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Schlangen in Nadelstreifen

Psychologie. - Wenn sie bei der Arbeit schon öfter mal das Gefühl hatten, ihr Chef tickt nicht ganz richtig, dann ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass sie richtig liegen - vorausgesetzt ihr Chef zählt zur Führungsebene ihrer Firma. Ein amerikanischer Psychologe kommt jetzt aufgrund empirischer Analysen nämlich zu dem Schluss, dass sich in den Chefetagen großer Konzerne und Behörden, eine Reihe von Psychopathen tummelt. Dass diese meist unerkannt bleiben, liegt daran, dass typische Züge ihres krankhaften Charakters oft als Führungsqualitäten angesehen werden.

Von Ralf Krauter | 01.09.2004
    Psychopathen sind Menschen, die nicht in der Lage sind, Mitgefühl für andere zu empfinden. Sie sind sprunghaft, verstehen das Leben als Spiel und freuen sich, wann immer es ihnen gelingt, sich zu Lasten anderer einen Vorteil zu verschaffen. Psychologen schätzen, dass zwischen ein und zwei Prozent der Bevölkerung psychopathische Charakterzüge haben. In den Führungsetagen liegt die Quote aber vermutlich deutlich höher. Auf rund 10 Prozent schätzt sie Paul Babiak. Genaue Zahlen hat der Psychologe aus New York zwar nicht, aber er kennt sich aus in den Chefetagen. Im Auftrag einer Unternehmensberatung gibt er seit über 15 Jahren Seminare für leitende Angestellte großer Firmen.

    Nachdem ich Hunderte von leitenden Angestellten getroffen hatte, bemerkte ich, dass es ein paar darunter gab, die sich anders verhielten als der Rest. Das weckte meine Neugier, ich ging der Sache nach und kam zu dem Schluss, dass diese Leute psychopathische Charakterzüge hatten.

    Insgesamt acht Bosse mit psychopathischen Zügen sind Paul Babiak im Laufe der Jahre untergekommen, darunter Abteilungsleiter, stellvertretende Vorstandsvorsitzende und übrigens auch zwei Frauen.

    Diese Psychopathen in den Chefetagen sind sehr charismatisch. Sie haben Charme, wirken sehr intelligent, können Menschen für sich einnehmen und sie beeinflussen. Und wenn wir all diese Eigenschaften bei jemandem wahrnehmen, dann denken wir: Der ist ein guter Chef. Denn von Führungspersönlichkeiten erwarten wir all diese Fähigkeiten.

    Die Kehrseite der Medaille: Weil Psychopathen vorrangig nur auf ihren eigenen Vorteil aus sind und dafür notfalls über Leichen gehen, schaden sie ihrem Konzern langfristig.

    Das eine war ein Verkäufer, der eine Filiale leitete. Als sein Chef in Rente ging, bekam er einen neuen Vorgesetzten. Und als der sich die Bilanzen dieses Mannes ansah, wurde ihm klar, dass dieser als sehr erfolgreich geltende Verkäufer de facto weniger verkaufte, als alle anderen. Um nicht aufzufliegen hatte der seine Zahlen frisiert. Darüber hinaus hatte er noch in die eigene Tasche gewirtschaftet und Geld veruntreut. Sein alter Chef hatte das nie bemerkt, weil er ihn so geschickt getäuscht hatte.

    Die Schlangen in Nadelstreifen, wie Babiak solche Leute nennt, beherrschen das Spiel des Tarnens, Täuschens und Manipulierens häufig derart virtuos, dass sie jahrelang unerkannt ihr Unwesen treiben können. Als der aufgeflogene Verkäufer seine Felle davon schwimmen sah, ging er selbst in die Offensive. Mit Stapeln gefälschter Dokumenten intrigierte er gegen seinen neuen Chef, um dessen Entlassung zu bewirken. Beinahe mit Erfolg. Um ähnliche Fälle zu vermeiden, hat Paul Babiak gemeinsam mit einem Kollegen einen Test entwickelt, der Firmen helfen kann, schwarze Schafe in ihren Chefetagen zu erkennen.

    Der Fragebogen zeigt persönliche Verhaltensweisen auf, und zwar positive wie negative. Ausgefüllt wird er von den Vorgesetzten des Betroffenen, aber auch von seinen Kollegen und Untergebenen. Die Auswertung der ganzen Daten mit dem Computer liefert dann ein Persönlichkeits-Profil mit 16 zentralen Merkmalen, anhand derer wir erkennen können, ob jemand ein guter Chef ist oder ob er ein Psychopath ist, der nur auf seinen eigenen Vorteil aus ist.

    Bleibt die Frage, wie die Unternehmen reagieren, wenn dabei herauskommt, dass einer der leitenden Angestellten emotional taub ist. Weil der Konkurrenzdruck immer größer wird, ist die Antwort darauf nicht so klar, wie sie eigentlich sein müsste, sagt Joachim Hasebrook, Professor an der Universität Lübeck.

    Die Unsicherheit in Organisationen steigt, so dass die Organisationen selber jetzt nicht mehr nach dem Manager, der sein Handwerk versteht, suchen, sondern nach den Eigenschaften visionärer Führer, die eigentlich kein normaler Mensch in dem Ausmaß haben kann. Und das ist natürlich attraktiv für psychopathische Persönlichkeiten, die sich größer als das Leben - wie man im Amerikanischen so schön sagt: greater than life - fühlen, die sich großartig fühlen, übersteigertes Selbstbewusstsein haben. Nicht dass ihre Leistung damit einherginge, aber sie selbst sind von sich so überzeugt, dass sie sich angezogen fühlen von Organisationen. Und Organisationen möchten glauben, dass es tatsächlich solche Menschen gibt, die diese großartigen Leistungen zeigen.