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Schluss mit lustig

Wenn schon die Kommaregeln zum Schwierigsten gehören, was unsere Sprache zu bieten hat, wie erst sieht es aus, wenn es um verrutschte Kommas geht? Das verrutschte Komma, auch Apostroph genannt, ist eine grausam diffizile Angelegenheit.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 10.08.2006
    Es handelt sich gewissermaßen um sprachliche Antimaterie, denn der Apostroph verweist auf ein Loch, ein Nichts, eine Auslassung; er steht an einer Stelle, an der eigentlich etwas anderes stehen müsste; er ist die letzte Spur einer Vernichtung, Tilgung, Löschung, doch er verhindert die vollständige Tilgung gerade, indem er darauf hinweist. Er ist also ein durchaus dialektisches Geschöpf.

    Dabei ist der Apostroph ein Winzling in der Zeichenwelt - kaum größer als ein Punkt und kleiner als ein Fliegenschiss, hat das verrutschte Komma allerdings in letzter Zeit eine gigantische Karriere gemacht. Überall im öffentlichen Raum tritt es hervor: auf Hinweisschildern und Reklametafeln sowie in Zeitungsanzeigen und -überschriften. Seine massenhafte Vermehrung muss durch Inzucht erfolgt sein, das erklärt zumindest den hohen Grad an sprachlicher Debilität, der sich dabei manifestiert. Denn Apostrophe werden heutzutage auf die Schrift gestreut wie Parmesan auf die Spaghetti. Apostrophe sehen schick aus, Apostrophe sind ein Modeaccessoire, man muss sie nur zwischen die Buchstaben einmassieren und sich nicht um orthographische Regeln kümmern.

    Die orthographischen Regeln im neuen Duden sind sowieso ein Witz. Nach der mehrfachen Reform der so genannten Rechtschreibreform ist allmählich alles möglich und erlaubt. Wie weit der Prozess der Normzerstörung inzwischen gegangen ist, zeigt "Willi’s Würstchenbude" auf Seite 36 der gerade erschienenen Duden-Ausgabe. Da steht als mögliche Schreibweise allen Ernstes: Willi-Apostroph-s Würstchenbude, und darunter steht wörtlich: "Normalerweise wird vor einem Genitiv-s kein Apostroph gesetzt."

    Es ist der Gebrauch des Wortes "normalerweise", der hier einen Abgrund des Irrsinns aufreißt. "Normalerweise" bedeutet: Es ist wünschenswert, aber nicht zwingend. "Normalerweise" heißt: Es kann auch anders gemacht werden. Damit wird neben den eigentlichen Regeln eine uneigentliche Rechtschreibung etabliert, an der man im Fall des Deppen-Apostrophs nur noch verzweifeln kann.

    Der Deppen-Apostroph von "Willi’s Würstchenbude" kommt aus dem Englischen, denn dort wird das Genitiv-s tatsächlich abgetrennt. Die Engländer wiederum haben das Problem, dass Deppen das Genitiv-s mit dem Plural-s verwechseln und dieses abtrennen. Und es wäre ein Wunder, wenn nicht das internationale Deppentum auf unsere Sprache zurückwirkte, so dass Büros, Menüs und Studios auch schon mit verrutschten Kommas garniert werden.

    Das lizenziert der Duden zwar noch nicht, aber mit "Willi’s Würstchenbude" ist immerhin ein erster Schritt getan.