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Schlecht geträumt

In der Inszenierung des "Prinz Friedrich von Homburg" von Regisseur Andreas Kriegenburg geht es feucht zu: Der Bühnenboden ist auf seiner ganzen Fläche mit einer Wasserpfütze bedeckt, die die Armeemäntel der Männer und die langen Kleider der Damen allmählich durchnässt.

Von Eberhard Spreng | 26.09.2009
    Welche Farbe haben Träume? Andreas Kriegenburg jedenfalls stellt die Geschichte um den somnambulen Prinzen in einen blutroten Raum, in dem blutrot gekleidete Gestalten mit kreideweiß geschminkten Gesichtern umherwandeln. Bis auf den goldenen Adler in der Absis dieses Sakralraumes und die Messingleuchter, die die Begleitung des Kurfürsten in den Händen hält, ist hier eineinhalb Stunden lang nichts als die Farbe rot zu sehen, während aus dem Off leise melancholische Celloklänge herüberwehen.

    Der Boden ist auf seiner ganzen Fläche mit einer Wasserpfütze bedeckt, die die langen Armeemäntel und die langen Kleider der Damen allmählich durchnässt, eine Pfütze, in die sich einmal der Prinz von Homburg und einmal die von ihm angebetete Natalie stürzen, wenn sie in diesem Konflikt zwischen dem Gesetz des Krieges und der Ordnung des Herzens die Fallsucht überkommt. In diesem Raum ist das ganze Kleistsche Schauspiel zum Traumspiel geworden und eben nicht nur die Vision des Prinzen, das Trugbild, das ihn zum übereilten Angriff auf die schwedischen Truppen verleitete, wodurch er den Zorn des Kurfürsten und sein Todesurteil auslöste.

    Steht das Rot für die Schlacht, von der Kleist im Gegensatz zu seinem Krieg-der-Herzen-Stück "Penthesilea" hier nur beiläufig erzählt? Für das Herzblut der eifrigen Untertanen, die ihren Kurfürsten innig lieben und nicht nur Befehlsempfänger sein wollen, gar für die Liebe zwischen dem Prinzen und Natalie von Oranien? Auch nachdem man sich ein paar Mal die Augen gerieben hat, um dem Ansturm der einen Farbe stand zu halten, bleibt die Frage unbeantwortet. Es ist wohl doch nur eine etwas kunstwollende Idee des Bühnenbildners und Regisseurs Kriegenburg, der schon betörende Symbolwelten entworfen hat, aber manchmal eben übers Kunstgewerbliche nicht hinaus kommt.

    "Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein! Du strahlst mir, durch die Binde meiner Augen, mir Glanz der tausendfachen Sonne zu!"

    Ole Lagerpusch spielt den Prinzen von Homburg als einen weltfremden Jüngling, über den die Schiedssprüche des Machthabers kommen wie eine noch unbekannte Logik. Zwischen dem notorischen Hasardeur und dem erzürnten Herrscher pendeln die Damen - die Kurfürstin und die Prinzessin von Oranien wie Boten hin und her, aber eine Verständigung zwischen dem verurteilten Prinzen und dem Kurfürsten ist unmöglich.

    Erst Obrist Kottwitz gelingt es, den Chef der Preußen mit seiner Petition für den Prinzen zu einer höheren Weisheit zu ermahnen. Ihn spielt Bernd Stempel, übrigens einziger Schauspieler aus dem alten Ensemble des Deutschen Theaters in dieser Besetzung. Er wirbt hier beim von Jörg Pose überzeugend verkörperten Kurfürsten markig für die Begnadigung des ungehorsamen Prinzen. Er ist gegen einen kruden Untertanengeist und für die lebendige Beteiligung der kämpfenden Offiziere. Deshalb fordert er vom Herrscher Toleranz für das Chaos der Herzen, die Unwägbarkeiten einer Schlachtordnung, die mehr sein muss als das Vollzugsorgan einer hoheitlichen Planung. Ganz am Ende der mit eineinhalb Stunden schlanken Aufführung kommt hier doch noch das Kleistsche Grundthema zum Tragen. Allerdings ist dies ein Thema, das zu Gegenwartsproblemen keine erkennbaren Bezüge hat.

    Vor einer Woche war man mit zwei Versuchen, das Fremdsein in der Welt zeitgenössisch zu fassen mehr oder weniger gescheitert. Nun kommt das Deutsche Theater mit Kleist zu seinem traditionellen Kerngeschäft, der Neuausdeutung klassischer, zumal deutscher Dramatik. Aber wiederum bleibt das noble Haus merkwürdig unberedt und dreht weltvergessen ästhetische Pirouetten. Weder hat man hier das alte mit dem neuen Ensemble zusammengebracht, noch ist es gelungen, die zumeist vom Thalia-Theater kommenden Schauspieler vor den Augen des Berliner Publikums zum Leuchten zu bringen. Zu statuarisch sind die Bilder, zu kunstwillig die Arrangements.