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Schlagartiger Stau

Physik. - Suspensionen sind Stoffgemische aus einer Flüssigkeit mit fein verteilten Partikeln darin. Schwimmen hinreichend viele Partikel darin, können sich solche Suspensionen schlagartig verfestigen, wenn man Druck auf sie ausüben. Was genau bei diesem Phasenübergang passiert, das haben Forscher der Universität von Illinois in Chicago jetzt in "Nature" vorgestellt. Chef der Arbeitsgruppe ist der deutsche Physikprofessor Heinrich Jaeger

Heinrich Jaeger im Gespräch mit Ralf Krauter |
    Krauter: Herr Jaeger, was war denn so interessant an Suspensionen?

    Jaeger: Was für uns dabei interessant war, ist, dass das Phänomen überhaupt, was man damit in Zusammenhang bringt - nämlich dass eine flüssigkeitsähnliche Suspension sich doch wie ein Festkörper verhält - dieses Phänomen mit den normalen Modellen eigentlich nicht erklärbar war. Das interessante dabei war, dass man einfach nicht erklären konnte, wieso zum Beispiel es möglich ist, auf so einer Suspension, oder über so eine Suspension zu laufen. Und da haben wir uns eben gefragt: Gibt es vielleicht noch andere Mechanismen, die vielleicht verantwortlich sind dafür? Und unsere Idee, und das haben unsere Experimente gezeigt, hängt damit zusammen, dass es sich eigentlich um eine dynamische Stauung handelt. Dass sich sozusagen dynamisch durch den Stoß beispielsweise ein Stau bildet, lokal, und dass eine Stauwelle sich in das ursprünglich flüssigkeitsähnliche Material hinein bewegt und es dabei lokal in einen Festkörper verwandelt.

    Krauter: Also die Partikel in dieser Suspension werden durch den Stoß dazu gebracht, dass sie sich quasi gegenseitig blockieren. Kann man das so sagen?

    Jaeger: Das kann man so sagen. Die Idee ist mehr oder weniger, dass die Teilchen sowieso schon an der Schwelle eines Phasenübergangs gewesen sein müssen. Also die Suspension ist ungefähr eine 50:50-Mischung zwischen einer Flüssigkeit und Partikeln. Bei dieser Dichte von Partikeln braucht es eben nur einen kleinen Anstoß, um dann lokal es in ein festkörperähnlichen Zustand zu verwandeln.

    Krauter: Wie sieht der Versuchsaufbau aus, mit dem sie ihre Experimente durchgeführt haben?

    Jaeger: Die Idee war, einen aquariumähnlichen Bottich mit einem solchen Material zu füllen, und dann mit einem Stahlstempel von oben drauf zu drücken.

    Krauter: Und die Suspension selbst war eine Mischung aus Maisstärke?

    Jaeger: Richtig, Maisstärke ist es einfach nur aus praktischen Gründen gewesen. Wir behaupten eben, dass jede Suspension, das heißt, jede Mischung von kleinen Teilchen und einer Flüssigkeit, zum Beispiel Wasser oder Öl, sich ähnlich verhalten würde. Aber Maisstärke war eben einfach zu bekommen und ist sehr einfach anzuwenden.

    Krauter: Wie kann man sich das vorstellen? Also diese dynamische Staufronten, von denen Sie sprachen?

    Jaeger: Ja, so, unser Modell, wenn man es ganz auf das Wesentliche reduziert, ist eigentlich so ähnlich, wie man sich das vorstellen kann, wenn man im Winter Schnee räumt und so eine Schaufel in den Schnee hineinsteckt und dabei doch merkt, dass es doch einfach immer schwieriger wird, weiter zu schieben, den Schnee vor sich herzuschieben. Weil sich vor der Schaufel so eine Staufront aufbaut. Und so ähnlich passiert das, natürlich jetzt dynamisch gesehen, auch, wenn man auf eine Suspension tritt, oder diesen Stempel schnell drauf drückt, dann bildet sich eben unterhalb dieses Stempels dynamisch so eine Front aus und je weiter man drückt, desto weiter wächst diese Front. Und das macht es eben möglich, zum Beispiel, über ein flüssigkeitsähnliches System, so eine Suspension, zu laufen. Man baut sozusagen unterhalb des Fußes momentan schnell einen Eisberg auf.

    Krauter: Das heißt, dann wäre der Überlebenstrick für alle Fälle möglichst fest auftreten, wenn man in Treibsand gerät?

    Jaeger: Auf Treibsand, da will ich mich nicht festlegen. Aber für diese Suspensionen auf alle Fälle. Wenn man über eine solche Suspension laufen möchte und nicht einsinken möchte, dann zwei Tipps: einerseits recht schnell und zweitens recht stark aufzutreten.

    Krauter: Sehen Sie denn praktische Implikationen für diese Ergebnisse?

    Jaeger: Zunächst einmal ist es natürlich wissenschaftlich hochinteressant, weil es eines dieser Phänomene ist, die bisher nicht erklärbar waren. Jetzt, was Anwendungen betrifft, würde ich mir vorstellen, dass es in Richtung Energiedissipation sehr wichtig sein könnte, so eine Art Stoßdämpfer können wir uns vorstellen, zum Beispiel für Anwendungen im Sport oder Dissipation, wo weiche Materialien gedämpft werden sollen.