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Schmähbriefe in der Lokalredaktion

1940 besetzten die Deutschen Dänemark. In den Nachkriegsjahren war die Versöhnung zwischen beiden Ländern eine zähe Angelegenheit. Zu jener Zeit war die "Flensborr Avis", auf deutsch die "Flensburger Zeitung", noch ein wahres Kampfblatt, das sich für die Belange der dänischen Minderheit südlich der Grenze einsetzte. Heute ist die Avis gemäßigter. Ein Parteiblatt des SSW will sie nicht sein.

Von Marc-Christoph Wagner |
    Im frühen 20. Jahrhundert wird die deutsch-dänische Grenze wieder zum Politikum. Am Vorabend der deutschen Niederlage 1918 stellen die dänischen Nordschleswiger den Grenzverlauf erneut in Frage. 1920 kommt es darüber zur Volksabstimmung. Das Ergebnis besiegelt den bis heute geltenden Status Quo: Nordschleswig wird Teil Dänemarks, Südschleswig bleibt deutsch. Frieden kehrt nicht ein. Als die Deutschen 1940 Dänemark besetzen, bricht eine neue Eiszeit zwischen beiden Ländern an. Nirgendwo wirkt sie härter nach als im Grenzgebiet. In den Nachkriegsjahren bleibt das Bemühen um Versöhnung jahrelang eine zähe Angelegenheit. Selbst die Bonn-Kopenhagener Erklärungen unterschreiben Kanzler Adenauer und sein dänischer Amtskollege Hans Christian Hansen 1955 jeder für sich in seiner eigenen Hauptstadt. Zu jener Zeit war die "Flensborr Avis", auf deutsch die "Flensburger Zeitung", noch ein wahres Kampfblatt, immer im Dienste der dänischen Minderheit südlich der Grenze.

    Heute gibt die Zeitung sich gemäßigter. Unter keinen Umständen will sie sich als Parteiblatt des SSW verstanden wissen, sondern als unabhängige Lokalzeitung für die eigene Region. Deshalb auch müssen alle Redakteure in Flensburg wohnen, um den "richtigen" Blick auf’s eigene Berichtgebiet zu haben. Zwei Drittel der Artikel erscheinen auf dänisch. Das eigene Selbstverständnis ist skandinavisch geprägt, und Geld gibt es auch noch aus Kopenhagen: 3 Millionen Euro an Zuschüssen gewährte das dänische Parlament im Jahre 2004. Ansonsten aber konzentriert sich die "Flensborr Avís" ganz auf das eigene Terrain...

    "Das soll man auch gerne in dem Licht sehen, dass wir uns als Lokalzeitung verstehen und zwar mit ganz großem "L". Es ist so, wenn ich die Wahl habe zwischen einem Thema aus Südschleswig oder einem Thema aus Berlin, und sei es noch so wichtig, bundespolitisch gesehen, hat die lokale Geschichte ersten Vorrang - und die bundespolitische Geschichte wird dann vielleicht auf einen kleinen Zweispalter zusammengedampft oder auch gar nicht mitgenommen - da sind wir ganz frech."

    Es ist kurz nach Zehn - Lars Geerdes ist einer der Ersten in der Redaktion. Zuständig für den Lokal- und Nachrichtenteil der Flensborg Avis sichtet er die Agenturen und versucht sich einen Überblick über den Tag zu verschaffen.

    Seit gut neun Jahren arbeitet Lars Geerdes für die in deutscher und dänischer Sprache erscheinende Zeitung. In Cuxhaven geboren, studierte der heute 44jährige Journalismus und Skandinavistik in Berlin. Seine ersten journalistischen Erfahrungen sammelte er bei einer dänischen Zeitung auf Bornholm. Dann schrieb er für den Nordschleswiger, die Zeitung der deutschen Minderheit auf der anderen Seite der Grenze. Ein Wanderer zwischen den Welten, ein Wahlschleswiger, der sich nördlich und südlich der Grenze gleichermaßen wohlfühlt.

    "Nein, für mich gibt es da erstmal kein Problem, weil ich bin weder Mitglied der einen noch der anderen Minderheit. Ich bin natürlich Sympathisant der Minderheiten, das ist ganz klar, sonst könnte man diesen Job nicht machen, aber ich habe da keine Probleme, mich da irgendwo zuzählen zu müssen, weil das ist von Geburt her halt nicht so. Bei meinen Kindern wird es vielleicht eher so sein, weil die jetzt einen dänischen Schulgang haben, und den ganzen Ausbildungsgang jetzt bin hin zum Abitur, was sie dann irgendwann vielleicht machen, auf Dänisch bestreiten, und die natürlich jetzt ganz anders in diese Minderheit rein wachsen als ich, der hier zugezogen ist."

    Mitglied der Minderheit oder nicht - als Redakteur bei der Flensborg Avis hat Lars Geerdes hektische Wochen hinter sich. Nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und der umstrittenen Rolle des SSW als Mehrheitsbeschaffer standen die Redaktionstelefone nicht still, und eine Flut von Leserbriefen traf ein.

    "Also es hat eine Geschichte gegeben - gleich am Tag nach der Wahl ist die Zeitung von einem gekündigt worden, von einem Leser, also er hat sein Abonnement abgegeben, mit der Begründung, dass das Verhalten von Anke Sporendonk direkt nach der Auszählung der Stimmen verkehrt gewesen sei. Das heißt, da wurde die Zeitung schon in einen Topf geworfen mit dem SSW. ((Daran sieht man, dass die Leute es teilweise auch falsch verstehen, dass für sie die Minderheit eine Sache ist und alles was dazugehört ist eins und na ja, dann kommt dann so eine Kündigung bei raus.)) Ich weiß allerdings, dass der Mann seine Kündigung danach auch wieder zurückgezogen hat, nachdem man ihm dann erklärt hat, dass das nicht ganz so ist wie er sich das vorgestellt hat - Lachen - ((Dann gibt es aber auch wieder andere, die sagen, man sollte nicht vergessen, dass er SSW als solches eine deutsche Partei ist - und zwar in dem Sinne, dass die eine gleichberechtigte Partei ist.)) Es gibt ja Stimmen, die dem SSW das Recht absprechen wollen, gleichberechtigt mit zu entscheiden. Nur diese Leute vergessen eben auch, dass der SSW durchaus auch schon einen gewissen Stimmenanteil haben muss, um überhaupt rein zukommen in den Landtag, insofern ist das eben ein vollgültiges Mandat, das der SSW hat. Und dazu kommt eben: die Leute, die den SSW gewählt haben, sind deutsche Staatsbürger, es sind nicht Dänen! Und der SSW hat Mitglieder, die sind deutsche Staatsbürger. Und im Landtag sitzen deutsche Staatsbürger. Das hat nichts damit zu tun, dass die Dänen deutsche Politik bestimmen. Es ist kein Däne im SSW!"

    Mittlerweile ist die Redaktion nahezu vollzählig versammelt, über die Schreibtische hinweg werden Themen diskutiert, Termine besetzt, erste Entscheidungen getroffen. Je nach Situation wird deutsch oder dänisch gesprochen, ohne feste Regeln. Für Geerdes ist die Flensborg Avis eine Art kulturelles Band, das die dänische Minderheit zusammen hält:

    "Ich hoffe das! Wir arbeiten dadrauf. Das ist eigentlich eine unserer wichtigsten Aufgaben, auch dieses Bindeglied zu sein. Unser Verbreitungsgebiet nicht nur der Zeitung, sondern auch der Minderheit, das erstreckt sich ja von Ost nach West, eben praktisch von Flensburg bis nach Niebüll, also Nordfriesland und im Süden bis nach Rendsburg, bis in den Norden von Kiel praktisch rein, wo überall Dänen oder dänischgesinnte Mitbürger sind und die Zeitung auch halten. Und natürlich will man, oder hoffe ich zumindest, dass wenn man jetzt sich zur Minderheit gehörig fühlt, und in Tönning wohnt, dass man dann auch vielleicht mal ne Geschichte gerne liest, was passiert in Flensburg in der Minderheit und umgekehrt selbstverständlich auch, also es soll schon auch ein Bindeglied sein."

    Ein Bindeglied aber auch zwischen der dänischen und deutschen Kultur und zwischen den Minderheiten dies- und jenseits der Grenze. Und, fügt Geerdes mit dem ihm eigenen Lächeln hinzu, ein Sprachrohr gerade in politisch turbulenten Zeiten.

    "Bei allem Neutralitätsgebot als Zeitung, was wir natürlich versuchen auch einzuhalten, wenn es um alle anderen geht, aber wenn es um die dänische Minderheit geht, sind wir natürlich auch jemand der Botschaften nach außen vermittelt - was wollen wir als Minderheit, das ist ja jetzt auch gerade wieder politisch so wichtig, dass wir auch in Leitartikeln oder auch durch die Auswahl der Nachrichten schon ein Signal geben, was bewegt sich innerhalb der Minderheit und wie sehen wir uns im Verhältnis zur Mehrheitsbevölkerung."