Mittwoch, 24. April 2024

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Schleichwerbung an Schulen
"Das ist wirklich unverantwortlich und dreist"

Foodwatch kritisiert seit Jahren, dass Lebensmittelkonzerne sich Zugang in die Schule verschaffen, indem sie kostenloses PR-Schulmaterial zur Verfügung stellen, um Ihre Produkte an die "Kinder zu bringen". Oliver Huizinga von Foodwatch sagte im DLF, es müsse dringend eine Lösung gefunden werden, damit Lehrer unabhängige Materialien für die Ernährungsbildung bekommen.

Oliver Huizinga im Gespräch mit Benedikt Schulz | 23.02.2015
    Ein Korb mit frischen Äpfeln wird an einer Grundschule an Kinder verteilt.
    Lehrer sind in der Versuchung, kostenloses Unterrichtsmaterial zu nutzen, was es vonseiten der Lebensmittelindustrie gibt. So könnten sich dann Unternehmen in die Klassenzimmer schleichen. (dpa / picture alliance / Jens Wolf)
    Benedikt Schulz: "Komm, back mit", das ist der Titel einer Unterrichtsmappe zum Thema gesunde Ernährung beim Backen, "Backschule für kleine Genießer", so der Untertitel, denn gedacht ist das Ganze für die Grundschule - ansprechend aufgemacht, viele Anregungen, viele bunte Bilder und leckere Rezepte, zum Beispiel Muffins, Zutaten unter anderem ein Päckchen Dr.-Oetker-Vanillezucker, und noch ein Extra-Tipp: Noch fruchtiger werden die Muffins, wenn man 150 Gramm Dr. Oetkers "Vitales Früchtemüsli" unter den Teig rührt. Und nicht erst hier merkt man: Das schicke Unterrichtsmaterial, das stammt aus dem Hause Dr. Oetker, und es steht kostenlos zum Download bereit. Foodwatch kritisiert seit Jahren, dass Lebensmittelkonzerne sich auf diesem Weg Zugang in die Schule verschaffen, und die Organisation fordert nun: Das Unterrichtsmaterial, das es von unabhängiger Seite bereits gibt, nämlich vom Bund finanziert, dass dieses Material kostenlos an die Schulen weitergegeben werden soll. Oliver Huizinga ist bei Foodwatch zuständig für den Bereich Lebensmittelmarketing, und er ist außerdem jetzt am Telefon. Ich grüße Sie!
    Oliver Huizinga: Guten Tag!
    Schulz: Vielleicht erklären Sie uns das erst mal ganz kurz: Wir haben Lehrmaterial, das vom Bund, also mit Steuergeldern finanziert wird - warum müssen Lehrer beziehungsweise Schulen überhaupt dafür bezahlen?
    Huizinga: Es ist wirklich absurd, dass hier Ernährungsbildung mithilfe von Schleichwerbung der Lebensmittelindustrie gelehrt wird, wenn eben gleichzeitig eigentlich längst wirklich sehr hervorragendes Material existiert, nämlich das vom AID-Infodienst. Die Lehrer müssen deshalb dafür bezahlen, weil der AID-Infodienst von der Bundesregierung gefördert wird und eben deshalb nicht ohne Weiteres diese Sachen kostenfrei an die Schulen und an die Bundesländer weitergeben darf. Hier muss dringend eine Lösung gefunden werden, damit Lehrer unabhängige Materialien für die Ernährungsbildung bekommen.
    Schulz: Erläutern Sie es ganz kurz: Es ist keine Frage des Geldes, sondern dass das Unterrichtsmaterial nicht weitergegeben werden darf - warum darf es das denn nicht?
    Junkfood ganz plump bewerben
    Huizinga: Weil Bildung Ländersache ist, darf der Bund nicht direkt in Schulen investieren, und das bedeutet auch, dass der AID-Infodienst nicht ohne Weiteres diese Schulmaterialien kostenlos an die Bundesländer und an die Schulen weitergeben darf. Und Lehrer sind da natürlich auch in der Versuchung, das kostenlose Unterrichtsmaterial zu nutzen, was es vonseiten der Lebensmittelindustrie gibt, und so können sich dann die Unternehmen eben in die Klassenzimmer schleichen.
    Schulz: Von welchem Ausmaß sprechen wir da?
    Huizinga: Die Lebensmittelindustrie versucht, mithilfe solchen, ja, wirklich irreführenden Inhalten auch ganz häufig ihr Junkfood ganz plump zu bewerben in der Schule, also Ritter Sport zum Beispiel vertreibt eine Mappe, wo auch für Grundschulen, wo Schokolade dann als schmerzlindernd oder als Stückchen Energie angepriesen wird. Also das ist wirklich eine ganz fiese Taktik von Ritter Sport, wenn hier eben den Kindern beigebracht wird, Schokolade ist gesund, denn Kinder essen schon deutlich mehr Schokolade, als eigentlich gut für sie ist. Und Ähnliches macht dann auch die Firma Brandt vom Brandt-Zwieback, da gibt es dann so eine Figur in dem Material, das heißt Zwiebra, diese Figur, und die heißt deshalb Zwiebra, weil sie den ganzen Tag Zwieback von Brandt isst, das gibt nämlich ein Zwiebra, also das ist wirklich eine ganz klare Produktwerbung im Unterrichtsmaterial. Und die Hersteller verkaufen das dann auch noch als Engagement für Bildung und als Engagement für beispielsweise hier Übergewichtsprävention - und das ist wirklich unverantwortlich und dreist, dann auch noch so zu tun, als wäre das eine Verantwortung für die Gesellschaft.
    Fachlich einwandfreie Bildung gefordert
    Schulz: Aber könnte man nicht auf die Lebensmittelindustrie zugehen und sagen, wir hätten trotzdem gerne eure fachliche Expertise in der Schule?
    Huizinga: Die Lebensmittelindustrie hat nicht die Aufgabe, für Ernährungsbildung in der Schule zu sorgen. Also das ist eine glasklare hoheitliche Aufgabe. Da muss der Staat dafür sorgen, dass es eine unabhängige, fachlich einwandfreie Bildung gibt, die nicht beeinflusst wird und nicht unter Finanzierung stattfindet von der Lebensmittelindustrie. Hier darf man den Bock auf gar keinen Fall zum Gärtner machen. Das ist eine staatliche Aufgabe und das sollte es auch tatsächlich bleiben.
    Schulz: Nicht jede Broschüre, die vonseiten der Industrie kommt, ist ja automatisch auch schlecht, und eine Lehrkraft müsste doch trotzdem in der Lage sein, eine Infobroschüre jetzt als solche einzuordnen, die jetzt einen Doppel-Whopper als gesunden Snack für zwischendurch bezeichnet. Also ist dann da wirklich eine Gefahr?
    Huizinga: Es gab jüngst ein Forschungsprojekt von der Universität Augsburg, wo mal untersucht wurde, wie viele kostenlose, online angebotene Bildungsmaterialien gibt es überhaupt, und das geht an die eine Million, also dass eine Million verschiedene Unterrichtsmappen im Netz rumgeistern. Es ist ein extrem unübersichtliches Feld, wo Lehrer eben einfach irgendwann auch den Durchblick verlieren logischerweise, weil ganz häufig nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, welche Interessen da vertreten werden. Das können dann auch Stiftungen sein, die die Sachen rausgeben. Wir brauchen eine glasklare Einordnung, dass eben solche werblichen Materialien nicht mehr benutzt werden dürfen und dass die Kultusminister der Länder dafür sorgen, dass die einwandfreien, vorhandenen Materialien für Ernährungsbildung kostenlos abgegeben werden.
    Kinder auf ungesundes Junkfood anzufixen
    Schulz: Jetzt hat sich die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Ihrer Forderung inzwischen angeschlossen und gesagt, um auch auf diese Studie der Uni Augsburg zu sprechen zu kommen, wenn die Zahl frei verfügbarer und privater Unterrichtsmaterialien in die Million steige, bräuchten Schulen und Lehrkräfte mehr Orientierung - im Prinzip auch das, was Sie gerade gesagt haben. Und die Gewerkschaft setzt sich jetzt aber für eine öffentlich kontrollierte Prüfstelle für freie Unterrichtsmaterialien ein. Könnte das denn eine Kompromisslösung sein?
    Huizinga: Das kann sicherlich eine Lösung sein, wenn dafür gesorgt wird, dass dann eben solche werblichen Materialien durch diese Prüfstelle nicht durchkommen. Das ist aus unserer Sicht das Entscheidende, dass die Lebensmittelindustrie aus unserer Perspektive, bei Foodwatch natürlich vor allen Dingen die Lebensmittelindustrie sich nicht hinstellen kann und so tun kann, als wäre hier dieses Bildungsmaterial Teil ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, wenn gleichzeitig aber an jeder Stelle und in allen Maßen versucht wird, schon Kinder auf ungesundes Junkfood anzufixen. Das ist aus unserer Sicht höchst problematisch, wenn die Lebensmittelindustrie damit durchkommt.
    Schulz: Sagt Oliver Huizinga von Foodwatch. Herzlichen Dank!
    Huizinga: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.