Freitag, 29. März 2024

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Schliemann und Sophia. Eine Liebesgeschichte

Am Anfang war ein Bild. Heinrich Schliemann verliebt sich in die Fotografie einer jungen Griechin. Geschickt hat ihm das Bild sein ehemaliger Griechischlehrer, Bischof Vimbos, der Onkel der Auserwählten, die von ihrem "Glück" noch nichts weiß. Heinrich Schliemann ist der Welt zu diesem Zeitpunkt weder als Schatzsucher noch als Archäologe bekannt. Er ist ein Self-Made-Millionär, der sich seinen Kindheitstraum erfüllen will. Einen kruden Traum, wie damals viele denken. Er will, nein, er muß das Troja seines geliebten Homers entdecken. Er muß den Gelehrten Europas beweisen, daß es existiert hat. Doch bevor er seiner Vision nachjagen kann, braucht er eine Frau an seiner Seite. Schliemann schreibt am 12. März 1869:

Pagonis Pagonakis | 28.02.2001
    "Sie muss sich für Homer begeistern können...Sie soll arm, aber gebildet sein. Ob sie fremde Sprachen spricht, ist mir gleichgültig. Aber sie muß griechischen Typus haben, schwarzes Haar und, wenn möglich, soll sie schön sein. Meine Hauptbedingung aber ist ein gutes und liebreiches Herz."

    Nur fünf Monate nach diesen Zeilen ist Schliemann verheiratet, die Ehe wird bald weltweites Aufsehen erregen. Ihre Geschichte hat die in Deutschland lebende Griechin Danae Coulmas rekonstruiert. Die Autorin:

    "Dass er eine Griechin heiraten möchte und also um eine Griechin bittet buchstäblich, das ist etwas wirklich sehr originelles. Das ist Schliemann und das kann man wirklich kaum erklären. Das ist eben auch das Großartige bei ihm, diese Übertreibungen, in den Hoffnungen, in dem Optimismus, in der Vision. Die Verbindung eben der Legende mit der Wirklichkeit."

    Schliemanns Traumbild ist die 17jährige Sophia Engastroménos - Tochter eines Athener Textilimporteurs, dessen Geschäfte nicht besonders gut gehen und der glaubt, nun das große Los gezogen zu haben. Sophia fügt sich dem Willen ihrer Familie und heiratet den 30 Jahre älteren, nicht gerade ansehnlichen Protestanten aus Mecklenburg. Eine verordnete Ehe also, die früh zu scheitern droht: Schliemann ist herrschsüchtig und zwingt ihr eine anstrengende Bildungsreise durch Europa auf. Sophia wird gemütskrank, sie hat Heimweh. Einmal ruft sie: "Lieber will ich sterben, als an der Seite dieses Mannes leben." Coulmas:

    "Und da aber in diesen Mentalitäten, sagen wir mal, der deutschen von ihm und der griechischen von ihr, schleicht sich hinein der harte Kern dieser Beziehung, glaube ich, also das, was diese Beziehung schützt und stützt. Das ist sein Philhellinismus und ihr Patriotismus. Damals waren die Griechen wirklich, also sie sind es auch noch heute, berechtigterweise ganz besonders patriotisch, das kam immer zum Ausdruck und da treffen sie sich: Seine Liebe zu Griechenland und ihre Liebe zu ihrem Land. Und das bleibt unangetastet in der ganzen Zeit."

    Danae Coulmas Buch ist mehr als die Schilderung einer erzwungenen Heirat, die zu einer Liebesgeschichte reift. Es ist eine Reise mit den Schliemanns durch ein Stück europäische Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts, die sich in dieser Ehe exemplarisch manifestiert. Die nordeuropäischen Griechenlandfreunde wollten das antike Hellas wiederbeleben: Zum einen, indem sie die Griechen im Befreiungskampf gegen die osmanischen Besatzer unterstützten, und zum anderen, indem sie antike Kunstschätze retteten, man darf sagen: raubten. Auch der Tatenmensch Heinrich Schliemann sucht Hellas nicht nur mit der Seele, wie es in einem Goethewort heißt, sondern mit dem Spaten. Zuvor macht er jedoch durch die Heirat mit einer Griechin seinen Philhellenismus, seine Liebe zu Griechenland, inszenatorisch perfekt. Coulmas:

    "Ich würde sogar sagen, der deutsche Idealismus ist...der Nährboden, auf dem die ganzen Visionen von Schliemann erwachsen. Der deutsche Idealismus wird charakterisiert auch in dieser Hinsicht von der Tatsache, daß die Deutschen sich nicht über Rom an dem alten Hellas orientieren, sondern direkt Hellas wieder entdecken. Also nicht wie die anderen romanischen Nationen über Rom, über Virgil, sondern direkt über Homer . Dadurch wurden sie führend im Geiste in Europa. Dazu gehört Schliemann mit seinem Traum."

    Vier Jahre nach der Eheschließung, 1873, glaubt Schliemann, daß sein großer Traum Wirklichkeit geworden ist. Bei Ausgrabungen auf dem Hügel Hissarlik in Kleinasien meint er, das Troja Homers und den Schatz des Priamos entdeckt zu haben. Er sieht den Beweis erbracht, daß das homerische Epos Ilias auf historischen Tatsachen beruht. Mit letzterem hatte er wohl recht, worin er aber fehlte, war sein Glaube, den Schatz des Priamos gefunden zu haben. Schliemann gräbt zu tief und entdeckt eine viel ältere Kultur, was er später selbst einsieht. Eine Lüge jedoch hält er sein Leben lang öffentlich aufrecht. Er schreibt 1874 in seinem Buch "Trojanische Altertümer":

    "Meine liebe Frau, eine Athenerin, die für Homer schwärmt und die Ilias fast ganz auswendig weiß, wohnt den Ausgrabungen von früh bis spät bei."

    In Schliemanns Realisierung seines großen Traumes durfte seine Frau, "die Griechin für Troja" nicht fehlen. In Wirklichkeit war Sophia aber bei den wichtigen Funden im Mai 1873 nicht dabei. Sie war vorher wegen des plötzlichen Todes ihres Vaters abgereist. Zudem musste sie sich, inzwischen zweifache Mutter, um die Kinder kümmern. Das Fehlen Sophias bei den Grabungen gibt Heinrich Schliemann nur einmal einem Freund gegenüber zu:

    "Der Schatz wurde Ende Mai gefunden, und da ich schon lange bemüht bin, aus ihr eine Archäologin zu machen, habe ich in meinem Buch geschrieben, daß sie am Ort war und mir bei der Bergung des Schatzes half."

    "Sie lügt diese Lebenslüge mit, und er lässt sie wiederum in seinem Glanz, nicht in seinem Schatten leben. Dieses bildet schon, schafft schon ein legendäres Paar. Und als solches wird es eben berühmt, er hat auch ihr Bild immer in der Tasche, dieses berühmte Bild mit dem Diadem der Helena und zeigt es jedem Gelehrten, schickt es jedem Gelehrten, Prinzen, Fürsten und so weiter. Und so kommt es auch in einer gesellschaftlichen Schicht zu einer Berühmtheit von Sophia zusammen mit Schlieman."

    Danae Coulmas Beschreibungen der kleinasiatischen Ausgrabungen lesen sich spannend wie ein Roman. Die Autorin legt dabei auch das Grundmuster der Ehe offen: Das Paar Schliemann lebt die gesamten 21 Jahre seiner Verbindung hindurch in einem Spannungsfeld zwischen Legende und Wirklichkeit. Schliemann bleibt dabei bis zu seinem Tod 1890 immer seinem Traumbild von Sophia treu. In Troja versucht er, es abzubilden, indem er ihr den antiken Schmuck anlegt. Sophia ist ein zweites Mal eine Bildbraut, die seiner Vorstellung Symbolkraft verleiht. Die antike Hellenin und die moderne Griechin sind für ihn nun vereint. Später wird er Sophia als seine Pallas Athene, als seine Schutzgöttin bezeichnen. Doch der Deutsche liebt inzwischen auch die reale Griechin, die sonst in Schliemann-Biographien immer hinter ihrem Foto verschwindet. Coulmas.

    "Also die Wachheit, diese Intelligenz und ein realistischer Verstand, das ist die eine Seite von ihr und die andere Seite, die wirklich diese Verbindung interessant macht: Sie ist eine sehr liebevolle Frau, eine fürsorgliche Frau, eine zärtliche Frau auch. Sie finden, das findet man auch in den Briefen, auch zu körperlicher Nähe, was interessant ist, weil Schliemann in seiner ersten Ehe auf diesem Gebiet, aber auch überhaupt sehr unglücklich gewesen ist und nun ganz stolz solche Sätze schreibt wie "sie liebt mich leidenschaftlich wie eine Griechin", was natürlich Klischee ist, aber für ihn sehr wichtig, oder "sie pflegt immer in meinen Armen einzuschlafen". Sachen, die für ihn sehr wichtig gewesen sind. Denn das ist eben ein neues Leben."

    Das neue Leben des Paares ist geprägt durch die rastlosen Reisen und Ausgrabungen Schliemanns, bei denen Sophia manchmal teilnimmt, am intensivsten in Mykene. Immer öfter aber wird sie mit den Kindern in die noblen Kurorte Europas regelrecht abgestellt. Sophia liebt Heinrich in einem weniger idealistischen Sinne als er es tut. Sie beklagt die Abwesenheit des Ehemannes und Vaters ihrer Kinder. Es gibt bittere Briefe von Sophia aus dieser Zeit und nicht immer gehorcht sie den Wünschen ihres Mannes. Besonders übel nimmt sie ihm, daß er den sogenannten Schatz des Priamos 1881 dem Deutschen Volk schenkt. Es ist Schliemanns Versöhnungsgeste an sein Vaterland. Das Ehepaar wird in Berlin grandios gefeiert. Im selben Jahr aber schreibt Sophia ihrer Schwägerin in einem bislang unbekannten Brief aus Karlsbad:

    "...Du hast Recht, hier werden uns große Ehrenbezeugungen zuteil, aber glaube mir, jede Ehre wird durch Lasten im voraus bezahlt und durch das Opfer meines Lebens. Möge zumindest mein Name bekannt werden, wenn das zum Ruhm meiner geliebten Heimat beitragen kann."