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Schiris Liebling

Sie haben sie sicher schon gehört, die "Lübold 600" und die "Argentina 78": Spitzenpfeifen für den Schiedsrichtereinsatz. Ein sauerländisches Unternehmen mit sieben Mitarbeitern fertigt diese und andere Signalgeber wie die Seemanns- über die Hunde- bis zur Bobby- und der Partypfeife - in Präzisionshandarbeit.

Von Klaus Deuse | 14.09.2012
    Wenn dieser schrille Ton ertönt, kann kein Fußballspieler ernsthaft behaupten, er hätte den Pfiff nicht gehört.

    Und darum greifen immer mehr Schiedsrichter zur lautstarken "Lübold 600", dem Spitzenprodukt der Firma MBZ Obernahmer aus Nachrodt-Wiblingwerde im Sauerland. Das kleine Unternehmen, das sieben Mitarbeiter beschäftigt, ist der einzige Hersteller von Signal- und Trillerpfeifen in der Bundesrepublik. In dem lang gestreckten, winddurchlässigen Ziegelbau fühlt man sich in eine andere Zeit versetzt mit Maschinen und Gerätschaften, die noch von Hand bedient werden. Hier biegen die Mitarbeiter die ausgestanzten Metallstreifen an Hebeln zur Pfeifenform, löten, nieten, polieren und galvanisieren. Ebenfalls von Hand werden an einem langen Arbeitstisch die Mundstücke aufgeklebt und kleine Kugeln in den Klangkörper geschoben. Bei einer Schiedsrichter-Pfeife, sagt Verkaufsleiter Heinz Liebold, kommt es schließlich auf den durchdringenden Ton an:

    "So, jetzt haben wir die Argentina 78, die schon bei der WM in Argentinien zum Einsatz kam."

    Heinz Liebold bläst nicht mit voller Kraft in dieses Arbeitsgerät der Schiedsrichter. Das wäre in nächster Nähe fatal für das Trommelfell des Besuchers. Bewährt hat sich die "Argentina 78" übrigens noch 2010 bei der Weltmeisterschaft in Südafrika, als sie auf dem Spielfeld selbst noch die Geräuschkulisse der Vuvuzelas übertönte. Aber inzwischen konnte man den Schiedsrichtern mit der "Lübold 600" eine noch leistungsstärkere Pfeife an die Hand geben. Zwei Jahre lang hat man mit Unterstützung eines Orgelbauers an einer Pfeifen-Innovation herumgetüftelt. Die gefundene Lösung lautete: ein Drei-Kammer-Modell.

    "Diese Kammern erzeugen drei verschiedene Töne. Die Luft wird also verwirbelt in diesen Kammern und es kommt dann, kann man schon sagen, ein schrecklicher Ton wieder raus. Und den braucht man für den Fußball."

    Die "Lübold 600" ist nämlich lauter als gewöhnlicher Discolärm. Und das will allerhand heißen. Bei den Schiedsrichtern findet diese Pfeife jedenfalls großen Anklang, merkt Verkaufsleiter Liebold zufrieden an:

    "Sie sind also vollkommen überrascht, dass man so eine schöne Pfeife machen kann in traditioneller Form. Und man ist auch ein bisschen stolz, dass man so lange genörgelt hat und gemacht hat, bis wir's richtig hingekriegt haben. Die Chemie zwischen Schiedsrichter und Pfeife muss stimmen. Also, die suchen schon genau aus, was sie brauchen."

    Darum werden viele dieser Schiri-Pfeifen weiter in Handarbeit hergestellt:

    "Manche wollen sie in Hochglanz haben, manche wollen sie Matt-Ton haben. Oder wir hatten sie jetzt auch nach Brasilien vergoldet geschickt. Das kommt ganz drauf an. Jeder hat seine eigenen Vorlieben."

    Nur an dem durchdringenden Ton, da ändert sich nichts. Schließlich setzt man in der Trillerpfeifen-Manufaktur im Sauerland noch auf Handarbeit – und auf bewährte Traditionsmaschinen:

    "Die Kniehebelpresse ist auch schon 80 Jahre alt. Aber sie bringt immer noch die Pfeifen in höchster Präzision."

    Liebold legt den Pfeifenrohling auf den Teller dieser moosgrünen Stanze, justiert ihn wie ein rohes Ei, präzisiert den Schnitt an einem armlangen Hebel nach und drückt energisch das Pedal durch. Und fertig ist der Pfeifenkörper. Dieser Arbeitsschritt könnte auch an einer automatischen Stanze erfolgen, erklärt Liebold, doch da gäbe es zu viel Ausschuss. Aber Ausschuss könne sich das kleine Unternehmen, das mit jedem Euro rechnet, nun mal nicht leisten. Diese Einzelstücke mit Gravur in der Schmuckschatulle kosten immerhin bis zu 200 Euro. Und selbst für die aus Plastik produzierten Massenartikel muss man erst einmal genügend Abnehmer finden, wie Mitarbeiter Peter Hofmann nüchtern vorrechnet:

    "Wir sind in der Lage, bei den Kunststoffpfeifen, 3000 Stück am Tag zu machen. Das jetzt mal 200 Arbeitstage, sagen wir mal ganz grob, wären 600.000 Pfeifen. Und die muss man erst mal loswerden. Ich glaube nicht, dass es 600.000 Schiedsrichter gibt in der Bundesrepublik, die dann auch jedes Jahr ihre Pfeife verlieren."

    Allerdings benötigen nicht nur Schiedsrichter Pfeifen, lautet dazu der ironische Kommentar von Peter Kalle, einem der erfahrenen Monteure.

    "Solange die Bundesbahn fährt, brauchen die auch ein paar Pfeifen. Es gibt Artikel, die werden immer benötigt."

    Insgesamt 70 Modelle hat die Sauerländer Pfeifenschmiede im Programm. Von der Seemanns- über die Hunde- bis zur Bobby- und der Partypfeife. Für den Großteil des Umsatzes sorgen Aufträge für Massenartikel aus Plastik – zum Beispiel auch von Parteien, die geräuschvoll auf sich aufmerksam machen wollen. Bei Auftraggebern unterschiedlicher politischer Couleur kommt es dabei, hat Verkaufsleiter Liebold leidvoll erfahren müssen, sogar auf farbliche Nuancen an:

    "Die haben wir in Knallrot 25.000 Stück für die Linkspartei gefertigt. Hier haben wir das Original Rot. Das hatte dann auch die Sozialdemokratie in Anspruch nehmen wollen. Da haben sich die beiden Parteien bisschen gezankt um den Farbton. Aber jetzt nutzen ihn alle beide und sind alle glücklich."

    Pfeifen werden nicht nur auf Fußballfeldern benötigt. Vermittelt von der Bundeswehr, fertigen die Mannen um Heinz Liebold Messingpfeifen für die afghanische Polizei. Dabei handelt es sich um eine Dreitonpfeife, die man eigentlich für den Schwimm- und Volleyballsport entwickelt hat. Doch wer wo letztlich darauf herum pfeift, das spielt für die sieben Mitarbeiter nicht die entscheidende Rolle. Hauptsache, das Geschäft floriert.