Archiv


Schmeißfliege aus Kohlefaser

Robotik. – Fliegende Roboter sind noch viel mehr als ihre laufenden Kollegen Zukunftsmusik. Doch das hindert manche Forscher nicht daran, die Aufgabe noch ein bisschen schwieriger zu machen. Sie forschen an Flugrobotern, die nicht größer als eine gewöhnliche Schmeißfliege sind und sich genauso gewandt durch die Luft bewegen. Auf einer Konferenz im schweizerischen Ascona stellten sie ihr Projekt vor.

Von Frank Grotelüschen |
    So hört sich ein Mini-Flugroboter von heute an: ein Gebilde mit vier Rotoren, es schwebt durch die Gegend wie ein Hubschrauber und hat die Ausmaße eines Tellers. Ron Fearing aber, Professor an der kalifornischen Berkeley-Universität, tüftelt an einer Flugmaschine, die deutlich kleiner ist – nur so groß wie die gemeine Schmeißfliege.

    "”Unsere künstliche Fliege besteht aus einer extrem dünnen Folie aus Kohlefaser, viel dünner als ein Blatt Papier. Zuerst schneidet ein computergesteuerter Laser die Form aus. Anschließend falten wir diese Form unter dem Mikroskop zu einer Struktur mit zwei Flügeln und einem Körper, der alles zusammenhält.""

    Das Gebilde ist nicht größer als ein Zuckerwürfel, ein winziges dreieckiges Gerüst mit schwarzen Gitterstäben. Aus diesem Kohlefaser-Gerüst ragen zwei künstliche Flügel heraus, bestehend aus einer dünnen Kunststofffolie. Sie schlagen 250 Mal pro Sekunde, angetrieben von einem winzigen Motor, basierend auf einer piezoelektrischen Keramik. Legt man an diese Keramik eine elektrische Spannung an, zieht sie sich – ähnlich wie ein kontrahierender Muskel – ein wenig zusammen. Doch Körper und Flügel sind nicht alles, was die Fliege zum Fliegen braucht. Genauso wichtig sind Sinnesorgane und Gehirn – beziehungsweise bei der künstlichen Fliege Sensoren und Elektronik. Fearing:

    "Wir können nicht wie bei einem gewöhnlichen Roboter eine richtige Kamera verwenden mit einem Prozessor für die Bildverarbeitung. Das wäre viel zu groß und schwer für unser künstliches Insekt. Stattdessen orientieren wir uns an den Sinnesorganen der Fliege. Die Fliege macht sich kein komplettes Bild von ihrer Umgebung, sondern erfasst nur das, was sich bewegt. Fliegt sie auf eine Wand zu, merkt sie, dass sich etwas in dem Bewegungsmuster verändert und wechselt die Richtung. Ähnlich funktionieren die Sensoren unserer künstlichen Fliege: Sie nehmen keine Bilder auf, sondern registrieren nur Bewegungen. Diese von den Insekten übernommene Methode ist für kleine Roboter äußerst praktisch."

    Erste Flugversuche gab es schon. Fearing konnte vor einiger Zeit bereits das Flügelpaar schweben lassen. Und Robert Wood aus Harvard, ein ehemaliger Student von Fearing, hat in diesem Frühjahr eine komplette künstliche Fliege kurz zum Abheben gebracht. Allerdings hing das Roboterinsekt dabei an Drähten, die es mit Energie versorgten. Fearing:

    "”Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis wir ein Insekt haben, das wirklich frei durch die Gegend fliegt. Das Hauptproblem ist die Flugstabilität: Schlägt einer der Flügel auch nur ein bisschen schneller als der andere, gerät die Fliege ins Trudeln und stürzt ab. Die Fliege stabil in der Schwebe zu halten, das ist die große Herausforderung.""

    Doch es gibt noch weitere Hürden. Da wäre vor allem das Gewicht. Denn die Roboterfliege darf nicht viel schwerer sein als ihr natürliches Vorbild, die Schmeißfliege: ein Zehntel Gramm. Für diese Gewichtsklasse aber ist im Moment noch keine Batterie in Sicht. Doch das schreckt Ron Fearing nicht. Er glaubt an seine Vision und hofft, sein robotisches Insekt innerhalb von fünf Jahren zur Marktreife zu entwickeln, und zwar für spektakuläre Anwendungen – auch wenn man die Fliegen dafür noch mit zusätzlichen Sensoren auszustatten hätte. Fearing:

    "”Die Roboterfliegen könnten Stellen erreichen, zu denen ein Mensch niemals vordringen könnte. Stellen Sie sich ein zusammengestürztes Gebäude nach einem Erdbeben vor, und man hat keine Ahnung, ob es da noch Überlebende gibt. Dann könnte man winzige Roboter brauchen, die in der Lage wären, durch Zentimeter kleine Lücken zu schlüpfen und nach Überlebenden zu suchen.""

    Und sollte sich die Roboterfliege eines Tages als spottbilliges Massenprodukt herstellen lassen, könnte es sogar passieren, dass im Schnellrestaurant ein artifizieller Plagegeist unvermittelt als Kinderspielzeug aus der Überraschungstüte schwirrt. Aber: Keine Angst. Auch bei einer künstlichen Schmeißfliege dürfte die gute alte Fliegenklatsche wertvolle Dienste leisten.