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Schlankheitstee und "heißes Blut"

Medikamente werden immer öfter im Internet gekauft. Leider gibt es unter den Anbietern einige, die sogenannte Borderline-Produkte anbieten: Präparate, bei denen nicht ganz klar ist, ob es sich um ein Lebens- oder doch ein Arzneimittel handelt. Oft haben diese Mittel eine verheerende Wirkung.

Von Volker Mrasek |
    Ein typisches Beispiel: Im Internet werden Kaffee und Tee aus China angeboten, die schlank machen sollen, wenn man sie trinkt.

    "Das ist ja schon mal per sé merkwürdig, weil nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, wodurch man jetzt schlank wird, wenn ich jetzt einen Kaffee oder einen Tee trinke."

    Hinter das Geheimnis der angeblich reinen Naturprodukte kamen Dirk Lachenmeier und seine Kollegen vom Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt in Karlsruhe, als sie Proben davon im Labor analysierten. Dabei stießen sie auf eine Substanz namens Sibutramin:

    "Der Stoff Sibutramin war früher mal als Arzneimittel auf dem Markt. Dem wurde dann aber die Zulassung entzogen, weil sehr, sehr starke Nebenwirkungen aufgetreten sind."

    Ein anderer Fall: Im Herbst kam eine Meldung über das Schnellwarnsystem der EU. Sie betraf Sportlernahrung, die unter dem Namen Hot Blood im Internet vermarktet wird – als "heißes Blut":

    "In dem Produkt waren die Stoffe Vinpocetin und Evodiamin enthalten. Das sind so Stoffe, die irgendwie den Kreislauf anregen und den Blutdruck steigern. Diese Schnellwarnmeldung über dieses Produkt war auch dahingehend, dass da eben illegale, oder nicht für Lebensmittel zulässige, Arzneistoffe enthalten sind."

    Den Leistungsförderer kann man nach wie vor auf einem beliebten Marktplatz im Internet bestellen. Die Bewertungen von Käufern, die vermutlich nicht wissen, was in dem Pulver steckt, sind durchweg positiv.

    Lebensmittelanalytiker wie Dirk Lachenmeier sprechen in solchen Fällen von Borderline-Produkten. Weil sie sich im Grenzbereich zwischen Lebens- und Arzneimitteln bewegen. Klar ist...

    "dass es sich, nach dem, was wir so sehen, um mehr als Einzelfälle handelt. Das kann man mit Sicherheit sagen. Die Fallzahlen gerade in diesem Borderline-Bereich sind sehr stark gestiegen die letzten Jahre."

    Am Karlsruher Untersuchungsamt läuft ein Forschungsprojekt, das sich mit der Frage beschäftigt, was man gegen den florierenden Internethandel mit fragwürdigen Produkten tun kann. Wenn die Anbieter irgendwo im Ausland sitzen, wie es oft der Fall ist, sind den Lebensmittelkontrolleuren die Hände gebunden. Eine amtliche Überwachung wie im Supermarkt oder in der Gaststätte um die Ecke ist dann nicht möglich:

    "Da gehen ja unsere Kontrolleure regelmäßig hin und überprüfen nach risikoorientierten Kriterien die Betriebe, ob da alles seine Richtigkeit hat, von der Hygiene zum Beispiel angefangen bis hin zur Deklaration der Produkte. Und das alles findet eben oft, wenn Sie im Internet bestellen, gerade in Drittländern, nicht statt."

    Die Lebensmittelüberwachung bleibt deshalb aber nicht untätig. Sie kann verdächtige Produkte untersuchen und Verbraucher zumindest vor ihnen warnen – sollte sich herausstellen, dass sie unzulässige oder sogar gefährliche Substanzen enthalten.

    Die Karlsruher Analytiker empfehlen dabei ein bestimmtes Nachweisverfahren: die Kernspin-Resonanz oder NMR. Eine Untersuchungsmethode, die man eigentlich eher aus der Medizin kennt. Sie eignet sich aber auch für die Analyse von Borderline-Produkten. Das ist die Erfahrung von Thomas Kuballa, dem Leiter der NMR-Arbeitsgruppe am Karlsruher Untersuchungsamt:

    "Es ist eine spektroskopische Methode. Man erfasst die Probe, ob es jetzt ein Lebensmittel ist, ein Kosmetikum ist oder ein pharmazeutisches Mittel als Ganzes. Das heißt, wir können wirklich aus einer Messung heraus sehr, sehr viele Informationen bekommen."

    Bei Borderline-Produkten wissen die Analytiker erst einmal nicht, was sie genau enthalten. Deshalb ist die NMR bei ihnen so nützlich: Sie liefert ein Gesamtspektrum der Inhaltsstoffe. Nach verdächtigen Substanzen kann man dann in Stoff-Datenbanken suchen und sie so identifizieren. Mittlerweile, so Thomas Kuballa, seien Kernspin-Geräte für die Lebensmittel-Überwachung bezahlbar. Er könne sie anderen Untersuchungsämtern nach den Erfahrungen im eigenen Forschungsprojekt nur empfehlen.

    Verbrauchern raten die Lebensmittelchemiker auf jeden Fall zur Vorsicht. Noch einmal Dirk Lachenmeier:

    "Also, der Verbraucher muss sich sehr klar bewusst sein, dass er ein höheres Risiko eingeht, wenn er Lebensmittel gerade in diesem Borderline-Bereich im Internet bestellt."