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Schlachtabfall statt Labormaus

Medizin. - Die Bildung von Blutgefäßen, die so genannte Angiogenese, ist derzeit eine Wachstumsbranche in der Biomedizin. Unter anderem bei der Krebsbekämpfung hoffen die Mediziner auf neue Therapien, die sich aber nur mit viel Forschung und damit mit vielen Tierversuchen verfolgen lassen. Auf dem Weltkongress über Alternativen zu Tierversuchen in Berlin wird heute eine Forschungsarbeit ausgezeichnet, die zeigt, wie sich auf dem Feld der Angiogeneseforschung Labormäuse durch Schlachtabfälle ersetzen lassen.

Von Volkart Wildermuth | 24.08.2005
    Johanna Plendel, Professorin für Veterinäranatomie an der Freien Universität Berlin, ist Tierärztin mit Leib und Seele. Mäuse und Kaninchen in den Versuchslaboren leiden zu sehen, geht ihr ans Herz.

    " Auf dem Gebiet der Angiogeneseforschung werden sehr viele Tierversuche unternommen, insbesondere sehr umstrittene Tierversuche, zum Beispiel am Auge, an der Hornhaut des Auges. Die Hornhaut des Auges ist physiologischer Weise nicht mit Blutgefäßen versorgt und deshalb kann man dort das Einsprossen der Blutgefäße sehr gut untersuchen."

    So lässt sich leicht erkennen, ob ein Stoff die Angiogenese, die Bildung von Adern anregt. Johanna Plendel kann die Faszination der Forscher nachvollziehen, die die Entstehung neuer Blutgefäße verstehen wollen, um letztendlich Krebsherde zu bekämpfen. Aber sie ist davon überzeugt, dass sich dieses Ziel auch mit deutlich weniger Tierversuchen erreichen lässt. In ihrer Arbeitsgruppe hat sie deshalb eine Alternativmethode entwickelt. Ausgangsmaterial sind Schlachtabfälle.

    " Wir fahren an den Schlachthof, stellen uns dort an das Schlachtband, warten, bis in diesem Fall zum Beispiel die Kuh getötet ist, und bekommen dann von dem ersten Metzger, der das Tier eröffnet, die Eierstöcke lebensfrisch und diese Eierstöcke werden dann sofort auf Eis gelegt und transportiert wie bei einer Organtransplantation."

    Die Eierstöcke gehören zu den wenigen Geweben im ausgewachsenen Körper, in denen sich im Rhythmus der Hormone per Angiogenese neue Adern bilden. Die dafür verantwortlichen Zellen isoliert Johanna Plendel in einem aufwändigen Verfahren. Dann übergibt sie dieses Rohmaterial an ihre Kollegin Mahtab Bahramsoltani, die die Zellen in der Petrischale anzüchtet. Zunächst vermehren sie sich.

    " Dann kann man als nächstes sehen, dass sich die Zellen lang strecken, das ist halt das, was sie im Körper auch tun würden, um auszusprossen, und sich in einer Reihe aneinanderlegen. Die nächste Phase ist dann, dass die aneinander gelegten Zellen eine Art Netzwerk in einer zweiten Ebene bilden, und dann letztlich, über einen Zeitraum von eineinhalb Monaten, sieht man dann, dass diese Zellen sich dreidimensional in diesen Strängen organisieren und dass sie dann auch richtige Röhren mit einem zentralen Hohlraum bilden."

    Gefäßzucht im Kleinstmaßstab, ganz ohne Versuchstier. Gibt die Forscherin Angiogneseblocker, also mögliche Krebsmedikamente, in die Petrischale, lösen sich die dünnen Röhrchen wieder auf. Gefäßbildende Substanzen dagegen beschleunigen ihr Wachstum.

    " Dann verkürzt sich eben dieser Zeitraum, bis zur Bildung dieser blutgefäßähnlichen Strukturen, auf einen Monat oder auf vielleicht sogar nur drei Wochen. Manchmal kann man bei dem gesamten Prozess sehen, dass er insgesamt verkürzt wurde, das ist das, was andere mit ihren Untersuchungen feststellen, und wir können genau sagen, welches Stadium verkürzt wurde, und damit wissen wir, dass genau auf dieser Ebene das Mittel eingreift."

    Hier ist die Ersatzmethode also effektiver als der Tierversuch, den sie ersetzen soll. Das Verfahren ist jetzt in Berlin etabliert. Demnächst soll getestet werden, ob es auch in anderen Laboratorien verlässliche Ergebnisse liefert. Dann wäre das Verfahren endgültig praxisreif. Johanna Plendel hat aber schon jetzt Reaktionen von Angiogeneseforscher bekommen.

    " Da gibt es solche und solche. Es gibt solche, die meine Zellen bereits in ihren Labors verwenden und es gibt aber auch Leute, die denken, das dauert zu lange. Es dauert also mindestens 60 Tage, bis diese tubulären Strukturen ausgebildet sind, das ist für manche offensichtlich zu lang. Ich denke aber, eine Maus braucht ja auch längere Zeit, um auf die Welt zu kommen beispielsweise und dann für so ein Experiment bereit zu sein."