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Schlüssel zum Sehen

Biologie. - In den Augen unterschiedlichster Organismen spielt vor allem ein Molekül eine zentrale Rolle: das so genannte Melanopsin. Jetzt wollen englische Forscher das zugrunde liegende Gen isolieren und bislang "blinde" Gewebe damit für Licht empfänglich machen.

Von Michael Stang |
    Im Prinzip ist gar nicht so schwer, Licht wahrzunehmen. Selbst komplexe Systeme wie Augen lassen sich auf ein relativ einfaches Prinzip reduzieren. Licht fällt durch ein Loch auf eine Ebene, welche die Information dann verarbeitet. Bei Säugetieren übernimmt die Pupille die Funktion des Lochs und die Netzhaut die der Ebene. Auf der Netzhaut aktiviert das Licht bestimmte Sinneszellen, so genannte Photorezeptoren: die Zapfen und Stäbchen. Während die Stäbchen nur schwaches Licht in schwarzweiß wahrnehmen können, sorgen die Zapfen für die Farbwahrnehmung, allerdings sehen auch sie nur schwaches Licht. Für sehr helles Licht fehlte noch ein weiterer Photorezeptor. Diesen entdeckten Forscher der Universität Harvard erst vor ein paar Jahren: Melanopsin. Der Melanopsinrezeptor vermittelt aber keine Bildinformation. Er ist eine Art hoch spezialisierter Lichtmesser, der helles Licht wahrnimmt. Er sitzt in den seltenen Retinoganlienzellen und ist direkt mit dem Gehirn verdrahtet.

    "Wir wissen, dass das System auch bei Ratten aktiv ist, genauso wie bei Affen und sicher auch beim Menschen. Melanopsin ist in der menschlichen Erbsubstanz präsent und entsteht im menschlichen Auge."

    Robert Lucas sitzt in seinem Büro an der Universität von Manchester. Auf einem Regal im Zimmer des Biologen steht ein kleiner Plastikkäfig mit einer Stoffmaus im Laufrad. Mäuse sind für ihn die idealen Versuchstiere, da sie Licht auf die gleiche Weise wahrnehmen wie Menschen. In früheren Arbeiten schaltete er bei diesen Tieren die Melanopsinrezeptoren ab, weil er sehen wollte, ob sich dadurch die Lichtwahrnehmung bei den so genannten Knockout-Mäusen verschlechtert. Das tat sie, ganz blind waren die Mäuse jedoch nicht. Nur im Zusammenspiel mit den Photorezeptoren Zapfen und Stäbchen ist ein wirkliches Sehen aller Faktoren wie etwa Helligkeit, Form und Farbe möglich. In weiteren Experimenten konnten Lucas und seine Kollegen das Gen, das für den Photorezeptor Melanopsin verantwortlich ist, lokalisieren und isolieren. Danach transferierten sie es in Zellen, die bislang nicht photoaktiv waren.

    "Wir sahen, dass wir bei einigen Zellen nur ein Protein hinzufügen mussten, um sie lichtsensitiv zu machen. Das war überraschend. Wir hatten einen Hinweis, dass das klappen könnte und das war auch der Grund für das Experiment, aber nichtsdestoweniger war es eine sehr angenehme Überraschung. "

    Obwohl die reine Anwesenheit von Melanopsin bei höheren Organismen noch nicht genügt, damit diese sehen können, bildet es doch die Grundlage und damit die erste Bedingung für eine Lichtwahrnehmung. Doch die Ergebnisse waren weitaus komplexer, als die Forscher annahmen. Um dem System der Photoaktivität auf den Grund zu gehen, haben Robert Lucas und seine Kollegen jetzt ein neues Projekt begonnen. Dabei wollen sie in den kommenden fünf Jahren die Erbinformation des Melanopsin-Gens immer ein wenig verändern, um damit die Wirkung des Proteins zu variieren.

    "Wir werden dabei das Gen in Zellen transferieren und sagen: "Wir haben das Gen speziell modifiziert, führt es immer noch seine Funktion aus? Oder arbeitet es ein wenig anders?" Und dann können wir fragen, welche Bestandteile des Proteins für die spezifischen Funktionen wichtig sind. "


    Diese Sisyphosarbeit geht aber immer nur in kleinen Schritten voran. Trotzdem stehen die Chancen nicht schlecht, das Melanopsin im Ganzen zu verstehen. Gelänge dies, so hoffen die Forscher, könnten sie eines Tages diese spezifischen Gene als mögliche Ersatzteile einsetzen. Auch wenn das Vorhaben noch viele Jahre Forschung in Anspruch nehmen wird, steht das Ziel fest: Erblindete Menschen könnten theoretisch nach einem Gentransfer dadurch beispielsweise wieder in der Lage sein, überhaupt Lichtreize wahrzunehmen. Im Prinzip spielt es dabei keine Rolle, ob das Gen dann aus einer Maus stammt oder von einem Menschen.

    "Wir wissen auch aus unseren Arbeiten, dass das menschliche Melanopsin in der Lage ist, Mauszellen photoaktiv zu machen. Es befindet sich im menschlichen Genom. Wenn man es isoliert und es in eine andere Zelle überführt, arbeitet es genauso, wie wir das erwarten. Es funktioniert und das könnte bedeuten, dass es zunehmend alttäglicher wird. Falls das auch für den Menschen gilt, denke ich, ist die Sache gemacht. "

    Obwohl es immer schwierig ist, von den Forschungsergebnissen an einer Spezies, in diesem Fall an dem Säugetier Maus, auf die gleichen Prinzipien bei allen Säugetieren zu schließen, stehen hier die Chancen nicht schlecht, denn Mäuse sind mit Menschen nicht nur im Hinblick auf ihr optisches System evolutiv eng verwandt.