Immerhin, die beiden Autoren zeigen sich auf dem Umschlag nicht am Schachbrett. Insofern ist der strategische Subtext des Buches auf den ersten Blick weniger plump als es bei Helmut Schmidt und Peer Steinbrück der Fall war.
Seriös - weißes Hemd, Krawatte, dunkles Jackett, so schauen Hans Dietrich Genscher und Christian Lindner in die Kamera. 50 Lebensjahre liegen zwischen ihnen, der Titel Brückenschläge erklärt sich so schnell und zunächst unverdächtig. Doch die politische Botschaft, sie ist durch den Blick des Älteren und mehr noch durch die grob 250 folgenden Seiten offensichtlich. Der erfahrene, mit allen Wassern gewaschene Genscher, bürgt für den jungen Hoffnungsträger Lindner. Und auch wenn sich Christian Lindner im Buch selbstbewusst und auf Augenhöhe mit dem FDP-Übervater zeigt, weiß er doch, wer hier in erster Linie profitiert:
Christian Lindner:
"Ich glaube, dass die Politik sehr stark von Erfahrungswissen, langen historischen Linien leben sollte, und da man als jüngerer Politiker nicht aus eigenem Erleben darüber verfügt, suche ich den Austausch beispielsweise mit Hans Dietrich Genscher."
In den ersten 40 Seiten befragen sich die Autoren zur Vita des jeweils anderen. Kriegserlebnisse Genschers 1945 sorgen für die langen historischen Linien, politische Anfänge Lindners in der Schülervertretung in Wermelskirchen unterstreichen die zeitliche Distanz. Die beiden Parteifreunde siezen sich. "Wie fing alles bei Ihnen an, Herr Lindner?", so liest sich der Diskurs, der dann doch häufig zur Plauderei gerät. Lindner verteidigt diese Gesprächsform:
Christian Lindner:
"Weil man den Gesprächspartnern, wie Kleist sagen würde, beim Verfertigen der Gedanken zuschauen kann, es ist kein geschlossenes Konzept, sondern es hat Tempo, es gibt Brüche, es gibt dann auch Selbstkorrekturen im Gespräch, es ist ein Blick über die Schulter, und das finde ich persönlich attraktiv und unterhaltsam."
Das mit den Brüchen und den Korrekturen hält sich in engen Grenzen. Es bleibt die Tatsache, dass hier zwei Liberale miteinander reden. 50 Jahre Altersunterschied garantieren deshalb keine Spannung, im Gegenteil. Nach Kritik am jeweils anderen muss man mit der Lupe suchen. In der Europapolitik etwa argumentiert Genscher nachvollziehbar aus der Perspektive einer Kriegsgeneration, unterstreicht das Friedensprojekt Europa. Lindner hält dagegen, Zitat: "Für meine Großeltern war Europa Frieden, für meine Eltern war Europa Wohlstand, für mich ist Europa Freiheit." Oder mit Blick auf den Stellenwert Frankreichs liest sich Lindners Position so:
Wenn es eine Debatte über Reformen der Europäischen Union gibt, dann kommt einer Verständigung von Deutschland, Frankreich und Großbritannien eine besondere Rolle zu, nicht allein wegen der Größe, sondern weil alle drei unterschiedliche Leitbilder und Interessen vertreten.
Im Buch wendet Hans Dietrich Genscher dazu ein:
Mit dieser Vorstellung werden sie der Besonderheit der deutsch-französischen Beziehungen nicht gerecht, sie ist und bleibt herausragend in ihrer Bedeutung und lässt sich deshalb nicht einebnen, lieber Herr Lindner.
Es gibt andere Beispiele, etwa wenn die beiden FDP-Politiker im Rahmen einer Diskussion um neue Regeln für die Finanzmärkte den Begriff Kapitalismus problematisieren und sich auf die Bezeichnung "Verantwortungswirtschaft" einigen, in der, Zitat: "Handeln und Haften nicht getrennt werden dürfen." Doch wie könnte es anders sein: Grundsätzlich dominiert der Konsens.
Immer wieder sagt der eine zum anderen. "Dem stimme ich zu" oder "Darauf wollte ich hinaus" oder "Das teile ich" oder "Das haben Sie gut erklärt". Mitunter schiebt Genscher seinen Schützling geradezu demonstrativ auf die Bühne, etwa, wenn er zum Beispiel beim Thema Bildung, Lindner Expertenwissen bescheinigt und hinzufügt: "Deshalb will ich jetzt erst einmal zuhören. Also, was tun?" Schon relativ früh im Buch attestiert Genscher dem jungen Partei- und Fraktionsvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen politische Reife. Lindner erklärt seinen Rücktritt als FDP-Generalsekretär schnell mit unterschiedlichen Vorstellungen in der Parteiführung und beschreibt seinen anschließenden Aufstieg im Wahlkampf von NRW im Buch so:
Wenn ich wieder Führungsverantwortung übernehme, dann richtig mit wirklichen Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der politischen Projekte, der Strategie und des Stils, das hatte ich mir nach der Berliner Erfahrung geschworen. Deshalb war mir wichtig, auch den Landesvorsitz zu beanspruchen, damit ich als Spitzenkandidat bereits im Wahlkampf auf Augenhöhe mit den Wettbewerbern agieren konnte.
Der fluchtartige Rückzug aus Berlin, Christian Lindner hat seinerzeit politisch auch Prügel dafür bekommen. Hans Dietrich Genscher jedoch zeigt Verständnis, bedauerlich, aber solche Situationen gibt es, so sein Urteil. Im Rückblick, nach dem
FDP-Erfolg in NRW fällt sein Urteil so aus:
Wissen Sie, vor einem Jahr standen Sie auf dem Prüfstand. Gewogen und bestanden. Das bedeutet Anerkennung und Respekt, aber, Herr Lindner, es ist auch Verpflichtung. Die Partei braucht Sie, im Land als Vorsitzender von Partei und Fraktion aber auch in der Verantwortung in der Führung der Bundespartei.
Ach ja, die Partei! Auch wenn die aktuellen Nöte der Liberalen hier und da kurz aufblitzen, als eigenständiges Thema wird die FDP erst ganz am Ende und vergleichsweise kursorisch reflektiert. Wer nach Spitzen in Richtung Philipp Rösler sucht, wird weitgehend enttäuscht. Obwohl, es gibt da einen bemerkenswerten Schlenker. Lindner bestätigt, 2011 als Kandidat für den Vorsitz der Bundespartei schlicht zu jung gewesen zu sein und malt ein Bild, dass durch die öffentliche Meinung unweigerlich auf den amtierenden Parteichef Rösler zurückfällt:
Stellen Sie sich mal vor, Treffen der Koalitionsspitze, die Kanzlerin steigt aus ihrer Limousine, der grauhaarige Seehofer fährt vor und dann kommt der dritte Wagen mit dem FDP Chef, bremst und: Ein Klassensprecher steigt aus!
Und Genscher sekundiert:
Dass Sie das so empfinden zeigt, dass Sie in Einsicht und
Verantwortung ihr Lebensalter hinter sich gelassen haben.
Die inhaltliche Verengung auf das politische Ziel Steuersenkungen, die Reduzierung der Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen, aus Sicht Genschers und Lindners politische Fehler der FDP in dieser Legislaturperiode. Aus heutiger Sicht keine originelle, im Gegenteil, eine fast banale Bewertung. Brücken bauen - so ist auch dieses Schlusskapitel des Buchs überschrieben. Nahrung für die Fantasie all derjenigen, die sich nach der Bundestagswahl auch eine Ampel vorstellen können. Genscher erinnert an die Leistungen der sozialliberalen Koalition, Lindner bekräftigt, in der SPD genauso viele Gesprächspartner zu haben wie in der Union. Das Ganze gipfelt im eigentlichen Ritterschlag durch Hans Dietrich Genscher. 'Ja, schlagen Sie Brücken, Herr Lindner. Sie können das.', lautet der letzte Satz des Buches. Nach strategischem Subtext muss man da nicht mehr suchen. Die Autoren haben sich ehrlich gemacht.
Hans-Dietrich Genscher/Christian Lindner:
Brückenschläge. Zwei Generationen, eine Leidenschaft, Hoffmann und Campe, 240 Seiten, 19,99 Euro
ISBN: 978-3-45550-296-1
Seriös - weißes Hemd, Krawatte, dunkles Jackett, so schauen Hans Dietrich Genscher und Christian Lindner in die Kamera. 50 Lebensjahre liegen zwischen ihnen, der Titel Brückenschläge erklärt sich so schnell und zunächst unverdächtig. Doch die politische Botschaft, sie ist durch den Blick des Älteren und mehr noch durch die grob 250 folgenden Seiten offensichtlich. Der erfahrene, mit allen Wassern gewaschene Genscher, bürgt für den jungen Hoffnungsträger Lindner. Und auch wenn sich Christian Lindner im Buch selbstbewusst und auf Augenhöhe mit dem FDP-Übervater zeigt, weiß er doch, wer hier in erster Linie profitiert:
Christian Lindner:
"Ich glaube, dass die Politik sehr stark von Erfahrungswissen, langen historischen Linien leben sollte, und da man als jüngerer Politiker nicht aus eigenem Erleben darüber verfügt, suche ich den Austausch beispielsweise mit Hans Dietrich Genscher."
In den ersten 40 Seiten befragen sich die Autoren zur Vita des jeweils anderen. Kriegserlebnisse Genschers 1945 sorgen für die langen historischen Linien, politische Anfänge Lindners in der Schülervertretung in Wermelskirchen unterstreichen die zeitliche Distanz. Die beiden Parteifreunde siezen sich. "Wie fing alles bei Ihnen an, Herr Lindner?", so liest sich der Diskurs, der dann doch häufig zur Plauderei gerät. Lindner verteidigt diese Gesprächsform:
Christian Lindner:
"Weil man den Gesprächspartnern, wie Kleist sagen würde, beim Verfertigen der Gedanken zuschauen kann, es ist kein geschlossenes Konzept, sondern es hat Tempo, es gibt Brüche, es gibt dann auch Selbstkorrekturen im Gespräch, es ist ein Blick über die Schulter, und das finde ich persönlich attraktiv und unterhaltsam."
Das mit den Brüchen und den Korrekturen hält sich in engen Grenzen. Es bleibt die Tatsache, dass hier zwei Liberale miteinander reden. 50 Jahre Altersunterschied garantieren deshalb keine Spannung, im Gegenteil. Nach Kritik am jeweils anderen muss man mit der Lupe suchen. In der Europapolitik etwa argumentiert Genscher nachvollziehbar aus der Perspektive einer Kriegsgeneration, unterstreicht das Friedensprojekt Europa. Lindner hält dagegen, Zitat: "Für meine Großeltern war Europa Frieden, für meine Eltern war Europa Wohlstand, für mich ist Europa Freiheit." Oder mit Blick auf den Stellenwert Frankreichs liest sich Lindners Position so:
Wenn es eine Debatte über Reformen der Europäischen Union gibt, dann kommt einer Verständigung von Deutschland, Frankreich und Großbritannien eine besondere Rolle zu, nicht allein wegen der Größe, sondern weil alle drei unterschiedliche Leitbilder und Interessen vertreten.
Im Buch wendet Hans Dietrich Genscher dazu ein:
Mit dieser Vorstellung werden sie der Besonderheit der deutsch-französischen Beziehungen nicht gerecht, sie ist und bleibt herausragend in ihrer Bedeutung und lässt sich deshalb nicht einebnen, lieber Herr Lindner.
Es gibt andere Beispiele, etwa wenn die beiden FDP-Politiker im Rahmen einer Diskussion um neue Regeln für die Finanzmärkte den Begriff Kapitalismus problematisieren und sich auf die Bezeichnung "Verantwortungswirtschaft" einigen, in der, Zitat: "Handeln und Haften nicht getrennt werden dürfen." Doch wie könnte es anders sein: Grundsätzlich dominiert der Konsens.
Immer wieder sagt der eine zum anderen. "Dem stimme ich zu" oder "Darauf wollte ich hinaus" oder "Das teile ich" oder "Das haben Sie gut erklärt". Mitunter schiebt Genscher seinen Schützling geradezu demonstrativ auf die Bühne, etwa, wenn er zum Beispiel beim Thema Bildung, Lindner Expertenwissen bescheinigt und hinzufügt: "Deshalb will ich jetzt erst einmal zuhören. Also, was tun?" Schon relativ früh im Buch attestiert Genscher dem jungen Partei- und Fraktionsvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen politische Reife. Lindner erklärt seinen Rücktritt als FDP-Generalsekretär schnell mit unterschiedlichen Vorstellungen in der Parteiführung und beschreibt seinen anschließenden Aufstieg im Wahlkampf von NRW im Buch so:
Wenn ich wieder Führungsverantwortung übernehme, dann richtig mit wirklichen Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der politischen Projekte, der Strategie und des Stils, das hatte ich mir nach der Berliner Erfahrung geschworen. Deshalb war mir wichtig, auch den Landesvorsitz zu beanspruchen, damit ich als Spitzenkandidat bereits im Wahlkampf auf Augenhöhe mit den Wettbewerbern agieren konnte.
Der fluchtartige Rückzug aus Berlin, Christian Lindner hat seinerzeit politisch auch Prügel dafür bekommen. Hans Dietrich Genscher jedoch zeigt Verständnis, bedauerlich, aber solche Situationen gibt es, so sein Urteil. Im Rückblick, nach dem
FDP-Erfolg in NRW fällt sein Urteil so aus:
Wissen Sie, vor einem Jahr standen Sie auf dem Prüfstand. Gewogen und bestanden. Das bedeutet Anerkennung und Respekt, aber, Herr Lindner, es ist auch Verpflichtung. Die Partei braucht Sie, im Land als Vorsitzender von Partei und Fraktion aber auch in der Verantwortung in der Führung der Bundespartei.
Ach ja, die Partei! Auch wenn die aktuellen Nöte der Liberalen hier und da kurz aufblitzen, als eigenständiges Thema wird die FDP erst ganz am Ende und vergleichsweise kursorisch reflektiert. Wer nach Spitzen in Richtung Philipp Rösler sucht, wird weitgehend enttäuscht. Obwohl, es gibt da einen bemerkenswerten Schlenker. Lindner bestätigt, 2011 als Kandidat für den Vorsitz der Bundespartei schlicht zu jung gewesen zu sein und malt ein Bild, dass durch die öffentliche Meinung unweigerlich auf den amtierenden Parteichef Rösler zurückfällt:
Stellen Sie sich mal vor, Treffen der Koalitionsspitze, die Kanzlerin steigt aus ihrer Limousine, der grauhaarige Seehofer fährt vor und dann kommt der dritte Wagen mit dem FDP Chef, bremst und: Ein Klassensprecher steigt aus!
Und Genscher sekundiert:
Dass Sie das so empfinden zeigt, dass Sie in Einsicht und
Verantwortung ihr Lebensalter hinter sich gelassen haben.
Die inhaltliche Verengung auf das politische Ziel Steuersenkungen, die Reduzierung der Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen, aus Sicht Genschers und Lindners politische Fehler der FDP in dieser Legislaturperiode. Aus heutiger Sicht keine originelle, im Gegenteil, eine fast banale Bewertung. Brücken bauen - so ist auch dieses Schlusskapitel des Buchs überschrieben. Nahrung für die Fantasie all derjenigen, die sich nach der Bundestagswahl auch eine Ampel vorstellen können. Genscher erinnert an die Leistungen der sozialliberalen Koalition, Lindner bekräftigt, in der SPD genauso viele Gesprächspartner zu haben wie in der Union. Das Ganze gipfelt im eigentlichen Ritterschlag durch Hans Dietrich Genscher. 'Ja, schlagen Sie Brücken, Herr Lindner. Sie können das.', lautet der letzte Satz des Buches. Nach strategischem Subtext muss man da nicht mehr suchen. Die Autoren haben sich ehrlich gemacht.
Hans-Dietrich Genscher/Christian Lindner:
Brückenschläge. Zwei Generationen, eine Leidenschaft, Hoffmann und Campe, 240 Seiten, 19,99 Euro
ISBN: 978-3-45550-296-1