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Schlagabtausch am Ende der Welt

Rund 35.000 amerikanische Soldaten sind in Japan stationiert, drei Viertel von ihnen allein auf Okinawa. Durch ihre massive Militärpräsenz haben die Amerikaner bei den Einheimischen einen schweren Stand. Einen intensiven Austausch gibt es selten, eine der wenigen Ausnahmen: Baseball.

Von Ronny Blaschke und Felix Lill | 01.05.2013
    Ein Sonntagmorgen im Camp Foster, die Sonne steht hoch am Himmel, Staub weht über das Gelände Es ist ruhig auf dem Stützpunkt der US-Luftwaffe, nur auf dem Baseballfeld ertönt Gelächter. Gabriel Salas lässt die Gittertür ins Schloss fallen, legt seine Sporttasche auf der Stahltribüne ab, streift sich ein dunkelblaues Trikot über. Hinter ihm öffnet sich ein weites Feld, Baracken, Geländefahrzeuge, Strommasten. Salas ist 23 Jahre alt, er ist seit 14 Monaten auf Okinawa stationiert, seine Heimat Kalifornien ist 10000 Kilometer entfernt.

    "’Ich denke, es ist wirklich wichtig, die Menschen kennenzulernen. Wir sind Gäste in einem fremden Land, das ist ihr Grund und Boden. Wir Amerikaner sollten nicht isoliert leben, sondern uns auf die Kultur der Japaner einlassen. Wir mögen viele Unterschiede haben, aber ich suche lieber nach Gemeinsamkeiten. Wir haben Hobbys und Aktivitäten, die uns näher bringen, zum Beispiel Baseball.’"

    Gabriel Salas schnürt seine Schuhe und betritt das sandige Spielfeld. Im Internet hat er von den "Kadena Air Base Eagles" erfahren, einem Baseballteam, das sich aus Mitgliedern der Air Force zusammensetzt. An diesem Morgen trifft die Mannschaft auf die "Onions", auf Spieler, die auf Okinawa geboren und aufgewachsen sind. Sie klatschen einander ab, lachen zusammen. Japaner begegnen Amerikanern auf Augenhöhe, ein seltenes Bild auf Okinawa.

    Okinawa, 500 Kilometer südwestlich der japanischen Hauptinseln gelegen, wurde als die Insel des Todes bezeichnet. Im Frühjahr 1945 leitete eine der größten Seeschlachten der Geschichte die Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg ein, 120000 Menschen starben. Die Inselgruppe wurde von den USA besetzt und zu einem Vorposten im West-Pazifik ausgebaut. Es entstanden Landebahnen, Kasernen, Übungsplätze, Lager für Waffen und Giftgas. 37 militärische Einrichtungen, die ein Fünftel der Insel bedecken. Während des Koreakrieges und des Vietnamkriegs war Okinawa der wichtigste US-Stützpunkt in Ostasien. 1972 gaben die Amerikaner die Verwaltung an Japan zurück, doch ihre Truppen sind geblieben. Bis heute.

    Die wichtigste Gedenkstätte liegt an der Südküste Okinawas. Auf grauen Marmorblöcken sind die Namen der Opfer eingraviert. Das breitflächig angelegte Mahnmal grenzt an das Friedensmuseum. Dokumente, Fotos und Filmaufnahmen zeugen von den einzigen Gefechten, die während des Krieges auf japanischem Boden stattgefunden haben. Vor allem Schulklassen informieren sich hier, sagt der Kurator Maehira Nobuyoshi, amerikanische Gäste sehe er dagegen selten. Der frühere Lehrer argumentiert umsichtig, aber wenn er auf die Militärbasen zu sprechen kommt, schwillt seine Stimme an.

    "’Ich denke, dass Japan noch immer von den Amerikanern besetzt ist. Ich mag die amerikanische Kultur, die Filme, die Musik, aber nicht das Militär. Ich möchte, dass die Amerikaner verschwinden. Okinawa ist der gefährlichste Ort der Welt, die Amerikaner sind hier, also sind wir ein potenzielles Ziel, für Nordkorea oder für China. Die Amerikaner sagen, sie wollen uns beschützen, aber das stimmt nicht. Sie wollen vor allem sich selbst schützen.’"

    Im Camp Foster zieht Gabriel Salas seine Baseball-Mütze tief ins Gesicht, um nicht geblendet zu werden. Seit seiner Jugend in San Diego schlägt er gegen Bälle. Bevor er sich für die Air Force entschied, spielte er für eine Jugendauswahl. Nun ist Baseball für ihn Ablenkung und Stressabbau. Die Partie gegen die "Onions" verläuft ausgeglichen und fair. Salas kennt die Vorurteile, die die Bewohner Okinawas den Amerikanern entgegen bringen. Außerhalb der Basis, im Supermarkt oder im Kino, stellt sich der Sohn von Einwanderern manchmal als Mexikaner vor, um unangenehmen Blicken aus dem Weg zu gehen.

    "’Ich kenne die Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Wir werden vor unserem Dienstbeginn über die japanische Kultur informiert. Wir wollen nie respektlos erscheinen, also halten wie uns an Gepflogenheiten. Für eine gute Integration sollten wir zusammen und nicht nebeneinander leben, doch das ist bei unterschiedlichen Sprachen schwer. Die Baseball-Spiele helfen uns, Klischees zu überwinden. Das verbessert unsere Beziehungen.’"

    Baseball ist Nationalsport, in den USA und in Japan. Im Frühling wird Okinawa traditionell zum japanischen Baseballzentrum, dann bereiten sich viele Profiteams des Festlandes auf die Saison vor. Ihre Trainingseinheiten und Testspiele werden auch von hunderten Amerikanern verfolgt. Sie wollen sehen, wie sich einige ihrer Landsleute in japanischen Mannschaften behaupten. Und sie wollen sehen, wer sich in Fernost für die Major League Baseball empfiehlt, für die nordamerikanische Profiliga. Es hat schon US-Profis gegeben, die auf Okinawa geboren wurden. Gabriel Salas lächelt und schaut auf die Tribüne hinauf, seine Frau applaudiert. Mehr als 22000 Mitglieder hat das amerikanische Militär auf Okinawa, mit ihnen leben 19000 Familienangehörige.

    Zehn Kilometer südlich, am Militärflughafen Futenma, mitten in der Stadt Ginowan. Tag für Tag demonstrieren ältere Bewohner gegen die Amerikaner. Mit ihren roten Westen stehen sie am Eingangstor, neben Stacheldraht, und recken Transparente den Autofahrern auf der Straße entgegen. Sie klagen gegen Fluglärm und Umweltverschmutzung, gegen steigendes Krebsrisiko und die wachsende Sexindustrie im Umfeld der Basen. Sie verweisen auf die umgerechnet 20 Milliarden Euro, die der Unterhalt der Stützpunkte den japanischen Steuerzahler kostet. Und sie erinnern an Unfälle und Straftaten: 2004 stürzte ein Hubschrauber in die Universität von Ginowan, verletzt wurde nur der Pilot. Wiederholt vergewaltigten Amerikaner japanische Frauen, zuletzt im Oktober. Monate lang durften Militärangehörige danach keinen Alkohol außerhalb der Stützpunkte trinken, vor Mitternacht mussten sie in ihren Wohnungen sein.

    "’Wir liegen unter dem Mikroskop und werden genau beobachtet. Das Verbrechen von wenigen hat große Auswirkungen auf alle, es hat sogar internationale Konsequenzen, das ist schrecklich und erschwert unsere Mission ungemein.’"

    Christopher Anderson leitet die Öffentlichkeitsarbeit in Kadena, dem größten Stützpunkt auf Okinawa. Es ist seine elfte Station in der Air Force, er war schon in Alaska, Spanien, Kuwait oder im Irak. Wie immer geht er auf die einheimischen Journalisten zu, lädt sie zu Gesprächen ein, will ihnen differenzierte Informationen geben. Anderson wägt jedes Wort ab. Er sagt, er habe schlechte Erfahrungen gemacht, wurde falsch zitiert. Die meisten Medien Okinawas würden die USA auf ihre Militärpräsenz reduzieren. Dabei sind vor allem Handel und Gastronomie auf Okinawa von den Amerikanern abhängig.

    "’Ich werde nicht die Schlagzeilen ändern, ich werde nicht die Sensationslust ändern. Ich kann nur versuchen, die Beziehungen zu verbessern, in dem ich mich verantwortungsbewusst zeige. Und indem ich Themen anspreche, die viele Journalisten nicht auf dem Plan habe. Wir veranstalten zum Beispiel ein Amerika-Fest auf der Basis, dann öffnen wir alle Türen, damit die Einheimischen ihre Fragen loswerden können. Ganz wichtig sind uns auch die Special Olympics, die wir seit 1999 auf der Airbase austragen. Mehr als 1000 junge Athleten mit Behinderung bestreiten Wettbewerbe und haben einen besonderen Tag. Wir laden alle Einwohner ein, damit wir dieses Fest gemeinsam veranstalten können.’"

    Okinawa ist die kleinste und ärmste Präfektur Japans, die Bewohner fühlen sich von der 1600 Kilometer entfernten Hauptstadt Tokio im Stich gelassen. Air Force und Politiker nutzen den Sport zur Verständigung. Deutlich wird das beim Okinawa-Marathon, einem der größten Läufe Ostasiens, mit 17000 Teilnehmern. Christopher Anderson und seine Kollegen bauen Versorgungsstände entlang der US-Stützpunkte auf, helfen bei der Organisation oder gehen selbst auf die Strecke.

    Das Baseballspiel in Camp Foster ist zu Ende. Die Auswahl der Air Force hat 8:3 gegen die einheimischen Onions gewonnen. Kapitän der Japaner ist Atsushi Yamamoto, seinen wahren Namen möchte er nicht nennen. Yamamoto arbeitet auf dem Stützpunkt für einen Sicherheitsdienst, er sagt, das Thema sei heikel und er wolle keine Probleme bekommen. Der 44-Jährige führt auch ein Drachenboot-Team an, zu den Rennen lädt er auch Amerikaner ein. Doch nun hat er es eilig, er klopft sein Schuhe ab und steckt seine rote Mütze in die Tasche. Gibt es keinen Austausch nach dem Spiel?

    "’Nein, denn wir haben ja alle unsere Familien. Nach den Spielen fahren wir nach Hause und verbringen unsere Zeit mit ihnen. Aber in der Zukunft sollten wir das ändern. Nach den Spielen könnten wir grillen oder an den Strand gehen. Durch Baseball können Freundschaften entstehen. Wir können miteinander sprechen, das ist großartig.’"

    Für die Reporter posieren die Mannschaften für ein gemeinsames Foto. Sie lachen, aber ausführliche Gespräche ergeben sich nicht. Von den Air-Force-Mitgliedern kann niemand Japanisch. Und Atsushi Yamamoto ist der einzige Gastgeber, der Englisch spricht. Er sagt, Worte seien nicht immer ausschlaggebend. So spielen Japaner und Amerikaner auf Okinawa gemeinsam Baseball – aber leben dann doch nebeneinander.