "Die digitale Archivierung ist ganz entscheidend, weil man ja damit natürlich auch Objekte zugänglich machen kann für Wissenschaftler in Übersee, ohne dass diese Objekte selbst direkt gesehen werden müssen."

    Damit können Paläontologen von überall auf der Welt online auf die Daten zugreifen. Die hoch aufgelösten Strukturen erlauben es zudem, die Schädel digital im Submillimeterbereich zu vermessen– und das ganz ohne Messfehler. Rund 1000 Bilder pro Schädel nimmt der Radiologe Uwe Berner dazu auf.

    "Wir haben da schnell mal ein Datenvolumen von 500 MB pro Schädel, ja? Pro Patient, wollte ich schon sagen…"

    Nach drei Stunden liegen der Mediziner und der Paläontologe gut in der Zeit.

    "Und jetzt geht das eigentlich hier Schlag auf Schlag durch, nur wenige Sekunden Scanzeit pro Schädel ….und ich denke, dass wir da einen guten Datensatz rauskriegen."

    In diesem Pionierprojekt werden vorerst 300 Schädel gescannt, danach werden die Daten ausgewertet. Später sollen dann auch die Sammlungen menschlicher Schädel aus dem Forschungsinstitut Senckenberg folgen. Bis es soweit ist müssen Uwe Berner und Ottmar Kullmer aber erst einmal die Schimpansen aus Liberia vollständig digitalisieren.

    "Und jetzt sind wir schon wieder fertig und der nächste kommt auf den Tisch."
    Der Schädel eines Schimpansen ist für die Tomographie bereit.
    Der Schädel eines Schimpansen ist für die Tomographie bereit. (Michael Stang)
    Ottmar Kullmer (l.) und Uwe Berner begutachten die Tomogramme.
    Ottmar Kullmer (l.) und Uwe Berner begutachten die Tomogramme. (Michael Stang)