Klaus Remme: Während in der Arbeitsgruppe über die Ausgestaltung der Gesundheitsreform beraten wird, scheint in der politischen Arena das Vorhaben als solches zur Debatte zu stehen. Die Fronten verlaufen nicht nur zwischen CDU und SPD, sondern auch zwischen den Unionsministerpräsidenten und der Parteizentrale.
Am Telefon in Passau bin ich jetzt mit Professor Heinrich Oberreuter verbunden. Er ist Politikwissenschaftler an der dortigen Universität. Guten Tag, Herr Oberreuter!
Heinrich Oberreuter: Ja, guten Tag!
Remme: Herr Oberreuter, die Akteure - das haben wir gerade gehört - sind sich nicht einig. Sachverständige lassen kein gutes Haar daran. Der Normalbürger versteht es erst gar nicht, will aber sicherlich nicht mehr Geld dafür bezahlen, als er es heute schon tut. Kann es eine Reform gegen diesen massiven Widerstand geben?
Oberreuter: Das ist schwierig. Zumindest keine Reform, die das Vertrauen der Öffentlichkeit an sich bindet und die von den Sachverständigen akzeptiert wird. Die politische Akzeptanz steht dahin, und im Augenblick gibt es niemanden, der die Meinung vertritt, dass aus diesem Unterfangen etwas wird, was die Lage des Gesundheitssystems verbessert. Es ist auch keine Verbesserung in Aussicht, denn Sie haben das selber angesprochen: Die Fronten sind ja unübersichtlich, und vor allen Dingen sind es mindestens vier oder fünf, die sich innerhalb der politischen Lager auftun. Frau Nahles geht, wie wir gerade gehört haben, gegen den Fonds vor, was auch die CDU tut. Die CDU hat ihren Zoff zwischen Ministerpräsidenten und Kanzlerin. Die Politik hat ihren Zoff mit der Fachöffentlichkeit. Eine solch verzwickte Situation hat diese Republik eigentlich noch nie gesehen.
Remme: Herr Oberreuter, ist Angela Merkel persönlich für diese verfahrene Lage verantwortlich?
Oberreuter: Ein Stück weit ja. Sie hat ja aus ihrer früheren Kompetenz mit der Gesundheitsministerin zunächst gemeinsam taktiert und paktiert. Sie hat als Parteivorsitzende die sehr radikal-liberalen Leipziger Beschlüsse durchgesetzt, die auch innerhalb der Union eigentlich in der Substanz immer sehr umstritten gewesen sind, auch innerhalb der CDU. Sie hat natürlich auch in den letzten Wochen die Führungszügel schleifen lassen, wobei man schlicht und einfach schon sagen muss: Eine Große Koalition zu führen mit solchen verzwickten Interessenlagen ist nicht einfach. Aber man hat eigentlich die ganze Zeit nicht das Gefühl, dass die Kanzlerin eine eigene Meinung hat und bittet, sich dieser Meinung irgendwie anzuschließen.
Remme: Wenn wir mal auf zwei dieser Fronten, die Sie eben beschrieben haben, schauen, nämlich die zwischen der Parteizentrale und den Unionsministerpräsidenten sowie zwischen Union und SPD. Welche halten Sie für gefährlicher?
Oberreuter: Ich finde, im Augenblick ist die für die Kanzlerin gefährlichere Position sogar die innerparteiliche. Da hat sich über Monate einiges zusammengebraut, ganz unabhängig von der Gesundheitsreform. Die Ministerpräsidenten haben sich vielfach schon übergangen oder zumindest nicht hinlänglich eingebunden gefühlt. Da ist ein gewisses Wutpotenzial angestaut, und manche Beobachter sprachen davon, dass es in der Union im Augenblick autoritärer zuginge als unter Konrad Adenauer. Die Gesundheitsreform ist für dieses Unbehagen und für diese Mitbestimmungsansprüche zum Teil auch ein Vehikel. Das wird ja auch dann vom Koalitionspartner ein Stück weit genutzt. Schon gibt es in Berlin, wie man hört, Sondierungsgespräche zwischen einzelnen Gruppierungen der SPD, der FDP und auch den Grünen. Es könnte also sein, dass irgendwann die Union ohne Koalitionspartner dasteht. Das wird man der Kanzlerin also sehr aufs Konto schreiben.
Die SPD tut im Augenblick ja so, als ob sie die Kanzlerin stützt. Sie kann genüsslich zuschauen, wie die Union sich streitet, und sagt schlicht und einfach, unsere Unterstützung hat sie, meint natürlich dann auch die Unterstützung für Akzente in der Politik, die stark sozialdemokratisch sind. Genau das ist vergiftet, weil aus der Union ja auch der Kanzlerin vorgeworfen wird, zu stark akzentuiert sich auf sozialdemokratische Ansätze einzulassen.
Remme: Aus Ihrem Bundesland, aus Bayern ist die Kritik an der Reform besonders heftig. Steht das unter dem Vorzeichen der Landtagswahl in dem Jahr, wenn dann die Reform, falls es klappt, in Kraft treten soll, oder hat das noch weitere Gründe?
Oberreuter: Die Landtagswahl spielt sicher eine ganz erhebliche Rolle. Die CSU hier steht ja vor der Herausforderung, eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag zu verteidigen, was ohnehin utopisch ist. Sie steht aber auch vor der Herausforderung - da können sich die Bayern gar nicht abkoppeln - von generellen Entwicklungen im Parteiensystem, das sich ja zunehmend fragmentiert, zersplittert, wie wir bei den letzten Wahlen gesehen haben. Auch die Bayern stehen vor der Herausforderung, vielleicht zwei Parteien oder Fraktionen mehr im Parlament zu haben. Also da ist vieles der Intention geschuldet, Gegenwind, der aus Berlin einem ins Gesicht bläst, aufzufangen durch entschiedene, eigenständige Initiativen, aber auch durch die Verteidigung sozialer Interessen des kleinen Mannes. Das war schon immer eine CSU-Strategie. Mehr würde ich dahinter nicht sehen, außer sachpolitischen Argumenten noch. Natürlich sind die Unionsparteien, auch die CSU, sehr stark dafür zu haben, auch die Interessen der Privatversicherungen zu verteidigen, was ja im Gesundheitsministerium unter Ulla Schmidt offensichtlich gänzlich an den Rand gedrängt werden soll. Personelle Ansprüche von Stoiber zur Kanzlerkandidatur oder so, was immer wieder vorgetragen wird, das ist passé.
Remme: Herr Oberreuter, was raten Sie der Kanzlerin als Ausweg aus dem Dilemma?
Oberreuter: Sie hat sich ja gegenwärtig für eine hinhaltende Strategie entschieden und lässt sich ein auf die Idee, man könnte das ganze im Vermittlungsausschuss entscheiden. Ich halte davon gar nichts. Das mag in dieser konkreten Frage hilfreich sein, um aus Zwickmühlen herauszukommen, aber insgesamt wird von Angela Merkel auch innerhalb der Union eingefordert, eine politische Führungslinie vorzugeben, die in etwa die Identität dieser Partei und ihrer Tradition, auch ihres Menschenbildes verteidigt und die das Soziale nicht gänzlich hinter dem Marktliberalen verschwinden lässt. Das ist, glaube ich, ihre größte Herausforderung, die sie in kleineren politischen Schritten dann ummünzen muss.
Remme: Sie haben eben die Möglichkeit schon angesprochen. Abschließend: Welcher der beiden Koalitionäre könnte sich aus einem Bruch der Regierung leichter befreien?
Oberreuter: Gegenwärtig, glaube ich, niemand. Die Problematik ist: Jeder Koalitionsbruch, der einer der beiden Parteien oder beiden Parteien zugeschrieben werden kann, als - wie soll ich mal sagen - sachlich nicht begründet, sondern als politischer Taktik und Wahlstrategien zu verdanken, wird von den Wählern nicht goutiert. Ich glaube, das Desaster an der Wahlurne wäre sehr groß. Die Wähler würden sich abwenden. Das Vertrauen tendiert - ich spitze jetzt zu - ohnehin gegen null. Die Bürger erwarten von den Parteien Pflichterfüllung und Problemlösung, und das muss erkenntlich bleiben. Wird das nicht eingelöst, dann wird die Konsequenz für beide Koalitionäre an der Wahlurne fürchterlich sein.
Remme: Heinrich Oberreuter, Politologe an der Universität Passau. Ich danke Ihnen, Herr Oberreuter.
Oberreuter: Bitteschön.
Am Telefon in Passau bin ich jetzt mit Professor Heinrich Oberreuter verbunden. Er ist Politikwissenschaftler an der dortigen Universität. Guten Tag, Herr Oberreuter!
Heinrich Oberreuter: Ja, guten Tag!
Remme: Herr Oberreuter, die Akteure - das haben wir gerade gehört - sind sich nicht einig. Sachverständige lassen kein gutes Haar daran. Der Normalbürger versteht es erst gar nicht, will aber sicherlich nicht mehr Geld dafür bezahlen, als er es heute schon tut. Kann es eine Reform gegen diesen massiven Widerstand geben?
Oberreuter: Das ist schwierig. Zumindest keine Reform, die das Vertrauen der Öffentlichkeit an sich bindet und die von den Sachverständigen akzeptiert wird. Die politische Akzeptanz steht dahin, und im Augenblick gibt es niemanden, der die Meinung vertritt, dass aus diesem Unterfangen etwas wird, was die Lage des Gesundheitssystems verbessert. Es ist auch keine Verbesserung in Aussicht, denn Sie haben das selber angesprochen: Die Fronten sind ja unübersichtlich, und vor allen Dingen sind es mindestens vier oder fünf, die sich innerhalb der politischen Lager auftun. Frau Nahles geht, wie wir gerade gehört haben, gegen den Fonds vor, was auch die CDU tut. Die CDU hat ihren Zoff zwischen Ministerpräsidenten und Kanzlerin. Die Politik hat ihren Zoff mit der Fachöffentlichkeit. Eine solch verzwickte Situation hat diese Republik eigentlich noch nie gesehen.
Remme: Herr Oberreuter, ist Angela Merkel persönlich für diese verfahrene Lage verantwortlich?
Oberreuter: Ein Stück weit ja. Sie hat ja aus ihrer früheren Kompetenz mit der Gesundheitsministerin zunächst gemeinsam taktiert und paktiert. Sie hat als Parteivorsitzende die sehr radikal-liberalen Leipziger Beschlüsse durchgesetzt, die auch innerhalb der Union eigentlich in der Substanz immer sehr umstritten gewesen sind, auch innerhalb der CDU. Sie hat natürlich auch in den letzten Wochen die Führungszügel schleifen lassen, wobei man schlicht und einfach schon sagen muss: Eine Große Koalition zu führen mit solchen verzwickten Interessenlagen ist nicht einfach. Aber man hat eigentlich die ganze Zeit nicht das Gefühl, dass die Kanzlerin eine eigene Meinung hat und bittet, sich dieser Meinung irgendwie anzuschließen.
Remme: Wenn wir mal auf zwei dieser Fronten, die Sie eben beschrieben haben, schauen, nämlich die zwischen der Parteizentrale und den Unionsministerpräsidenten sowie zwischen Union und SPD. Welche halten Sie für gefährlicher?
Oberreuter: Ich finde, im Augenblick ist die für die Kanzlerin gefährlichere Position sogar die innerparteiliche. Da hat sich über Monate einiges zusammengebraut, ganz unabhängig von der Gesundheitsreform. Die Ministerpräsidenten haben sich vielfach schon übergangen oder zumindest nicht hinlänglich eingebunden gefühlt. Da ist ein gewisses Wutpotenzial angestaut, und manche Beobachter sprachen davon, dass es in der Union im Augenblick autoritärer zuginge als unter Konrad Adenauer. Die Gesundheitsreform ist für dieses Unbehagen und für diese Mitbestimmungsansprüche zum Teil auch ein Vehikel. Das wird ja auch dann vom Koalitionspartner ein Stück weit genutzt. Schon gibt es in Berlin, wie man hört, Sondierungsgespräche zwischen einzelnen Gruppierungen der SPD, der FDP und auch den Grünen. Es könnte also sein, dass irgendwann die Union ohne Koalitionspartner dasteht. Das wird man der Kanzlerin also sehr aufs Konto schreiben.
Die SPD tut im Augenblick ja so, als ob sie die Kanzlerin stützt. Sie kann genüsslich zuschauen, wie die Union sich streitet, und sagt schlicht und einfach, unsere Unterstützung hat sie, meint natürlich dann auch die Unterstützung für Akzente in der Politik, die stark sozialdemokratisch sind. Genau das ist vergiftet, weil aus der Union ja auch der Kanzlerin vorgeworfen wird, zu stark akzentuiert sich auf sozialdemokratische Ansätze einzulassen.
Remme: Aus Ihrem Bundesland, aus Bayern ist die Kritik an der Reform besonders heftig. Steht das unter dem Vorzeichen der Landtagswahl in dem Jahr, wenn dann die Reform, falls es klappt, in Kraft treten soll, oder hat das noch weitere Gründe?
Oberreuter: Die Landtagswahl spielt sicher eine ganz erhebliche Rolle. Die CSU hier steht ja vor der Herausforderung, eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag zu verteidigen, was ohnehin utopisch ist. Sie steht aber auch vor der Herausforderung - da können sich die Bayern gar nicht abkoppeln - von generellen Entwicklungen im Parteiensystem, das sich ja zunehmend fragmentiert, zersplittert, wie wir bei den letzten Wahlen gesehen haben. Auch die Bayern stehen vor der Herausforderung, vielleicht zwei Parteien oder Fraktionen mehr im Parlament zu haben. Also da ist vieles der Intention geschuldet, Gegenwind, der aus Berlin einem ins Gesicht bläst, aufzufangen durch entschiedene, eigenständige Initiativen, aber auch durch die Verteidigung sozialer Interessen des kleinen Mannes. Das war schon immer eine CSU-Strategie. Mehr würde ich dahinter nicht sehen, außer sachpolitischen Argumenten noch. Natürlich sind die Unionsparteien, auch die CSU, sehr stark dafür zu haben, auch die Interessen der Privatversicherungen zu verteidigen, was ja im Gesundheitsministerium unter Ulla Schmidt offensichtlich gänzlich an den Rand gedrängt werden soll. Personelle Ansprüche von Stoiber zur Kanzlerkandidatur oder so, was immer wieder vorgetragen wird, das ist passé.
Remme: Herr Oberreuter, was raten Sie der Kanzlerin als Ausweg aus dem Dilemma?
Oberreuter: Sie hat sich ja gegenwärtig für eine hinhaltende Strategie entschieden und lässt sich ein auf die Idee, man könnte das ganze im Vermittlungsausschuss entscheiden. Ich halte davon gar nichts. Das mag in dieser konkreten Frage hilfreich sein, um aus Zwickmühlen herauszukommen, aber insgesamt wird von Angela Merkel auch innerhalb der Union eingefordert, eine politische Führungslinie vorzugeben, die in etwa die Identität dieser Partei und ihrer Tradition, auch ihres Menschenbildes verteidigt und die das Soziale nicht gänzlich hinter dem Marktliberalen verschwinden lässt. Das ist, glaube ich, ihre größte Herausforderung, die sie in kleineren politischen Schritten dann ummünzen muss.
Remme: Sie haben eben die Möglichkeit schon angesprochen. Abschließend: Welcher der beiden Koalitionäre könnte sich aus einem Bruch der Regierung leichter befreien?
Oberreuter: Gegenwärtig, glaube ich, niemand. Die Problematik ist: Jeder Koalitionsbruch, der einer der beiden Parteien oder beiden Parteien zugeschrieben werden kann, als - wie soll ich mal sagen - sachlich nicht begründet, sondern als politischer Taktik und Wahlstrategien zu verdanken, wird von den Wählern nicht goutiert. Ich glaube, das Desaster an der Wahlurne wäre sehr groß. Die Wähler würden sich abwenden. Das Vertrauen tendiert - ich spitze jetzt zu - ohnehin gegen null. Die Bürger erwarten von den Parteien Pflichterfüllung und Problemlösung, und das muss erkenntlich bleiben. Wird das nicht eingelöst, dann wird die Konsequenz für beide Koalitionäre an der Wahlurne fürchterlich sein.
Remme: Heinrich Oberreuter, Politologe an der Universität Passau. Ich danke Ihnen, Herr Oberreuter.
Oberreuter: Bitteschön.