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Schlaf reinigt Gehirn

Neurowissenschaften. - Schlaf ist ein Rätsel für Biologen: warum schotten Tiere sich von der Umwelt ab, riskieren gefressen zu werden, und verpassen selbst die Chance auf eine gute Mahlzeit? Eine Theorie besagt zum Beispiel, dass im Schlaf die Erfahrungen durchsortiert und die wichtigsten als Erinnerungen abgespeichert werden. Vielleicht ist es aber auch viel einfacher und der Schlaf erlaubt der Müllabfuhr des Gehirns, ihre Arbeit zu tun. Das legt eine Arbeit in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Science" nahe.

Von Volkart Wildermuth | 18.10.2013
    Wo gearbeitet wird, entsteht Abfall. Das gilt auch im Körper. In den meisten Geweben entsorgt das Lymphsystem alle Reststoffe zwischen den Zellen. Nur im Gehirn fehlt diese Form der biologischen Kanalisation. Stattdessen pumpen Hilfszellen, die Astrozyten, die Flüssigkeit im Gewebe weiter, wie Maike Nedergaard und Jeffrey Iliff von der Universität im amerikanischen Rochester vergangenes Jahr entdeckten. Iliff:

    "Wir konnten die Bewegung von Farbstoffen in der Flüssigkeit zwischen den Zellen des Gehirns sehen."

    Und zwar durch Glasfenster, die sie in den Schädel von Versuchsmäusen operiert hatten. Bei diesen Experimenten waren die Nager wach. Jeffery Iliff wollte aber auch wissen, was im Gehirn schlafender Mäuse vor sich geht. Da waren erst einmal weniger die Forscher, als die Tierpfleger gefragt.

    "Die Pfleger haben Möglichkeiten gefunden, die Mäuse so zu beruhigen, dass sie tatsächlich direkt unter dem Mikroskop eingeschlafen sind."

    Die Forscher haben dann über einen Katheter einen Farbstoff ins Gehirn gespritzt. Schnell verteilte er sich über große Bereiche. Danach wurden die Mäuse mit einem kleinen Stups an den Schwanz geweckt. Die Tiere hatten gelernt, trotz der Störung ruhig sitzen zu bleiben. So konnten die Forscher einen zweiten Farbstoff injizieren. Der wanderte längst nicht so weit und dann auch nicht in die Tiefe des Nervengewebes ein. Iliff:

    "Der Unterschied war überraschend groß. Bei den wachen Tieren spülte nur wenig Flüssigkeit durchs Gehirn."

    Zu wenig für eine effektive Abfallentsorgung. Der Grund ist simpel: im wachen Gehirn ist kein Platz! Die Nervenzellen und auch die Astrozyten sind sozusagen angeschwollen, der Raum zwischen den Zellen ist also sehr eng und lässt keinen wirksamen Abtransport des Stoffwechselmülls zu. Sobald die Mäuse aber schlafen, ändert sich das schlagartig. Die Astrozyten schrumpfen und öffnen so Lücken, über die das Nervengewebe effektiv durchspült werden kann. Dass dabei wirklich gefährliche Abfallstoffe entsorgt werden, zeigen Experimente mit dem Alzheimer-Eiweiß A-Beta.

    "Offensichtlich verläuft die Beseitigung von A-beta parallel zur Spülung des Gehirns. Während des Schlafes wird effektiv gespült und das A-Beta verschwindet. Sind die Tiere wach, ist die Spülung langsamer und entsprechend langsam wird A-beta entsorgt."

    Viele Krankheiten, wie Alzheimer oder Schlaganfälle, werden von Schlafstörungen begleitet. Es ist gut möglich, dass fehlender Schlaf die jeweiligen Probleme noch verstärkt, weil giftige Abfälle nicht effektiv entsorgt werden und nach und nach die Arbeit der Nerven stören. Bleibt die Frage, warum das Gehirn die Abfälle nicht kontinuierlich entsorgt. Jeffrey Iliff vermutet, dass das vor allem etwas mit den begrenzten Ressourcen zu tun hat. Nervenarbeit benötigt viel Stoffwechselenergie. Aber auch das Pumpen der Gewebsflüssigkeit durch die Zellzwischenräume ist aufwändig. Deshalb können beide Prozesse nicht gleichzeitig ablaufen. Das ist ähnlich wie beim häuslichen Leben. Unter der Woche muss erst einmal die Arbeit erledigt werden, erst am Wochenende ist Zeit, den Rasen zu mähen und die Wohnung zu reinigen.

    "Ich denke, das Gehirn arrangiert die Dinge ähnlich. Wenn es wach ist, muss es viele Dinge beachten, aufmerksam sein. Die Hausarbeit bleibt liegen. Das könnte ein Grund für das Schlafbedürfnis sein. Im Schlaf kann das Gehirn alles wieder in Ordnung bringen. So ist es bereit für den nächsten Tag."

    Zum Hausputz gehört auch, den Müll rauszubringen, das heißt für das Gehirn: im Schlaf die Räume zwischen den Zellen zu öffnen und ordentlich durchzuspülen.