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Schlittschuhfahren gegen die Abrissbirne

Zahllose Kulturdenkmäler und historische Gebäude in der Moskauer Altstadt fielen der Bauwut des ehemaligen Bürgermeisters Jurij Luschkov zum Opfer. Vor allem Künstler und Kreative wollen nun retten, was noch zu retten ist. Mit ausgefallenen Ideen und ungewöhnlichen Projekten.

Von Andrea Rehmsmeier |
    Samstagabend im Basmann-Viertel: Eine Häuserschlucht, unbeleuchtet und schmal, weist den Weg in die versunkene Welt der Moskauer Schwerindustrie. Im Innenhof des Fabrikgeländes bröckeln die Backstein-Fassaden - aus verschachtelten Industriebauten glotzen tote Fenster. Zu Sowjetzeiten wurden hier Manometer hergestellt: Druckmessgeräte.

    Doch der Innenhof ist erstaunlich belebt: Junge Leute schlendern in Richtung eines Werksgebäudes, dessen erleuchtete Glasdrehtür zum Eintreten einlädt. Drinnen laufen auf Hochtouren Renovierungsarbeiten, die Liftanlage funktioniert bereits: Geräuschlos transportiert sie die Besucher in die fünfte Etage. Dort hängen bunte Hinweisschilder: "Die architektonische Schlittschuhbahn hat geöffnet!", steht dort zu lesen.

    Auf dem Dach des Fabrikgebäudes herrscht Trubel: Auf einer schneeverwehten Eisfläche staksen, sprinten oder drehen sich gekonnt dick vermummte Gestalten. Und hinter der Absperrung erstreckt sich bis zum Horizont das nächtliche Moskau. Am Rande der Eisbahn steht eine junge Frau. Olga ist an diesem Abend das erste Mal hier.

    "Plätze wie diesen kenne ich sonst gar nicht. Es gibt Nachtclubs. Und es gibt auch Schlittschuhbahnen – aber die sind natürlich langweilig, wenn drum herum alles abgezäunt ist. Hier aber hat man Ausblick auf die ganze Stadt, und man fühlt sich nicht wie in einem Käfig."

    Mitte Januar hat die Eisbahn aufgemacht. Für umgerechnet fünf Euro kann man hier jeden Tag von zwölf bis Mitternacht Schlittschuh laufen. Die Plakate an der Absperrung verraten, wer hinter dem neuen Freizeitangebot steckt: "Artplay – das Designzentrum". Das Moskauer Architektur-Unternehmen hat einen Großteil des Werksgeländes übernommen. Hier soll jetzt ein neues Zentrum für Kunst und Design entstehen, erzählt Dima Ludakov, der im Auftrag von Artplay den Betrieb auf der Eisbahn betreut.

    "Hier haben sich Designer, Architekten und Leute mit kreativen Berufen zusammengetan. Sie finden, dass dieses Gelände ein perfekter Ort ist für ungewöhnliche Projekte - wie zum Beispiel eine Eisbahn auf einem Fabrikdach. Aber es war wirklich kompliziert, die Betriebsgenehmigung zu erhalten, es war ein monatelanger Papierkrieg. Und am Ende haben sie uns nur die Hälfte der ursprünglich geplanten Fläche genehmigt. 1200 Quadratmeter Eisfläche. Aber damit habe ich mich inzwischen abgefunden: Jetzt muss ich mir keine Sorgen machen, dass etwas passiert."

    Der Ausblick auf Moskau von hier oben ist beeindruckend.: Die Lichterketten der nie endenden Verkehrskolonnen, Stalins Zuckerbäcker-Bauten mit ihrem eigentümlichen Prunk, die Kuppeldächer von Kirchen, die zwischen Wohnblocks hervorlugen. Auf der anderen Seite schreitet die Renovierung des Fabrikgeländes voran. Hinter dem ein oder anderen Fenster lassen sich bereits moderne Großraumbüros erahnen. Und im Innenhof leuchten die Schaufenster von Designbüros und Innenausstattern. Für Dmitrij ist das ein ermutigendes Zeichen, ein vernünftigerer Umgang mit alter Bausubstanz - auch er hofft, dass die Zeit des besinnungslosen Baubooms aus der Ära Luschkovs jetzt zu Ende ist.

    "Luschkov, der "Zerstörer", so nennen wir ihn! Hätte er die Architektur dieser Werkshallen nur besser zu schätzen gewusst! Die Rückseite dieses Gebäudes ist schon fast wieder hergerichtet, an der Fassade muss natürlich noch eine Menge getan werden. Aber das braucht Zeit. In Russland ist es einfach furchtbar schwer, solche Projekte zu realisieren."