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Schluss mit Dezibel-Terror beim Fernsehen

Die Werbung im Fernsehen ist häufig lauter als das laufende Programm. Zumindest bei den Öffentlich-Rechtlichen soll sich das nun ändern. Hintergrund ist eine Produktionsrichtlinie, die auf einer europaweiten Einigung der öffentlich-rechtlichen Sender beruht. Ziel ist es, das gesamte Programm in der Lautstärke harmonischer zu machen.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Die grandiose Bewusstseinsbetäubungsindustrie, die sich aus der guten alten Kathodenstrahlröhre entwickelt hat, verfügt ja mittlerweile über ein stattliches Arsenal von Aufmerksamkeitsfesselungstechniken, und mit jeder Funkausstellung und jeder Unterhaltungselektronikmesse wird es bunter, größer und ekstatischer. Erst wurden die Bildschirme flach, jetzt werden die Bilder dreidimensional, die Pixel gehen in die Millionen, und die Schärfe steigert sich dermaßen, dass einem die wirkliche Welt geradezu verschwommen vorkommt. Auch gibt es zur Sinnesreizerhöhung inzwischen kinotaugliche Lautsprecher dazu, aber die sind auch ein Problem.

    Denn nicht die schreiende Optik des Gesendeten wird von einer grellen Akustik begleitet, damit der Mensch am Empfangsende der Signalkette hellwach und aufnahmebereit bleibt. Von Natur aus verfügt das Publikum über zwei verschieden konzipierte Programmwahrnehmungsschnittstellen. Der eine Typ wird Auge genannt und verfügt über die Besonderheit, dass man sie schließen kann. Das ist bei den Ohren nicht der Fall. Deshalb spielen sie bei der Reizübermittlungstechnik eine besondere Rolle.

    Vor allem die Überwältigungsstrategen in den kommerziell ausgerichteten Sendern haben es bei den zuschauergerichteten Ohrenattacken zu einer gewissen Kunstfertigkeit gebracht. Sobald zum Beispiel eine sogenannte Werbepause im Programmfluss eintritt, springt der Schallpegel ins Schmerzhafte. Was eben noch Zimmerlautstärke war, verwandelt sich abrupt in Straßenbedröhnung. Klang wird zu Krach, die Hand greift reflexhaft zur Fernbedienung, um dem Höllenlärm der Reklame gegenzusteuern, doch automatisch blickt der Mensch bei diesem Vorgang auf die Mattscheibe, die Botschaft erreicht die Netzhaut und bleibt dort in Fetzen hängen; genau das war das Ziel, und schon ist es erreicht. So funktioniert Werbung: Es handelt sich um ein Eindringen ins Bewusstsein, um zerebrale Vergewaltigung.

    Seit einiger Zeit hat sich der technologische Wettlauf solcher Vergewaltigungs-Tricks verstärkt: der Fernsehton explodiert geradezu, sobald die Werbung einsetzt. Danach ist man taub und muss die Lautstärke künstlich hochregeln, um die Sendung weiterzuverfolgen, so dass bei der nächsten Werbepause der Pegelsprung noch schlimmer wird. Von der Höhe dieses Dezibel-Terrors herab haben ARD und ZDF jetzt Abrüstung angekündigt. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme werden ab Januar insgesamt leiser werden; die privaten werden, wie es heißt, "die Umsetzung zunächst in der praktischen Wirkung beobachten".

    Doch sicher werden sich neue Mittel und Möglichkeiten finden, um das unaufmerksame Publikum zu rütteln und zu schocken: plötzliches Bildschirmflackern zum Beispiel, Zahnarztgeräusche oder Brandgeruch. Christian Morgensterns Erfinder Korf könnte mit entsprechenden Ideen aushelfen.