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Schlaue Medikamente

Medizin. - Den Arzt zu schrumpfen, um ihn in die Blutbahn zu spritzen damit er die Krankheit vor Ort erkennt und bekämpft, das ist ein alter Traum von Hollywood, den heute die Nanotechnologen wiederbeleben, um an Forschungsgelder zu kommen. Noch hat es aber niemand geschafft überhaupt einen gangbaren Weg aufzuzeigen, wie denn die Fähigkeit zu einer komplexen Diagnose und gezielten Therapie auf der Ebene von Molekülen verwirklichen läßt. In der neuesten Ausgabe der Zeitschrift Natur berichten Wissenschaftler aus Israel, wie sie dieses Problem zumindest im Reagenzglas lösen können.

Von Volkart Wildermuth |
    Im Labor des Informatikers Prof. Ehud Shapiro am Weizmann Institut in Israel stehen unzählige Bildschirme, Tastaturen, elektronische Rechner. Der eigentliche Star unter den Computern fällt dagegen kaum auf. Er befindet sich in einem Reagenzglas mit etwas klarer Flüssigkeit. Seine Aufgaben erhält der molekulare Computer in Form von DNA Molekülen und seine Antwort erscheint auf keinem Bildschirm, sie läßt sich nur mit biochemischen Methoden sichtbar machen. Nichts desto trotz kann die unscheinbare Flüssigkeit ein ziemlich kompliziertes Problem lösen. Sie ist in der Lage, Anzeichen für eine Krankheit zu erkennen und dann gleich auch noch die richtige Therapie zu verabreichen. Eine Aufgabe für die ein DNA Computer viel besser als sein technisches Vorbild geeignet ist, davon ist Ehud Shapiro überzeugt.

    Elektronische Computer können sich gut mit anderen elektronischen Geräten verständigen. Computern aus biologischen Molekülen fällt es dagegen viel leichter, mit anderen Biomolekülen reagieren. Deshalb können sie mit einer biologischen Umgebung besser sprechen als ein elektronischer Computer.

    Konkret geht es um die Diagnose des Prostatakrebses und eines bestimmten Lungentumors. Aggressive Krebszellen unterscheiden sich deutlich von gesunden Zellen, sie zeigen aber keine Piratenflagge, kein eindeutiges Zeichen, dass sie von normalem Gewebe unterscheidet. Stattdessen sind bestimmte Gene über aktiv, während andere gleichzeitig faul erscheinen. Letztlich kommt es auf die Kombination vieler subtiler Veränderungen an, deshalb ist die Diagnose Krebs auf der Ebene der Zellen und Moleküle nur schwer zu stellen. Der biologische Computer von Ehud Shapiro kann solch komplexe Symptome erkennen und wie ein Arzt der Diagnose dann auch gleich die richtige Therapie folgen lassen.
    Betrachten sie das wichtigste Molekül unseres DNA-Computers als eine intelligentes Medikament. Es enthält den Wirkstoff, aber er ist inaktiv, dafür sorgt der nächste Teil des Moleküls. Das letzte Stück erkennt die Anzeichen für den Krebs. Der Computer prüft als erstes, ob diese Anzeichen vorhanden sind. Wenn er die Frage mit Ja beantwortet, liegt die Krankheit vor und der Computer entfernt die Schutzkappe und setzt den Wirkstoff in seiner aktiven Form frei.

    Dieses Medikament ist ein Stück DNA, das Zellen abtöten kann, indem es wichtige Gene blockiert. In dem biologischen Computer sitzt vor dem eigentlichen Wirkstoff ein weiterer DNA-Abschnitt. Diese Schutzkappe kann abgeschnitten werden, aber nicht auf einmal, sondern nur Stück für Stück. Jeder Schnitt erfolgt, sobald ein bestimmtes Krankheitszeichen vorliegt. Das Ganze ist in etwa so, wie wenn ein menschlicher Arzt eine Liste von Symptomen abhakt. Fieber, ein Haken, rote Punkte, ein Hacken, Mandeln geschwollen, ein Hacken. Damit steht die Diagnose Scharlach fest und der Patient bekommt ein Antibiotikum. Für den Biocomputer sind Symptome keine Flecken auf der Haut, sondern fehl gesteuerte Gene. Gen eins zu aktiv, das erste Stück Schutzkappe wird abgeschnitten, Gen zwei zu faul, das nächste Stück fällt und so weiter. Nur wenn wirklich alle Bedingungen vorliegen, wird am Ende die Diagnose Krebs gestellt, die Schutzkappe komplett entfernt und der DNA-Wirkstoff aktiviert. Fehlt dagegen ein einziges der Symptome, bleibt das Medikament wirkungslos, gesunde Zellen werden nicht geschädigt.

    Unser molekularer Computer kann eine Krankheit an einer ziemlich komplexen Kombination von Symptomen erkennen. Wir haben ihn vier Bedingungen prüfen lassen. Nur wenn zwei bestimmte Gene zu aktiv und gleichzeitig zwei andere zu faul sind schließt er, dass er es mit Prostatakrebs zu tun hat und setzt das Medikament frei. Ich glaube nicht, dass sich eine so komplexe Analyse ohne Computer bewerkstelligen läßt.

    Das ist ein Durchbruch für die DNA-Computer. Ob das Verfahren allerdings jemals medizinische Relevanz haben wird, ist fraglich. Damit der molekulare Rechner funktioniert, müssen ein gutes Dutzend Substanzen in den richtigen Mengenverhältnissen zusammen arbeiten. Im Reagenzglas, unter genau kontrollierten Bedingungen funktioniert das sehr gut. Der molekulare Rechner von Ehud Shapiro kann sogar zwei verschiedene Tumorformen unterscheiden und jeweils das richtige Medikament freisetzen. In einer lebenden Zelle aber, in der Tausende von anderen Molekülen den DNA-Computer von der Arbeit ablenken, ihn vielleicht sogar gezielt zerstören, wird das kaum gelingen. Bis ein molekularer Arzt wirklich in die Blutbahn gespritzt werden kann, um dort selbstständig Zellen zu diagnostizieren und dann zu behandeln, vergeht in jedem Fall noch viel Zeit.