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Schlechte Noten für deutsche Schulen

UN-Sonderberichterstatter Vernor Munoz Villalobos hat eine zu frühe Trennung deutscher Schüler nach Leistung kritisiert. Nach einer zehntägigen Informationsreise durch Kindergärten, Schulen und Hochschulen bemängelte Munoz außerdem die Integration von Ausländerkindern und einen engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildung. Das föderale System hält der Bildungsexperte der Vereinten Nationen für einen Fehler.

Von Markus Rimmele |
    "Die Selektion im deutschen Bildungswesen betrifft vor allem die unterprivilegierten Schichten, etwa Menschen mit Migrationshintergrund, Behinderte oder sozial Benachteiligte. 20 Prozent der Hauptschüler machen keinen Abschluss. Fast die Hälfte der Schüler mit Migrationshintergrund bekommt keine Lehrstelle. Das verschärft die Ausgrenzung noch."

    Es sind die erwarteten Kritikpunkte. Vernor Munoz Villalobos spricht das an, was Deutschland seit PISA weiß: Hierzulande entscheidet die soziale Herkunft maßgeblich über die Bildungschancen. Der UN-Sonderberichterstatter zeigt mit dem Finger auf Deutschlands Hauptproblem im Bildungsbereich. Aufteilung und Trennung der Schüler sei hier Prinzip. Und Munoz verschweigt nicht, dass er das nicht gut findet. In seinem Bericht findet sich zwar auch Positives – etwa die Leidenschaft, mit der in Deutschland über Bildung gesprochen werde und der ernst gemeinte Reformwille. Doch er sieht sich in der Rolle als externer Kritiker, als Spiegel und Projektionsfläche, wie er sagt. Er plädiert unter anderem für eine kostenlose vorschulische Bildung und verteilt schlechte Noten für das föderale System.

    "Diese Tendenz, dass die Länder immer mehr Bildungskompetenzen erhalten, könnte dazu führen, dass der Bund immer weniger die Möglichkeit hat, eine Bildungsgleichheit herbeizuführen. In einigen Ländern gibt es zwei, in anderen drei oder vier Schultypen. Das hat ernste Folgen, etwa wenn eine Familie umziehen möchte."

    Bilanz und Schlusspunkt einer Deutschlandrundfahrt der besonderen Art: 36 Institutionen hat Munoz Villalobos besucht. Quer durchs Land ist er getourt und wurde herumgeführt. Zuletzt war er in Berlin unterwegs. Am Fehrbelliner Platz im Stadtteil Wilmersdorf. Da steht am Morgen plötzlich dieser Mann aus Costa Rica auf dem Schulhof. Brauner Teint, schwarze Haare, heller Anzug, ein undurchschaubares Gesicht. Die Schulleiterin fühlt sich geehrt.

    Vernor Munoz Villalobos fühlt sich auch geehrt, hier sein zu dürfen, sagt er, und findet gleich weltmännisch-tröstliche Worte für die PISA-verschreckten Deutschen.

    "Dass die Bildung hier so ein großes Thema ist, finde ich sehr positiv. Dieser Schock, den die PISA-Studie bei den Deutschen ausgelöst hat, zeigt doch nur, dass die Menschen hier sehr interessiert an Bildung sind. Deshalb muss das jetzt auch zu einem der wesentlichen politischen Themen für das deutsche Volk werden."

    Der Rundgang geht los im Büro der Schulleiterin. Munoz sitzt mit seiner Delegation und den Vertretern der Schule um einen Tisch herum und lässt sich die Robert-Jungk-Oberschule erklären. Die Schulleiterin berichtet von den Integrationsklassen, in denen auch behinderte Schüler lernen, von dem deutsch-polnischen Schwerpunkt der Gesamtschule und von den vielen verschiedenen Nationalitäten, die hier zusammen sind. Munoz hört zu, lässt sich nicht vereinnahmen von der geballten Freundlichkeit der Schulleitung, sondern fragt kritisch nach, will Details wissen.

    Im Matheunterricht: Der UN-Vertreter schaut den Berliner Kindern beim Gleichungen lösen zu. Die scheinen sich ein bisschen zu quälen. Da hält Munoz eine Ansprache.

    "Ich komme aus einer Gegend, wo die Kinder oft gar nicht die Möglichkeit haben, zur Schule zu gehen. Ihr solltet deshalb versuchen, euch ein bisschen anzustrengen und diese Chance zu nutzen. Und Lernen kann ja auch sehr viel Spaß machen. Und jetzt wünsche ich euch das Allerbeste."

    Die Delegation bricht auf, geht raus, der Spuk ist vorüber. Die Kinder schauen dem freundlichen Mann aus dieser anderen Welt etwas ratlos hinterher.

    Munoz wird schon wieder im nächsten Klassenraum von anderen, älteren Schülern empfangen. Jetzt schickt er alle anderen raus, selbst die Schulleiterin. Er will mit den Schülern allein reden. Das macht er immer so, raunt einer aus seiner Begleitmannschaft. Das Gespräch hinter der geschlossenen Tür läuft, nach allem, was man danach so hört, gut. Der Rundgang endet wieder im Büro der Schulleiterin.

    "Ich bin sehr zufrieden. Das ist eine Modellschule. Die machen hier sehr gute Arbeit. Es gibt natürlich auch noch einiges zu tun. Aber die machen das schon ziemlich gut."

    Und dann verschwindet der Mann mit seinem kleinen Tross so geräuschlos, wie er gekommen ist. Er will noch ein benachbartes Gymnasium besuchen, diesmal ohne Voranmeldung.