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Schluckauf und Kiemenatmung

Biologie. - Schon im Mutterleib beginnt das Übel: Bevor der Embryo auch nur mit den Atemmuskeln zuckt, hickst er schon munter vor sich hin, wie Ultraschallmessungen zeigen. Eine Vorbereitung auf das spätere Atmen, mit der die Muskeln trainiert werden sollen, nahmen Forscher lange Zeit an. Nun hat ein internationales Forscherteam eine neue Hypothese aufgestellt.

05.03.2003
    Von Barbara Witthuhn

    Schluckauf ist eine unangenehme Angelegenheit. Und scheinbar so ohne jede Funktion. Vielleicht sogar nur eine lästige Laune der Natur. Christián Straus vom Pitié-Salpetrière Hospital in Paris ist dem Grund des Hicksens nachgegangen. Seine Vermutung: Der Schluckauf hat einen entwicklungsbiologischen Hintergrund. Christián Straus hat die Motorik des Schluckaufs genau unter die Lupe genommen und sich in der Natur umgesehen, ob es dort nicht ähnliche Bewegungsabläufe gibt, möglicherweise mit einer Funktion. Zusammen mit Kollegen aus Kanada und Japan wurde er fündig:

    Ein Bewegungsablauf, der dem Schluckauf sehr ähnlich war, war erstaunlicherweise die Kiemenatmung bei Tieren, die neben Kiemen auch eine Lunge haben, wie zum Beispiel der Kaulquappe, also dem jungen Frosch.

    Wenn diese Tiere mit ihren Kiemen atmen, saugen sie Wasser in die Mundhöhle. Damit dabei nicht die Lunge geflutet wird, verschließen sie den Zugang dorthin. Das Gleiche passiert bei einem Schluckauf: Wir atmen ein, das Zwerchfell verkrampft und im selben Moment schließt sich die Stimmritze - ein schmaler Spalt, der den Zugang zur Luftröhre bildet. Die eingeatmete Luft kann dann nicht in die Lunge strömen, sondern prallt auf einen Widerstand, die Folge: ein Schluckauf. Um ihn wieder loszuwerden, gibt es dann nur eine wissenschaftlich belegte Methode: In eine Papiertüte atmen und so den Kohlendioxidgehalt in der Atemluft erhöhen.

    Wenn Sie Kohlendioxid einatmen, wird der Schluckauf schwächer oder hört ganz auf. Das gleiche passiert bei der Kaulquappe bei hohen Kohlendioxid-Konzentrationen: Ihre Kiemen-Atmung geht zurück oder setzt sogar aus.

    Ist es ein Zufall, dass der Kohlendioxidgehalt beide Prozesse beeinflusst? Für Christian Straus ist es ein Hinweis, dass Schluckauf und Kiemenatmung evolutionär zusammen hängen.

    Ein weiteres Argument ist die Lage der Nervenzellen, die für den Rhythmus des Schluckaufs oder der Kiemenatmung verantwortlich sind. Sie befinden sich in beiden Fällen in einem sehr primitiven Teil des Stammhirns.

    Ähnlichkeiten gibt es offenbar. Fragt sich dennoch, warum der Mensch die Motorik der Kiemenatmung beherrschen sollte. Als Vermächtnis der ersten Wassertiere die sich Richtung Land orientierten und dafür begannen Luft zu atmen? Sie hatten sowohl Lungen als auch Kiemen und mussten, wenn sie im Wasser atmeten ihre Lunge schützen - wie heute noch die Kaulquappe. Aber dann hätte die Evolution einen Bewegungsablauf über 370 Millionen Jahre mitgeschleppt - und das ohne erkennbare Funktion.

    Wir glauben, dass der Schluckauf eine Folge dieses ganz alten Bewegungsmusters ist, heute aber die Grundlage für einen völlig anderen Bewegungsablauf bildet. Etwa das Saugen an der Mutterbrust.

    Also ein uralter Bewegungsablauf, der heute aber für andere Zwecke verwendet wird. Noch steht der Beweis jedoch aus, ob Schluckauf tatsächlich die Voraussetzung ist, um die erste Mahlzeit als Neugeborenes ohne Zwischenfälle verzehren zu können.