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Schließung von Museen - Zensur im Theater

Venezuelas Präsident Hugo Chavez macht sich unbeliebt in der Kulturszene des Landes: Die Regierung hat die Kultur in den Dienst ihres politischen Projekts gestellt und ihm völlig untergeordnet. Das bedeutet: Museen, Theater und Kulturschaffende bangen um ihre Zukunft.

Von Peter B. Schumann | 14.08.2011
    Kinder spielen im zentralen Ausstellungsraum des Museums Alejandro Otero in Caracas: Kinder von Obdachlosen. Im Dezember 2010 wurden sie hier mit ihren Eltern einquartiert - 350 Menschen insgesamt. Damals hatten 70.000 Venezolaner bei einer Überschwemmungskatastrophe alles verloren.

    Seither ist das Museum für die Öffentlichkeit gesperrt. Die kostbaren Kunstwerke wurden ins Depot verfrachtet. Kulturminister Farruco Sesto begründete die seltsame Maßnahme laut der Tageszeitung Talcual so:

    "Die Museen haben nie zuvor bessere Kunstwerke als heute besessen, denn die Menschen, die sie jetzt bevölkern, sind die größten Kunstwerke."

    Diese zynische Haltung empörte viele Kulturschaffende - zumal sie die Tragödie der Obdachlosen völlig negierte. Aber sie charakterisiert die Missachtung traditioneller Kulturinstitutionen durch die Bolivarianische Revolution von Präsident Chávez:
    "Unsere Kultur muss eine subversive, befreiende, revolutionäre Kultur sein. Die Revolution ist Kultur - oder sie ist keine Revolution."

    Die Regierung hat die Kultur in den Dienst ihres politischen Projekts gestellt und ihm völlig untergeordnet. Was den Massen nicht nützt, wird marginalisiert. Der Name des zuständigen Organs ist Programm: Ministerium der Volksmacht für Kultur. Minister Sesto:
    "Bisher gab es eine Kultur der Elite für die Elite, von der das Volk ausgeschlossen war. Die Revolutionsregierung hat statt ihrer eine revolutionäre, populäre, partizipative, massive, demokratische, dekonzentrierte Kultur entwickelt."

    "Dekonzentriert" ist diese Kultur ganz und gar nicht. Maria Elena Ramos, die ehemalige Direktorin des Museums der Schönen Künste in Caracas:

    "Eines der Probleme dieser Regierung ist ihr Zentralisierungswahn. Vor sechs Jahren wurden alle staatlichen Museen in einer Nationalstiftung zusammengefasst und ihnen damit ihr Profil geraubt. Die Werke sämtlicher Museen wurden in einem einzigen Depot konzentriert, obwohl es gar nicht über die nötigen Installationen verfügt. Im Museum der Schönen Künste werden Ausstellungen gemacht, die nicht mit Qualität, sondern nur mit Politik zu tun haben. Es gibt auch keine Einzel-, sondern nur noch Kollektiv-Ausstellungen. Das hat dazu geführt, dass das Publikum seit Beginn dieser Kulturrevolution die Museen immer öfter gemieden hat."

    Auch das Theater leidet. In den zwölf Jahren der Regierung Chávez mussten drei Viertel der Spielstätten schließen, denn viele Venezolaner verlassen abends nur ungern das Haus: Caracas ist zu einer der gefährlichsten Metropolen der Welt geworden. Auch musste eine ganze Reihe freier Gruppen ihre Aktivitäten einschränken, weil ihnen die Subventionen aus politischen Gründen gestrichen wurden. Héctor Manrique, Leiter des Grupo Actoral 80:

    "Wir wurden als 'schädlich' und 'die Stabilität der Bevölkerung gefährdende Gruppe' eingestuft und zwar nur deshalb, weil wir kritische Stücke aufgeführt haben. Ich glaube, die Regierung war auch darüber verärgert, dass ich ein Stück von Mario Vargas Llosa aufzuführen gewagt und ihn auch noch eingeladen hatte."

    Das Rajatabla, Venezuelas legendäres und auch in Deutschland bekanntes Ensemble, ist gefährdet. Es verfügte als einziges über eine eigene Spielstätte. Seit das Ateneo, in dem es zu Hause war, verstaatlicht wurde, muss es die Probenräume mit der neuen Universität der Künste teilen. Es ist zu befürchten, dass es auch noch die Bühne verliert. Francisco Alfaro, Mitbegründer des Rajatabla und bis zu seinem Tod im vergangen Juli 18 Jahre lang dessen Direktor:

    "Wir wurden schon gezwungen, unser Café zu schließen. Das stürzte uns in große finanzielle Schwierigkeiten, denn damit haben wir 70 Prozent unserer Einkünfte erwirtschaftet. Subvention bekommen wir zwar weiterhin, aber sie wurde seit 2001 trotz dramatischer Geldentwertung nicht mehr erhöht. Wir erhalten von der Regierung den geradezu lächerlichen Betrag von umgerechnet 15.000 Dollar im Jahr."

    Nur wenige Künstler und Intellektuelle unterstützen Präsident Chávez. Die meisten lehnen seinen diktatorischen und populistischen Regierungsstil ab – wie Orlando Arocha von der Theatergruppe Contrajuego/Gegenspiel. Ihr wurde vor zwei Jahren die Förderung entzogen.

    "Mit der Kultur und der Politik sind wir überhaupt nicht einverstanden. Und das haben wir auch immer wieder öffentlich gesagt und kritische Stücke aufgeführt. Und dann haben wir die Ikone Che Guevara, der ja nicht zu unserer Kultur gehört wie Simón Bolívar, in einen Kontext mit einer anderen Ikone gezeigt: der Country-Musik-Sängerin Julie Roberts. Das wurde von den Aufpassern im Kulturministerium als Sakrileg empfunden. Aber wir sind doch hier nicht im Iran."