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Schmerzgrenze für den Treibhauseffekt

Umwelt. - In Berlin stellte der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen am Montag das neue Sondergutachten "Über Kyoto hinaus denken: Klimaschutzstrategien für das 21. Jahrhundert" vor. In dem Papier betonen Umweltexperten, dass sich der Klimawandel nur mit sehr drastischen Maßnahmen aufhalten lasse. Selbst bei Einhaltung des Kyoto-Protokolls werden auf die Erde bis zum Jahr 2100 erhebliche Folgen zukommen. Nur mit zusätzlichen Schutzmaßnahmen jenseits der Kyoto-Vereinbarung ließe sich die Entwicklung überhaupt begrenzen.

    Es gibt keine Alternative zum Kyoto-Klimaschutzprotokoll – auch wenn Russland seine Unterschrift weiterhin hinauszögert und damit das Inkrafttreten des Vertrages verschleppt, so zumindest sieht es der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen WBGU, wie sein Vorsitzender Professor Hartmut Graßl am Montag in Berlin unterstrich. Anlässlich der Übergabe des neuen Sondergutachtens "Über Kyoto hinaus denken: Klimaschutzstrategien für das 21. Jahrhundert" forderte der Direktor des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie überdies Ergänzungen am Papier. Nötig sei ein Zusatzprotokoll, um Naturwälder zu schützen und eine klimaverträglichere Landwirtschaft zu fördern. Dadurch will der WBGU sicherstellen, dass Bäume und Böden ihre Fähigkeit behalten, Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufzunehmen und als organischen Kohlenstoff zu speichern. Das könne die Klimaerwärmung zu einem gewissen Grad abfedern, sind die Forscher überzeugt. Im Kyoto-Protokoll genössen die so genannten Kohlenstoffsenken keinen großen Stellenwert, kritisiert der WBGU in seinem Gutachten. "Unsere Kollegen, die sich mit dem Kohlenstoffkreislauf in Europa beschäftigt haben, fanden heraus, dass vor allem unsere naturnahen Wälder erstaunlich viel zusätzliches Kohlendioxid binden." Aufforstungsgebiete schnitten als Kohlenstoffsenken dagegen schlechter ab.

    Doch was Naturwälder an Klimagas schluckten, ginge in der Landwirtschaft wieder verloren, mahnt Graßl: "Intensives Düngen und tiefes Pflügen setzen Boden-Kohlenstoff wieder in die Atmosphäre frei. Im Kohlenstoffhaushalt einer ganzen Region würde ein solches Protokoll zu den Kohlenstoffvorräten zu anderen landwirtschaftlichen Praktiken und zu größeren naturnahen Wäldern führen", ist der Klimaforscher überzeugt. In seinem Gutachten skizziert der Beirat quasi eine Schmerzgrenze von zwei Grad Celsius – stärker dürfe sich die Atmosphäre nicht erwärmen, sonst drohten gefährliche Klimaänderungen. Schwindende Süßwasserressourcen, mehr Dürren, größere Ernteausfälle und stärkere Ausbreitung von Krankheitserregern seien nur einige zu erwartende Folgen bei Überschreiten dieser Temperaturgrenze. Doch das lasse sich überhaupt nur noch vermeiden, wenn vorübergehend Deponien für Treibhausgase geschaffen würden, meinen die Experten: "Wenn die Klimaerwärmung zwei Grad Celsius – verglichen mit der vorindustriellen Temperatur – nicht überschreiten soll, dann muss in einem Zwischenschritt Kohlenstoff in Reservoirs beispielsweise von ausgedienten Erdgas- und Öllagerstätten gebunden werden." Grund hierfür sei, dass fossile Brennstoffe weltweit nicht so schnell durch erneuerbare Energie ersetzt werden könnten.

    In diesem Zusammenhang erneuerte Graßl seine Kritik am Zustand der Energieforschung von Staat und Industrie: "Die Erforschung erneuerbarer Energieträger benötigt einen massiven Anschub. Obwohl wir in diese prekäre Situation eines falschen Energiesystems geraten sind, haben wir in den vergangenen Jahren laufend weniger für die Energieforschung ausgegeben." Allerdings lobt der Wissenschaftliche Beirat ausdrücklich, dass sich Deutschland sehr hohe Klimaschutzziele gesetzt hat. Solche Schrittmacherstaaten seien auch zukünftig im Kampf gegen die Klimaerwärmung dringend nötig.

    [Quelle: Volker Mrasek]