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Schlaflos in Straßburg

Die Tatsache, dass das Europäische Parlament sich zwei Standorte leistet, Brüssel und Straßburg, kostet Millionen Euro an Transport- und Personalkosten. EU-Mitarbeiter leiden jedoch vor allen an den Straßburger Hotels. Überbucht, überteuert oder überschmutzig - das sind die leidvollen Erfahrungen eines jungen Iren. Wie er den monatlichen Wanderzirkus durchlebt und manchmal auch - leidet, schildert Doris Simon.

    Jetzt um den Jahreswechsel ist Richard More O'Farrell noch ganz ruhig. Das Europäische Parlament macht Weihnachtspause, und Fraktionsmitarbeiter O'Farrell genießt seine Wohnung in Brüssel. Doch er zählt die Tage, denn am 14. Januar geht der Stress wieder los: Dann ist Sitzungswoche des Europäischen Parlamentes in Straßburg. Dann muss Richard so wie 3000 andere für fünf Tage ins Elsass: Abgeordnete und ihre Mitarbeiter, Journalisten, Beamte der Europäischen Kommission und des Rates. Für Richard More O'Farrell ist der Wanderzirkus schlimmer als für die meisten, denn er muss jedes Mal aufs neue auf Zimmersuche gehen:

    "Also es gibt keine Garantie, bis zum letzten Moment, dass man überhaupt ein Zimmer kriegt. Letzten Monat war ich in einem Hotel, das keine Renovierung hatte seit 50 Jahren. Total dreckig mit Flecken auf dem Teppich. Aber trotzdem musste ich über 80 Euro pro Nacht bezahlen."

    Ein Hotelzimmer aufs Jahr, das ist das Ziel aller, die im oder ums Europäische Parlament arbeiten. Doch wer wie Fraktionsmitarbeiter Richard erst zur Mitte der Legislaturperiode angestellt wurde, sucht jeden Monat neu. Sein Traum ist es, eines Tages eine Unterkunft zu finden wie sein Kollege, mitten in der Straßburger Altstadt an der Ill:

    "Zwei Mal hatte ich Glück, diese Wohnung zu kriegen, und natürlich dann ist Straßburg eine total andere Erfahrung. Man muss zu geben, Straßburg ist eine sehr schöne Stadt, und wenn es andere Möglichkeiten zur Übernachtung gäbe, die nicht so schrecklich wären, nicht so stressig wären, dann natürlich wäre Straßburg was anderes. Aber meine Erfahrung jeden Monat hat mich dazu gebracht, Straßburg zu hassen."

    Geschichten vom Zimmermangel hören die Hoteliers in Straßburg gar nicht gern: Das sei nur halb so wild, sagt Jerome Anna, der Direktor und Mitbesitzer des bei Journalisten und Abgeordneten beliebten Hotels Hannon: 72 gepflegte Zimmer hat der Familienbetrieb. Sicher, während der Sitzungswochen des Parlamentes sei es oft eng. Aber:

    " Vor ein paar Tagen noch war das Hotel für heute ausgebucht und nun haben wir heute abends doch fünf, sechs, sieben Zimmer frei. Die sind abgesagt und nicht neu vermietet. Ich finde, es ist nicht gerecht, wenn Leute behaupten, in Straßburg habe man Probleme ein Zimmer zu finden. Die Hochsaison, und dazu gehören die Sitzungswochen des Europaparlamentes, wechselt sich ab mit Zeiten relativer Flaute. Und dann schlagen wir uns darum, die wenigen Gäste in unseren Hotels empfangen zu dürfen. "

    Viele Abgeordnete, Mitarbeiter und Journalisten haben es aufgegeben, in Straßburg zu suchen und wohnen während der Parlamentswoche im Umland oder jenseits des Rheins in Deutschland. Doch dann braucht man ein Auto - keine Lösung für Richard, der so wie viele mit dem Zug von Brüssel nach Straßburg fährt. Doch auch die Stadt Straßburg steckt in der Klemme: Der Hotelengpass während der Sitzungswoche des Europaparlaments ist ein hochpolitisches Problem. Schließlich gibt es viele Europaabgeordnete und andere Politiker, die lieber heute als morgen den Parlamentssitz auf Brüssel beschränken und das teure Pendeln nach Straßburg abschaffen würden.

    Deshalb hat die Stadt nun neue Hotelprojekte genehmigt, auch wenn es sich eigentlich nicht lohnt, nur für die eine Woche ausreichend Zimmer vorzuhalten, um die Parlamentarier und ihren Tross locker zu beherbergen, denn in der parlamentsfreien Zeit stehen in der Stadt jetzt schon viele Zimmer leer. Der Zimmerpreis sinkt dann teilweise bis auf 30 Euro.

    Eigentlich gefällt Richard More O'Farrell Straßburg. Vor Weihnachten wollte er seiner Freundin die Stadt zeigen. Alles sah bestens aus: Eine Frau in der Zimmervermittlung, mit der er inzwischen gute Bekanntschaft geschlossen hat, hatte es trotz Sitzungswoche geschafft, ihm ein Doppelzimmer für drei Nächte zu besorgen. Am Ende war es eine Enttäuschung mehr: Ein Einzelzimmer mit dreckigen Laken und schmutzigem Bad.