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Schmerzfreier Defibrillator
Sanftere Stromstöße für das Herz

Menschen, die unter lebensbedrohlichem Kammerflimmern leiden, hilft kein gewöhnlicher Herzschrittmacher. Ihnen kann ein Defibrillator implantiert werden. Doch bisher ist der Stromimpuls sehr schmerzhaft und schädigt das Herzgewebe - Göttinger Forscher testen gerade Alternativen.

Von Frank Grotelüschen | 12.07.2017
    Ein Hinweisschild auf einen Defibrillator hängt im Strafjustizzentrum Augsburg (Bayern).
    Ein Defibrillator hilft beim lebensgefährlichen Kammerflimmern des Herzens. (Karl-Josef Hildenbrand/dpa)
    Das Herz schlägt ruhig und regelmäßig, so wie es sein soll. Oder wie es der Wissenschaftler formuliert:
    "Es gibt den normalen Herzrhythmus, wo eine elektrische Welle über das Herz läuft, in einer sehr koordinierten Form. Und das führt dann zum Herzschlag."
    Sagt Henrik tom Wörden, Physiker am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. Doch läuft die elektrische Welle unkoordiniert durchs Herz, kann das Rhythmusstörungen verursachen– etwa das gefürchtete Kammerflimmern, die sogenannte Fibrillation: Der Herzmuskel zieht sich rasant und ungleichmäßig zusammen, das Herz kann kein Blut mehr in den Körper pumpen.
    "Das ist ein sehr komplexer Zustand des Herzens, der tödlich ist, wenn er nicht behandelt wird."
    Die Behandlung ist drastisch: Das Herz wird mit einem starken Stromstoß traktiert. Defibrillatoren, so heißen die entsprechenden Geräte. Man findet sie oft an öffentlichen Plätzen wie Flughäfen oder Bahnhöfen. Für Risikopatienten aber gibt es auch implantierbare Defibrillatoren – Geräte ähnlich wie ein Schrittmacher. Sie überwachen den Herzschlag. Und bei einem Anfall verabreichen sie über die eingepflanzten Elektroden einen Elektroschock, der das Herz wieder normal schlagen lässt. In Deutschland tragen rund 130.000 Menschen einen implantierten Defibrillator. Doch die Geräte haben Nebenwirkungen:
    "Diese Schocks sind sehr hochenergetisch. Bei einem Menschen, der bei Bewusstsein ist, wenn dieser Schock abgegeben wird, ist das unglaublich schmerzhaft. Ein anderes Problem ist, dass diese starken Ströme das Herz schädigen können und man dann, indem man das eine heilt, eine andere Arrhythmie provoziert."
    Mehrere neue Varianten des Verfahrens
    Um diese Nebenwirkungen zu mildern, arbeiten die Göttinger Forscher an mehreren neuen Varianten des Verfahrens. Zum Beispiel:
    "Der Trick bei der neuen Methode ist, dass nicht so starke Schocks verwendet werden, sondern schwächere Schocks, und dafür das mehrfach wiederholt wird."
    Mehrere kleine aufeinanderfolgende gleichstarke Elektroschocks statt eines einzelnen, massiven Stromstoßes – so die Strategie. Als sie die Wissenschaftler vor einigen Jahren im Labor testeten, konnten sie die Energie der für die Defibrillation nötigen Stromstöße um mehr als 80 Prozent verringern. Doch bevor sie das Verfahren am Menschen erproben können, braucht es zunächst den Tierversuch, in diesem Fall an narkotisierten Schweinen.
    "Die präklinischen Experimente begannen im Herbst letzten Jahres. Es ist absehbar, dass diese Studie noch ein halbes Jahr fortgeführt werden muss, bevor fundierte Resultate gezogen werden können."
    Außerdem versuchen sich tom Wörden und seine Kollegen an einer weiteren Variante: Sie schicken einem stärkeren Stromstoß ein paar sehr schwache Pulse voraus – gewissermaßen eine Vorhut. Diese soll im Herz einen vorteilhaften Zustand herstellen und damit den Boden bereiten für den letzten Schock. Dessen Energie soll dann, so das Kalkül, deutlich geringer sein als bei den heutigen Defibrillatoren.
    "Man versucht, das System erst ein bisschen zu kontrollieren. Und dann kommt der Hammer, der nicht ganz so groß ist wie der konventionelle Hammer."
    Wie gut dieser Ansatz funktioniert, können die Forscher allerdings noch nicht sagen – das müssen weitere Versuchsreihen zeigen. Und wie könnte so ein schmerzfreier Defibrillator eines Tages aussehen? Kaum anders als die heutigen Implantate, meint Henrik tom Wörden.
    "Die Hardware würde sich kaum unterscheiden, weil wir die gleiche grundsätzliche Methode verwenden – wir verwenden auch elektrische Schocks. Aber der Unterschied liegt in der Stärke und im Timing, wann wir die Schocks geben."
    Es wäre also im Wesentlichen die Software für das Gerät, die man neu auslegen müsste.