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Schluss mit Bohren

Zahnmedizin. – Der Gang zum Zahnarzt wird nicht zuletzt durch das Bohren für viele zu einer Tortur. Gerade bei noch kleinen Kariesstellen müssen die Mediziner unverhältnismäßig große Löcher bohren, um Plomben einsetzen zu können. Berliner Mediziner erproben jetzt eine Alternative mit einer Art Kunststoffputz, mit der die kleinen Löcher geschlossen werden können.

Von Michael Fuhs |
    Der weiße Fleck auf dem gelblichen Zahn ähnelt - unter dem Mikroskop betrachtet - einem Schweizer Käse. Das ist eine beginnende Karieserkrankung, verursacht von Bakterien im Mund, die Säure erzeugen. Die Säure löst aus dem Zahn Mineralien wie Calcium und Phosphat heraus. Zurück bleiben Mikrometer große Poren. Durch sie dringen die Bakterien weiter in den Zahn vor. Später lagern sich Nahrungsmittelreste ein und das Loch wird dunkel. Besonders an den schwer zugänglichen Stellen an den Zahnzwischenräumen ist das problematisch. Hendrik Meyer-Lückel:

    "Bisher wurde versucht mit Fluoriden verschiedenster Art, vor allem natürlich in der Zahnpasta, aber auch mit hochfluoridhaltigen Präparaten, diese Karies zu remineralisieren. Dies ist allerdings nur beschränkt von Erfolg gekrönt. Und des weiteren würde der Zahnarzt relativ schnell zum Bohrer greifen und diese Zahnzwischenraumkaries, die eigentlich noch relativ klein ist, mit einem relativ großen Loch darstellen müssen, um überhaupt diese beginnende Karies füllen zu können."

    Hendrik Meyer-Lückel ist Oberarzt am Berliner Universitätsklinikum Charité. Er und seine Kollegen wollen diese beginnende Zahnzwischenraum-Karies in einigen Jahren behandeln ohne dafür ein Loch bohren zu müssen. Dazu sollen die Poren im erkrankten Zahn direkt mit Kunststoff gefüllt werden. Das wäre weniger schmerzhaft und es ginge weniger gesunder Zahn verloren. Doch noch ist es nicht so weit. Das Problem ist nämlich, den Kunststoff in die kleinen Poren hinein zu bekommen. Um dafür das geeignete Material zu finden, benutzen die Berliner Forscher Zähne von Rindern. Sie sind größer als die von Menschen, haben eine ähnliche Struktur und keine Karies, da Rinder keinen Zucker fressen. Im Labor der Zahnklinik werden sie präpariert.

    Sebastian Paris schneidet an der Bandsäge einen Zahn in dünne Scheiben, die er in einer speziellen Halterung für zwei Wochen in ein Säurebad legt. Dadurch entsteht künstliche Karies, genau so tief, wie es der Berliner Forscher für seine Tests braucht. Dann streicht er verschiedene Kunststoffsorten auf die Oberfläche. Paris:

    "Die sollen jetzt in die poröse Kariesstruktur eindringen und nach ihrer Aushärtung die Diffusionswege verschließen. Das kennt man vom Zahnarzt, wenn der eine Füllung macht, dann hält der da ein blaues Licht darauf, dann wird der Kunststoff fest. Und ähnliche Kunststoffe nehmen wir. Somit sind dann die Diffusionswege für die Säuren geblockt und die Karies kann nicht weiter voranschreiten."

    Allerdings können im Zahn Bakterien eingeschlossen sein. Und dort lauert die Gefahr: Wenn durch kleine Risse im Kunststoff Zucker eindringen sollte, wächst die Karies unter der Füllung weiter. Bei den Rinderzähnen sieht die Methode bisher Erfolg versprechend aus. Paris:

    "Ein positiver Nebeneffekt ist, dass die Karies dadurch in sich gefestigt wird und nicht mehr so schnell Löcher bildet. Weil im Prinzip diese poröse Struktur, die man sich so vorstellen kann wie ein Schwamm, dann nicht mehr so fragil ist, sondern alle Porositäten sind mit Kunststoff ausgefüllt und dann ist die ganze Struktur härter und geht nicht mehr so leicht kaputt."

    Bei natürlicher Karies an menschlichen Zähnen ist die Methode allerdings schwieriger anzuwenden als an denen von Rindern. Wie im Labor dringt auch im Mund die Säure in den Zahn ein und erzeugt die Karies. Doch die Zahnoberfläche wird durch die Mineralien im Speichel geschützt. Sie ist deshalb hart und pseudo-intakt, auch wenn der Zahn innen erkrankt ist. Hendrik Meyer-Lückel:

    "Und diese Schicht erlaubt es erst einmal nicht, einen Kunststoff einpenetrieren zu können, sondern diese muss erst einmal entfernt werden. Dazu haben wir ein spezielles Säureätzverfahren entwickelt mit einer relativ starken Säure, womit wir diese Oberflächenschicht wegätzen um anschließend an die Mikroporositäten in der Tiefe kommen zu können."

    Dass das funktioniert, haben die Berliner Zahnmediziner mit ersten Versuchen an menschlichen Zähnen bereits gezeigt. Bis in die Praxis ist es allerdings noch ein weiter Weg. Denn vorher muss sich die neue Methode über mehrere Jahre in klinischen Tests beweisen.