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Schlaflos in unendlich vielen Universen

Physik. - Noch immer beschäftigen Wissenschaftler grundlegende, ungelöste Fragen der Kosmologie. So ist die Natur von Materie und Zeit ebenso wenig geklärt wie die Ursachen der beschleunigten Ausdehnung des Universums. Ein Symposium des "Exzellenzcluster Universum" in Garching gab dazu Raum zur Diskussion.

Von Dirk Lorenzen |
    Sein Fach bringe ihn schon manchmal um den Schlaf, räumt Joseph Silk ein. Der Savilian Professor für Astronomie an der englischen Universität Oxford ist einer der renommiertesten Kosmologen weltweit. Doch auch er ringt mit einem buchstäblich weltbewegenden Problem.

    "Die Dunkle Energie dominiert das Universum. Aber die Forscher haben keine Ahnung, was sie ist, warum sie so klein ist und warum sie gerade jetzt beginnt, das Universum immer schneller auseinander zu treiben. Der Grund für die Schlaflosigkeit ist, dass die derzeit beste Theorie, die diese bizarren Eigenschaften des Universums erklärt, zugleich eine riesige Anzahl anderer Universen postuliert. Nach der "ewigen Inflation" ist kurz nach dem Urknall nicht nur unser Universum entstanden, sondern zahllose andere auch. Bis heute bilden sich ständig neue Universen, die Zahl könnte irgendwo bei zehn hoch 500 liegen, einer eins mit 500 Nullen. Da stellen sich Fragen, die mit heutiger Physik nicht zu erklären sind, sondern wohl eher mit Metaphysik zu tun haben."

    Nach der Inflationstheorie hat sich unser Universum unmittelbar nach dem Urknall von winzigster Größe auf enorme Ausmaße aufgebläht. Allerdings sollte es diese Inflation immer wieder geben. Ständig platzen – quasi aus dem Nichts – neue Universen hervor, die unserer Welt verborgen bleiben. Die Zahl ist mittlerweile absurd hoch, eben irgendwo bei zehn hoch 500, wobei es da auf ein paar Nullen mehr oder weniger auch nicht mehr ankommt. Metaphysik allein wird nicht helfen, gute Beobachtungen müssen her, erklärt Joseph Silk:

    "Die kosmische Hintergrundstrahlung zeigt einige bizarre Auffälligkeiten. So sind die beobachteten Dichteschwankungen am Nordhimmel zehn Prozent stärker als am Südhimmel. Vielleicht ist das Zufall oder ein Fehler in der Datenverarbeitung. Es könnte aber auch ein Hinweis darauf sein, dass das Universum auf großen Skalen etwas schief ist. Demnach wäre das Universum doch begrenzt – zwar sehr groß, aber eben nicht unendlich. Ein endliches Universum aber wäre der Todesstoß für die Theorie, nach der es eine Unmenge möglicher Universen gäbe."

    Die ewige Inflation funktioniert nur in einem unendlichen Universum – es könnte ohne weiteres unendlich viele unendliche Universen geben, so abstrus das klingen mag. Sollte sich bei künftigen Beobachtungen der Hintergrundstrahlung mit dem Esa-Satelliten Herschel-Planck das Universum tatsächlich als schief und damit begrenzt erweisen, stünde die Kosmologie vor einem riesigen Umbruch. Aber damit wäre es um den Schlaf von Joseph Silk noch immer nicht viel besser bestellt.

    "Ich halte Dunkle Materie für ein noch größeres Problem als die Dunkle Energie. Denn die Dunkle Materie kann man im Prinzip anfassen und sie muss hier in unserer Milchstraße in Massen vorkommen. Dennoch weiß niemand, woraus die Dunkle Materie besteht. Vermutlich sind es schwach reagierende Elementarteilchen. Ich bin ganz optimistisch, dass neue Beschleuniger-Experimente innerhalb eines Jahrzehnts erste Hinweise darauf entdecken werden. Wenn nicht, müssen wir wohl die Theorien überarbeiten."

    Heutzutage sind die Kosmologen nicht mehr allein auf das Nachdenken angewiesen. Dank neuer Messinstrumente und Teleskope lassen sich Aufbau und Entwicklung der Welt immer besser beobachten. Die neuen Daten zwingen die Forscher in der Regel zu neuen Theorien, denn – so klagt Joseph Silk schmunzelnd – das Universum mache es einem leider nicht leicht.

    http://www.universe-cluster.de/symposium2008.php