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Schlafforscher über Medizin-Nobelpreisträger
"Sehr stark dazu beigetragen, dass innere Uhr modern erforschbar ist"

Den Nobelpreis für Medizin erhalten drei Genetiker, die das Funktionieren der inneren Uhr ergründet haben. Damit gehe er an die Richtigen, sagte der Chronobiologe Till Roenneberg im Dlf. Ausgezeichnet werde aber ein ganzes Forschungsgebiet, das den Bioryhthmus von Lebewesen verstehen helfe.

Till Roenneberg im Gespräch mit Ralf Krauter | 02.10.2017
    Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash and Michael W. Young haben an Fruchtfliegen-Genen geforscht
    Die drei US-Genetiker Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young erhalten den Medizinnobelpreis 2017 (AFP/Jonathan Nackstrand)
    Ralf Krauter: Hat das Nobelkomitee die Richtigen ausgezeichnet, aus Ihrer Sicht?
    Till Roenneberg: Ja. Jein. Jein, würde ich sagen. Es sind auf jeden Fall diejenigen, die Schlüsselergebnisse produziert haben, die die innere Uhr verständlicher machen auf einer molekularen Ebene. Sie haben die Gene exprimiert, und vor allen Dingen, was noch wichtiger ist, den Mechanismus, wie ein 24-Stunden-Rhythmus molekular zustande kommen kann, haben sie entschlüsselt. Das ist also ganz wichtig. Es ist aber eigentlich nur stellvertretend für das ganze Gebiet und vor allen Dingen für die Physiologen, die dahinterstecken, die also nach dem Krieg vor allen Dingen – das sind Erwin Bünning, Jürgen Aschoff und Colin Pittendrigh – diese innere Uhr so genau erkannt, beschrieben und experimentell ergründet haben, dass es den Molekularbiologen möglich war, diese Gene so schnell zu finden. Wir sind ein Paradebeispiel für eine Disziplin, wo eine lebenswichtige Funktion innerhalb von wenigen Jahren letztendlich auf der molekularen und Genebene entdeckt worden ist. Und das wird letztendlich dabei ausgezeichnet. Das ist also eine Auszeichnung immer, wie alle Nobelpreise, für ein ganzes Gebiet und für all die Forscher, die dazu beigetragen haben, dass die drei, die jetzt den Preis kriegen, ihre Experimente überhaupt so hervorragend durchführen konnten.
    Krauter: Also, wenn man so will, war das einer der ganz frühen Erfolge der molekularbiologischen Forschung, der Genforschung, der Forschung nach Genen und ihren Funktionen in den Zellen?
    Roenneberg: Ja, und das geht auch zurück auf Seymour Benzer, der ja völlig verlacht worden ist damals, als er gesagt hat: Ich nehme jetzt eine Taufliege und untersuche die Genetik, die hinter komplexem Verhalten steht, anhand von der Taufliege. Und da haben sie alle gesagt: Genetik kannst du da vergessen, komplexes Verhalten ist nicht durch einzelne Gene zu erklären. Und die lagen alle vollkommen falsch und das ist ja auch eine unglaubliche Errungenschaft der Wissenschaft, zu zeigen, dass bei aller Komplexität dennoch immer wieder wichtige Schlüsselgene dahinterstecken, die man dann auch finden kann, weil, wenn sie nicht funktionieren, das komplexe Verhalten als solches auch nicht funktioniert. Wir wissen mittlerweile, dass mindestens 50 Gene am Zustandekommen der inneren Uhr beteiligt sind. Aber die Tatsache, dass wir das wissen, verdanken wir den Molekularbiologen und vor allen Dingen den Pionieren unseres Gebietes, die das Phänomen so stark und so detailliert beschrieben haben, dass das möglich wurde.
    Bei der Taufliege wie beim Menschen – selbes Prinzip
    Krauter: Und das heißt, was für Laien erstaunlich ist, dass das, was man bei der Taufliege gelernt hat, eben extrem universell anwendbar ist letztendlich?
    Roenneberg: Ja, so erstaunlich ist das gar nicht. Denn es ist ja so, dass nicht die gesamte innere Uhr der Taufliege gleich ist wie die innere Uhr beim Menschen. Da sind Riesenunterschiede. Aber was gleich ist, ist der Mechanismus, der auf molekularer Ebene stattfindet. Und was wirklich erstaunlich ist, dass im Kern die selben Gene bei der Taufliege zum Ticken führen, wie sie es beim Menschen tun. Das ist schon erstaunlich. Aber auf der anderen Seite, wenn sie sich vorstellen, dass die innere Uhr unglaublich alt ist in ihrer Funktion in der Evolutionsgeschichte, dann ist es nicht erstaunlich, dass, als sie angefangen hat in den Tieren zu ticken, als die Tiere sich von den Nicht-Tieren getrennt haben, dass dort etwas erfunden worden ist, was dann auch beibehalten wurde.
    Krauter: Sie haben schon gesagt, die drei haben Gene dingfest gemacht, die im Zusammenspiel dann quasi als Taktgeber in den Zellen funktionieren, in den Zellen verschiedener Organismen. Waren die Experimente damals, in den 1980er-Jahren, der Startschuss für das heute boomende Feld der Chronobiologie?
    Roenneberg: Ich glaube auf jeden Fall, dass die sehr stark dazu beigetragen haben, dass die innere Uhr modern erforschbar ist. Und damit haben wir auch ganz viele Einsichten bekommen, wie sich zum Beispiel Störungen der inneren Uhr auf die Gesundheit auswirken können im Stoffwechsel. Und das wurde alles möglich durch die Genetik und die Identifikation der Gene.
    "Manche Leute sind überhaupt nicht mehr synchronisiert"
    Krauter: Sie betreiben ja auch ein Schlaflabor in München. Was für Leute kommen da zu Ihnen und wie können Sie denen helfen, wieder in den richtigen Takt ihre Zellen sozusagen zu bringen?
    Roenneberg: Na ja, wir haben ein Riesenproblem dadurch, dass wir heutzutage mit sehr schwachen Signalen unsere innere Uhr bestücken. Das heißt, nachts ist nicht Dunkelheit, sondern Licht, bis auf die Zeit, in der wir schlafen, und tagsüber haben wir auch nicht richtig Licht, weil wir in den Büroräumen sitzen oder in den anderen Räumen. Und das führt dazu, dass manche Leute überhaupt nicht mehr synchronisiert sind. Das heißt also, die leben mit einem 25-Stunden-Tag in einer 24-Stunden-Gesellschaft. Das heißt, die sind jeden Tag eine Stunde zu spät dran und können sich nicht mehr synchronisieren. Und diesen Menschen muss geholfen werden. Sie werden immer mehr. Und das können wir, indem wir eben von der Molekularbiologie bis hin zum Schlaflabor, aber auch bis hin zur Anschauung in der Bevölkerung, also Tausende von Menschen betrachten. Da können wir hingehen und diesen Menschen helfen.
    Krauter: Wie kann das konkret aussehen? Verhaltenstherapie und/oder Medikamente?
    Roenneberg: Zunächst einmal, würde ich sagen, sollte man versuchen mit einer Verhaltenstherapie – wobei das keine Verhaltenstherapie im strikten Sinne ist, sondern es ist eine Therapie –, wie man sich Licht und Dunkelheit aussetzt. Das beginnt damit, bei manchen funktioniert es aber auch nicht. Und da wird mittlerweile sehr hart dran gearbeitet, dass man Medikamente entwickelt, die diesen Menschen helfen.
    Krauter: Sind das dann Substanzen, die vielleicht Melatonin ähneln, was ja mancher viel Reisende gegen Jetlag zum Beispiel schluckt?
    Roenneberg: Das wird immer wieder versucht und das funktioniert größtenteils auch, ist aber zurzeit nicht der Tophit in der Forschung, sondern der Tophit in der Forschung ist, Medikamente zu finden, die direkt auf den Signalweg Licht zur inneren Uhr einwirken und damit das Signal wieder verstärken, und eventuell den Menschen dadurch die Möglichkeit geben, wieder synchronisiert leben zu können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.