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Schlangensterne für die Stammzellenforschung

Genetik. - Im Canterbury ging am Freitag die Jahrestagung der Gesellschaft für Experimentelle Biologie zu Ende. Zum Abschluss des Symposiums präsentierten Biologen aus Schweden einen neuen Ansatz für die Stammzellenforschung - und zwar mit kleinen Meerestieren, die bislang nicht unbedingt im Fokus von Genetikern waren.

Von Michael Stang |
    "Wir sammeln frei lebende Tiere, für die es ganz normal ist, ab und zu einen Arm zu verlieren, weil sie viele Feinde haben", sagt Sam Dupont von der Kristineberg Marinen Forschungsstation in Schweden. Gemeint ist Amphiura filiformis, eine Schlangensternart, die - wie die Seesterne - zu den Stachelhäutern gehören. Sie sind etwas kleiner als die Seesterne und haben einen runden Körper mit fünf Armen, die bis zu zehn Zentimeter lang sein können.

    " Diese Tiere verfügen über eine unglaubliche Regenerationsfähigkeit. Wenn man einen Arm abschneidet, wächst er in wenigen Wochen komplett nach."

    Damit ist der Schlangenstern das ideale Forschungsobjekt für die Stammzellenforschung. Seesterne wären zwar auch geeignete Kandidaten, aber bei ihnen dauert die vollständige Regeneration eines verlorenen Arms mehrere Monate, was die Experimente sehr zeitaufwendig gemacht hätte. Für ihre Versuche nahmen die Biologen die am Meeresgrund eingesammelten Tiere mit ins Labor.

    " Wir haben mit klassischen Methoden begonnen und histologische Schnitte gemacht, um uns die Zellen erstmal anzuschauen. Danach haben wir genetische Untersuchungen gemacht, um die Gene zu finden, die an der Regeneration beteiligt sind, sowie die entsprechenden Proteine. Aber das Spannendste war die Differenzierung der Stammzellen in Nervenzellen."

    Zu ihrer Überraschung sahen Sam Dupont und seine Kollegen, dass die Stammzellen schon kurze Zeit nach der Amputation eines Arms die ersten Nervenzellen ausbildeten, die schon dem ersten Ansatz des nachwachsenden Arms Bewegungen ermöglichen. So etwas ist bei ausgewachsenen Tieren zuvor noch nie beobachtete worden. Die Neuronen teilten sich immer weiter und produzierten auf diese Weise neue Nervenzellen. Aber die Wissenschaftler konnten dieses Wachstum nicht nur beobachten, sondern es auch steuern.

    " Das Besondere an diesen Tieren ist, dass wir die Umgebung der Stammzellen leicht manipulieren können, indem wir an verschiedenen Stellen Teile der Arme oder gleich mehrere Arme amputieren. Dadurch können wir unterschiedliche Geschwindigkeiten der Regeneration erzeugen und sehen, was und wie schnell das passiert."

    Durch die genaue Beobachtung der Regeneration konnten die Forscher schon einige Genkandidaten ausmachen, die an der Regulation beteiligt sind. Da Schlangensterne eng mit den Wirbeltieren verwandt sind, könnten die gleichen Gene bei Menschen über ein ähnliches Potential in den Stammzellen verfügen, hofft Sam Dupont. Allerdings sind er und seine Kollegen in Schweden erst am Anfang ihrer Forschungen. Gleichwohl stimmen die ersten Ergebnisse die Biologen zuversichtlich, auf das richtige Modelltier gesetzt zu haben. Einen großen Vorteil haben die Tiere gegenüber den üblichen Verfahren der Stammzellenforschung allemal.

    " Eine der spannendsten Sachen ist, dass wie hier zum ersten Mal solche Untersuchungen mit Stammzellen direkt am lebenden Tier machen können. So etwas wäre beim Menschen natürlich unmöglich, weil man da nicht einfach den Arm abschneiden und schauen kann, was passiert. Dort geht das nur mit Zellkulturen, und wir können nie exakt sagen, ob die Zellen im lebenden Organismus dann genauso reagieren wie im Labor."

    Damit bleiben die Schlangensterne vorerst die idealen Modelltiere, an denen die Forscher die Grundlagen der Stammzelldifferenzierung studieren können, um vielleicht eines Tages, Nervenkrankheiten beim Menschen heilen zu können.