Archiv


Schleifen aus dem Chemiebaukasten

Eine Modelleisenbahn im Maßstab eins zu zehn Milliarden - so etwas gibt es wirklich, jedenfalls, wenn man die Fantasie mitspielen lässt: ein kreisförmiges Molekül, auf dem wie auf Schienen ein Ring verschoben werden kann. Auch sonst haben es den Chemikern neuerdings Ringe, Schlaufen und Knoten angetan.

Von Hellmuth Nordwig |
    Jüngst hat der Chemiker Fraser Stoddart ein Molekül hergestellt, das aussieht wie die Ziffer 8. Auch andere verschlungene und verknotete Strukturen hat der Forscher von der Northwestern University Illinois bereits erzeugt. Zum Beispiel die Gänseblümchenkette oder die Handschellen. Der Trick dabei:

    "Wir nutzen schwache Anziehungskräfte zwischen verschiedenen Bereichen der Moleküle. So bauen wir Gebilde, bei denen sich verschiedene Teile ineinander verhaken. Diese sind aber nicht chemisch, sondern mechanisch miteinander verknüpft."

    Mechanische Bindungen sind ungewöhnlich in der Chemie. Aber im Alltag sind sie gang und gäbe, etwa beim Nähen: Da fädelt man den Faden durch eine Schlaufe und zieht zu. So ähnlich gelangt Fraser Stoddart auch zur Acht. Am Anfang steht ein Molekül, das aussieht wie ein Gürtel. Nun wird das Ende durch die Schnalle gesteckt und bis zur Mitte des Gürtels durchgezogen. Jetzt braucht man nur noch das freie Ende zur Gürtelschnalle zu biegen und dort zu befestigen. Fertig ist die Acht. Begonnen hat diese Art der Chemie mit Fraser Stoddarts Entdeckung, dass sich manche ringförmigen Moleküle so öffnen und wieder verschließen lassen, dass sie zusammenhängen wie die Glieder einer Kette.

    "Das ist bei vielen unserer Moleküle so. Sie heißen Catenane, nach dem lateinischen Wort catena, Kette. Das einfachste Catenan besteht aus zwei ineinander verschlungenen Ringen und wird deshalb 2-Catanan genannt. Vor einigen Jahren haben wir probiert, bis zu welcher Zahl wir kommen und haben ein 5-Catenan hergestellt. Wir konnten der Versuchung nicht widerstehen, es Olympiadan zu nennen."

    Denn das Molekül erinnert mit etwas Fantasie an die olympischen Ringe - und darauf folgten immer größere Ketten. Für Chemiker sind solche Strukturen eine besondere Herausforderung. Zwar kommt es durchaus ab und zu vor, dass sich ein Molekül freiwillig in einen Ring einfädelt. Damit es aber dann auch hängen bleibt, muss Fraser Stoddart nachhelfen und dort zum Beispiel geladene Metallatome platzieren. Die wirken wie eine Leimrute.

    "Man kann sich das so vorstellen wie beim Kleben. Auch da werden die Teile von schwachen Wechselwirkungen zusammengehalten, nicht von chemischen Bindungen. Wir versuchen also, sozusagen klebrige Stellen zu nutzen, um Moleküle mechanisch an eine erwünschte Stelle zu heften. So bekommen wir einen ganzen Strauß exotischer Gebilde wie etwa einen molekularen Aufzug."

    Dieser Nano-Aufzug erinnert ebenfalls an einen Gürtel, den man enger oder weiter stellen kann: Ein fadenförmiges Molekül wird in einer Schlaufe gezielt zwischen bestimmten Positionen hin- und hergeschoben - je nachdem, wie viel Säure zugegeben wird. Andere molekulare Aufzüge wechseln das Stockwerk, wenn man bestimmte Salze zufügt. So ähnlich arbeiten auch unsere Muskelfasern: Chemische Energie wird direkt in Bewegung umgewandelt. Nach diesem Vorbild versuchen Forscher künstliche Nanomaschinen zu bauen, etwa molekulare Schalter oder Motoren.

    "Es ist sehr reizvoll, in einen großen Maßstab zu übertragen, was im Kleinen im Labor funktioniert, und dabei vielleicht etwas Nützliches zu erhalten. Zum Beispiel bemühen wir uns sehr um Systeme, die Medikamente nur an bestimmten Stellen im Körper freisetzen. Das sind poröse Nanoteilchen, auf deren Oberfläche unsere Moleküle wie ein Ventil funktionieren. Es könnte sein, dass daraus die ersten Anwendungen dieser Substanzen entstehen."

    Noch ist es nicht soweit. So verknäuelt Fraser Stoddart weiterhin Moleküle im Reagenzglas. Auf eines ist er besonders stolz: Brezelan - auch wenn diese Substanz nicht zum Essen da ist.