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Schleppende Aufarbeitung

Erst ein Jahr, nachdem das Dopingsystem mit und um Lance Armstrong in einem Dossier öffentlich dargelegt wurde, werden drei seiner wichtigsten Mittäter zur Rechenschaft gezogen. Über den Stand zahlreicher anderer Fälle ist so gut wie nichts bekannt.

Von Jürgen Kalwa | 26.10.2013
    In den zwölf Monaten, seit die US-amerikanische Anti-Dopingagentur ihr dickes Dossier mit den vielen Anschuldigungen gegen Lance Armstrong und eine Reihe seiner Weggefährten vorlegte, ist eine Menge passiert. Am spektakulärsten: das Fernsehinterview, in dem der größte Sportbetrüger aller Zeiten zum ersten Mal das ganze Ausmaß der jahrelangen Leistungsmanipulation eingestand.

    ""I view this situation as one big lie that I repeated a lot of times.”"

    Nicht minder bedeutungsschwer: die Entscheidung des Justizministeriums in Washington, der amerikanischen Post in der von Floyd Landis angestrengten Schadenersatzklage beizustehen. Der US Postal Service hatte einst jahrelang das Team des Texaners finanziert, aber fühlte sich angesichts der nunmehr bewiesenen Dopingaktivitäten betrogen.

    Parallel läuft jener Prozess, in dem die amerikanische Öffentlichkeit die ganze Geschichte abarbeitet. Neulich steuerte Greg LeMond in einem Interview auf CNN eine weitere Facette bei: das moralische Argument, wonach Armstrong eigentlich ins Gefängnis gehört.

    ""This is not a sporting infraction. This is criminal.”
    "Do you think he should go to jail?”
    "I do. Yeah.”"
    "Das ist kein Verstoß gegen die Sportgesetze, sagte LeMond. "Das ist kriminell”. Selbst ein Jahr, nachdem die USADA in ihrer sogenannten Reasoned Decision das Doping-System von Armstong bis hinauf zur Spitze des Weltradsportverbandes dokumentierte, wirkt die Welt noch immer wie hypnotisiert und fixiert auf das Verhalten des Missetäters Nummer eins.

    Vergessen wird die eigentliche Lektion, die das Papier produziert hatte: Armstrong war kein Einzeltäter gewesen, sondern der Kopf einer mafiaartigen Organisation. Einer Verschwörung. Ein Umstand, auf den der Journalist David Walsh bereits im Januar im irischen Fernsehen nach dem spektakulären Bekenntnis-Interview aufmerksam machte. Armstrong hatte es unterlassen, über die Mittäter und Mitwisser zu reden. Und Oprah Winfrey, die Beichtmutter der Nation, hatte auch gar nicht danach gefragt.

    ""A lot of people enabled him to do what he did. He didn’t speak about those people.”"

    Aber was mit den Menschen, die ihm geholfen hatten? Über sie gibt es nur wenige neue Informationen. Anfang der Woche fragte die Radsportexpertin Juliet Macur in der New York Times: "Was heißt das für den Radsport und für uns? Viele Leute, die beteiligt waren, sind noch immer im Sport involviert. Sie haben vom Doping und vom Betrug profitiert. Dadurch kamen sie nach oben.” Über die Gründe, weshalb die USADA sich so seltsam zurückhaltend verhält, vermag die Journalistin nur zu spekulieren.

    ""Sie haben mir gesagt, dass sie mitunter zu wenige Beweise haben, aber auch noch immer Fälle verfolgen. Aber Genaueres verraten sie nicht. Mein Gefühl sagt mir, dass sie da nicht viel unternehmen werden. Wenn sie jeden verfolgen würden, der in jener Zeit im Radsport gedopt hat, würde das der USADA ihr ganzes Geld und ihre gesamte Energie kosten.”"

    Das erklärt allerdings nicht, wieso erst in anderthalb Monaten und dann auch noch in London ein Schiedsgericht drei der prominenten Fälle behandeln wird: Gegen den ehemaligen Sportlichen Direktor von US Postal, den Belgier Johan Bruyneel, einen früheren Teamarzt, den Spanier Pedro Celaya, und gegen dessen Landsmann Masseur Pepe Marti. Macur vermutet, dass daran liegt, dass vor allem Bruyneel lange mit formalrechtlichen Mitteln die Zuständigkeit der amerikanischen Anti-Dopingagentur bestritten hatte.

    Während anderen die Beichte von Armstrong vermutlich die letzte Hoffnung auf Erfolg im Schiedsgerichtsverfahren genommen hätte, sucht Bruyneel noch immer nach einem Ausweg. Er will offensichtlich irgendwie die ihm drohende lebenslange Sperre abwenden. Und so testete er im Sommer in seiner Heimat in einem Interview schon mal ein paar Ballons, mit denen er sein Image reparieren möchte: Er widersprach der Anschuldigung, er sei der Hauptstratege der Dopingaktivitäten bei US Postal gewesen. Und abgesehen davon könne er jedem in die Augen schauen und sagen: "Ich habe die Gesundheit von niemandem aufs Spiel gesetzt.”