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Schleppende Digitalisierung
Schulen brauchen IT-Mitarbeiter

Schul-IT ist eine komplexe Aufgabe. Derzeit übernehmen diese oft Lehrkräfte nebenher - ein Grund, warum der digitale Unterricht nicht vom Fleck kommt. Gebraucht werden Mitarbeiter, die sich Vollzeit um die IT kümmern. Denkbar sind auch IT-Abteilungen, die für mehrere Schulen zuständig sind.

Informatikunterricht an einer Schule in Tübingen in Baden-Württemberg
Schulen mit 600, 800 oder gar 1.200 Kindern plus Kollegium sind de facto wie ein kleines Unternehmen – nur eben ohne eigene IT-Abteilung (picture alliance/ dpa/ Sebastian Gollnow)
Mit der Schließung der Schulen wegen der Coronavirus-Pandemie im März standen Lehrer und Schüler plötzlich vor der Aufgabe, den herkömmlichen Unterricht mir nichts dir nichts ins Digitale übertragen zu müssen. Aufgaben wurden per Mail verschickt, Lehrinhalte per Videoclip vermittelt und Klassen kamen allenfalls virtuell zusammen. Jetzt, nachdem die Sommerferien vorbei sind, heißt es: Schulen wieder auf – wenn auch nur unter Einhaltung strenger Vorgaben zum Infektionsschutz. Das analoge Klassenzimmer lebt also weiter, so scheint es.
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Welche Hürden hatte die Digitalisierung im Hauruckverfahren?

Ganz allgemein: Infrastruktur, Software oder Endgeräte. Und nicht zuletzt konnten auch rechtliche Auflagen den digitalen Unterricht schnell ausbremsen. Der Umgang mit der Coronavirus-Pandemie sei ein "Von null auf hundert" in Sachen Digitalisierung gewesen, sagt Bildungsforscher Ulrich Schmid vom privaten Forschungsinstitut mmb. Ganz plötzlich habe man gemerkt, dass es auf technischer Seite an funktionierenden Systemen fehle und dass auch die Landeslösungen nicht funktionierten. Ebenso habe es an der didaktischen Einbindung gehapert. "Das Thema ist halt immer ein sekundäres Thema gewesen", meint Schmid. "Es gab viel, viel Wichtigeres zu tun." Dafür, dass bereits vor 20 Jahren führende Unternehmen eine schnellere und flächendeckende Verbreitung von Internetanschlüssen in Deutschland gefordert und schon damals vor drohender Benachteilung auf den Feldern Ausbildung und Dienstleistungen gewarnt haben, habe sich schon vor Corona nicht sehr viel getan.
Ralf Koenzen, Geschäftsführer des Netzwerkausrüsters Lancom, erkennt in der ersten Phase der Krise rückblickend aber auch Positives: "Viele Schulen sind aktuell eher mit 50 oder 100 Megabit ans Internet angebunden, was natürlich viel zu wenig ist. Es ist durchaus positiv zu sehen, dass der Trend jetzt ganz klar in Richtung Gigabit-Strecken geht." Das sei ein allgemeiner Trend in Deutschland, dass die Bandbreiten wüchsen und die Glasfasertechnologie sich durchsetze. Die Netzbetreiber würden kräftig ausbauen, nun müssten auch die Schulen angeschlossen werden.
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Welche Rolle spielen Datenschutz und IT-Sicherheit?

Zwar müsse grundsätzlich die Einhaltung der europäischen Datenschutzgrundverordnung DSGVO bei IT-Projekten nicht explizit mit ausgeschrieben werden, erläutert Marit Hansen vom Unabhängigen Landeszentrum für den Datenschutz Schleswig Holstein. Spätestens bei der Auswahl aber sei das ein zwingendes Kriterium. IT-Unternehmen wie der Firma Lancom aus Würselen sehen die Ausschreibungspolitik von Schulträgern hier kritisch. Es sei aufgefallen, dass das Thema Datenschutz nicht ausschreibungsrelevant sei, sagt Pamela Krosta-Hartl von Lancom. Das Wort Datenschutz falle höchstens in zwei von zehn Ausschreibungen. "Es spielt de facto keine Rolle."
Auch auf dem Feld der IT-Sicherheit werde wenig Sorgfalt gepflegt: "Sie finden keine Mindestanforderungen in den Ausschreibungen", berichtet Krosta-Hartl. "Das hat zur Folge, dass im Zweifel Infrastruktur beschafft wird, die von Herstellern kommt, die keine Updates bekommen oder liefern." Vielen Trägern sei bei der Ausschreibung nicht bewusst, dass schon bei der Basis-Infrastruktur das Thema Datenschutz und Sicherheit mitgedacht werden müsse.
Ein Problem, das auch Bildungsforscher Ulrich Schmid kennt – längst nicht nur bei der Bestellung von Hard- und Software: "Die Schulen haben einfach andere Themen im Vordergrund. Die haben kein Management, das in der Lage ist, ein sinnvolles IT-Infrastruktur-Konzept zu entwickeln und entsprechend zu ordern, zu betreiben und zu supporten."
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Die Digitalisierung sei bislang wenig in deutschen Schulen angekommen, meint Ekkehard Winter von der Telekom Stiftung. Laut einer Studie der Stiftung heißt Digitalisierung derzeit im Wesentlichen Versand von Arbeitsblättern per E-Mail.

Was müsste sich verändern an den Schulen?

Das IT-Management an Schulen ist dringend überholungsbedürftig beziehungsweise muss überhaupt erst richtig eingeführt werden. Denn es ist nicht nur schlecht um die technische Ausstattung der Schulen bestellt, auch die Betreuung der Technik sowie der Menschen, die damit umgehen sollen, ist mangelhaft. In der Regel kümmert sich eine Lehrkraft um die Schul-IT und bekommt zum Ausgleich ein paar Freistunden. Doch Schulen mit 600, 800 oder gar 1.200 Kindern plus Kollegium sind de facto wie ein kleines Unternehmen – nur eben ohne eigene IT-Abteilung. Dabei ist Schul-IT eine komplexe Aufgabe: Management des Mail-Systems, des WLANs, des Schulnetzwerks und eventueller Server oder gar einer eigenen Cloud-Lösung, vom Datenschutz ganz zu schweigen. Das ist ein Fulltime-Job, der jedoch in sehr vielen Fällen nebenher erledigt wird. Deshalb braucht es einen oder besser mehrere Mitarbeiter, die sich Vollzeit um die IT kümmern können – zum Beispiel auch in Zusammenarbeit mit lokalen Systemhäusern und vergleichbaren Dienstleistern. Alternativ sind IT-Abteilungen denkbar, die für mehrere Schulen zuständig sein könnten. Wichtig ist die koordinierte, planvolle technische Ausgestaltung, das kontinuierliche Management und vor allem die Schulung und Betreuung Lehrerinnen und Lehrern und Schülerinnen und Schülern. Auf lokaler Ebene fehlt das Geld zwar oftmals - doch der Digitalpakt Schule umfasst vier Milliarden Euro, von denen bisher nur ein Bruchteil abgerufen wurde. Der Digitalpakt sieht zumindest die Möglichkeit vor, die Entwicklung effizienter und effektiver Strukturen für die professionelle Administration und Wartung digitaler Infrastrukturen als regionales oder landesweites Projekt zu fördern.
(Quelle: Jan Rähm, Manfred Kloiber, Online-Redaktion)