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Schlicktester

Das Watt gilt neben dem tropischen Regenwald als produktivster Lebensraum auf dieser Erde: Die vielen Millionen Herzmuscheln, Wattschnecken oder Kotpillenwürmer sind zum Teil nur winzig klein, ernähren aber Jahr für Jahr 12 Millionen Zugvögel – und sind natürlich auch Lebensgrundlage für viele heimische Tierarten. Das Watt ist aber auch ein sehr sensibler Lebensraum – und steht deshalb unter besonderem Schutz und unter besonderer Beobachtung. Seit zehn Jahren sind die so genannten "Schlicktester" von der Elbmündung bis hoch zur dänischen Grenze unterwegs und untersuchen die Qualität dieses einzigartigen Biotops. Martin Koch hat sie bei der Arbeit begleitet.

Von Martin Koch |
    Pauline, Kai, Matthias und Finn auf dem Weg zur Arbeit. Sie leisten ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr bzw. ihren Zivildienst in der Naturschutzstation Wattenmeer auf Sylt – und heute sind sie Schlicktester: ausgerüstet mit Kompass, Sieb, zwei Stechröhren und Schreibzeug stapfen sie durchs Watt vor Keitum. Einer geht fünfzig Meter voraus, ein anderer korrigiert mit dem Kompass die Richtung – dann legen sie ihr hölzernes Planquadrat auf den Boden und dokumentieren das Ergebnis:

    Hier sieht man Seegras, und das hat ne Bedeckung von 90 Prozent, die Wattwurmhaufen werden gleich ausgezählt, dann wird gekuckt, ob da Sandklappmuscheln drin sind, Bäumchenröhrenwürmer, Kotpillenwürmer und ähnliches.

    Zweimal im Jahr steht die Wattkartierung auf dem Programm. An 12 Messstellen entlang der Küste gehen die Schlicktester im März und im August zwei Wochen lang auf Pirsch. Auf je drei parallelen Strecken genau zwei Kilometer weit ins Watt – und das seit nun schon zehn Jahren. Auf diese Weise ist eine umfangreiche und verlässliche Dokumentation entstanden, die für den Erhalt dieses einmaligen Lebensraums von großer Bedeutung ist, sagt der Sprecher der Schutzstation Wattenmeer, der Biologe Lothar Koch.

    Von dem Wattboden leben 12 Millionen Zugvögel, die hier zweimal im Jahr durchkommen, zum Beispiel die Ringelgänse oder die Knuds. Und wenn an der Basis was nicht in Balance ist, dann wirkt sich das später auf das gesamte Nahrungsnetz aus, das heißt, darunter leiden dann auch die Vögel, die Seehunde, die großen Tiere. Deshalb ist es wichtig, dass wir in der Kleinarbeit kontrollieren, ist noch alles in Ordnung oder zeichnet sich in der Tendenz eine Gefahr ab.

    Sorgfältig wie ein Arzt seinen Patienten, so untersucht Pauline Planquadrat für Planquadrat:

    Ich fühl nach Muscheln und Schnecken und nach Dellen und kleinen Löchern, in die kann man dann reinfühlen, und wenn’s ganz, ganz leicht reingeht, dann sitzt da drunter ne Sandklaffmuschel und wenn’s n bisschen Widerstand gibt, dann ist es ein Loch von nem Wattwurm.

    Zivi Finn muss heute besonders genau hinsehen: er zählt die Wattschnecken:

    Die Wattschnecke ist die kleinste und am häufigsten vorkommende und produktivste Schnecke im Watt, die gräbt den Boden so richtig gut um, daran können wir sehen, wenn wir sie auszählen, wie gut wird der Boden belüftet, wenn er umgegraben wird durch die Wattschnecke. Also ich hab jetzt hier ungefähr 104, das ist noch nicht so viel, man kann später im Watt bis zu 900 Schnecken haben.

    Das Watt reagiert sehr sensibel auf Störungen durch Umwelteinflüsse. So werde man mit Sicherheit schon bei einer der nächsten Messungen die Gifte nachweisen können, die durch das Elbe-Hochwasser in die Nordsee gespült worden sind, sagt Lothar Koch. Doch trotz solcher kurzfristigen Störungen sieht der Experte das Watt dank verbesserter Klärwerke alles in allem auf dem Weg der Besserung:

    Auf jeden Fall kann ich etwas positives berichten: als wir mit der Wattkartierung Anfang der 90er Jahre anfingen, geschah das auch im Eindruck der sogenannten schwarzen-Flecken-Seuche, die damals das Watt stellenweise überzog, und wir können sagen, dass innerhalb dieser zehn Jahre das Problem eher weniger geworden ist.

    Die Wattkartierung erfüllt als Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher Forschung und ökologischer Basisarbeit eine wichtige Aufgabe. Mit den Ergebnissen sind schon zahlreiche Diplomarbeiten gefüttert worden. Und viele der jungen Mitarbeiter nutzen sie als Vorbereitung für ein späteres Studium oder als Sprungbrett in die aktive Umweltschutzarbeit. Lothar Koch ist immer wieder neu begeistert von seinen Barfuß-Forschern:

    Unsere jungen Leute sind immer wieder fasziniert von der Arbeit, die sie machen, und sie selbst strahlen diese Faszination auch weiter. Also man kann fast sagen, dass das Leuchten in den Augen der Wattführer, die von uns ins Feld geschickt werden, die größte Überzeugung ist für die Urlauber, die dann mal mitgehen, weil die jungen Leute selber so begeistert sind von der Arbeit, die sie machen, und das hat die größte Überzeugungskraft.