Karin Fischer: Märklin, Schiesser, Rosenthal, Grundig oder Pfaff - vom Radio über die Nähmaschine zur Modelleisenbahn und zur Feinrippunterwäsche stehen liebgewonnene Marken zum Verkauf und damit auch ein Stück deutscher Identitätsgeschichte. Denn auch wenn die Images durchaus verschieden sind - die Märklin-Eisenbahn gilt als Kindertraum, den merkwürdigerweise aber immer die Väter haben, während die Schiesser-Unterwäsche früherer Jahrgänge ja wohl eher als Trauma zu bezeichnen ist -, diese Marken transportieren ja doch nicht nur Stoffliches, sondern Gefühlswerte. Der Schriftsteller Burkhard Spinnen ist bekannt als leidenschaftlicher Besitzer einer Modelleisenbahn, genauer Lokomotiven-Sammlung. Was bedeutet die Märklin-Krise, Herr Spinnen, für Sie?
Burkhard Spinnen: Zunächst mal nichts Neues. In den letzten Jahren sind der Reihe nach ich glaube fast alle Mitbewerber von Märklin auf dem Modelleisenbahnmarkt in die Krise gekommen, haben Insolvenz anmelden müssen, sind verkauft worden, haben fusioniert. Tatsächlich sind alle Marken noch da, es sind auch alle Loks noch da. Ich kann Ihnen nur nicht sagen, wer die gerade wo produziert.
Fischer: Die Modelleisenbahn, Herr Spinnen, ist das Leben auf Achse in klein. Was bedeutet das?
Spinnen: Ich glaube, das Überlebensgeheimnis der Modelleisenbahn, immerhin ein Spielzeug, das jetzt schon seit 100 Jahren besteht, das Überlebensgeheimnis ist, dass man so viel Verschiedenes damit machen kann. Das geht vom wilden Bespielen quer durch den Flur, einmal durch die Küche und wieder zurück, hinzu zu einem minutiösen Aufbau in sich geschlossener Welten, die dann auf dem Speicher oder im Keller hinter Schloss und Riegel versteckt werden, bis hin zum schieren Ansehen von besonders schön gestalteten Exemplaren. Man kann die sammeln wie Schmetterlinge oder wie Briefmarken. Man kann sie mit guter, alter handvermittelter Elektrizität betreiben, und man kann sie seit geraumer Zeit an den Computer anschließen. Es ist ein sehr, sehr vielgestaltiges Spielzeug, sagen wir einfach, es ist ein Zeug.
Fischer: Dem hat vor Kurzem der Schriftsteller Georg Klein widersprochen, der sehr über Märklin beziehungsweise die klägliche Begrenztheit dieser Spielewelt gespottet hat - aufgeklebt und für den Homo ludens eher unterkomplex, sei das Ganze.
Spinnen: Ja, da ist er wahrscheinlich nicht auf dem Stand der Dinge. Natürlich haben wir alle, so wir Hundehasser oder Katzenhasser oder eben Modelleisenbahnhasser sind, dieses wirklich etwas problematische Bild von diesen zwei Quadratmetern im Kopf, die da jemand, vielleicht das Trauma, das generelle Nachkriegstrauma in Deutschland bearbeitend, zu einer heilen Welt formt, zu einer Art Lummerland. Da war ja auch eine Eisenbahn, die so einmal drumrum fuhr. Das ist eine Spielart, die, ich würde sagen, achtjährige Kinder tun das. Aber es ist nicht die Avantgarde der Modelleisenbahnerei. Außerdem ist es immer sehr leicht, sich über, na ja, sagen wir mal, über das, was Menschen in den ganz eigenen Zimmern tun, so von außen lustig zu machen, weil es von außen in sehr vielen Fällen auch einfach albern aussieht. Wichtig aber ist ja in diesem Falle nicht das, was auf der Platte ist, sondern es geht immer darum, was im Kopf des Betrachters ist. Und in den können wir eben nicht immer reingucken.
Fischer: Wir haben aber doch ein ganz ähnliches Phänomen tatsächlich mit der Firma Schiesser, die sich, was das Unterwäschedesign anbelangt, ja sehr, sehr gewandelt hat in den letzten Jahren. Trotzdem als Emblem, als Marke in den Köpfen funktioniert das immer noch mit Schiesser-Feinripp und Igitt. Wenn wir uns von solchen Marken jetzt, wenn auch nur im Kopf, verabschieden müssten, könnte man dann sagen, man könnte sich auch von einer untergehenden Spießerwelt verabschieden? Wäre das die Chance, die in der Krise liegt?
Spinnen: Glaube ich nicht. Ich glaube, das ist ganz besonders schmerzlich, wenn diese Spießerikonen den Bach runtergehen. Denn die sind viel wirksamer als all diese avantgardistische, hippe Angelegenheit, die wechselt alle paar Monate. Dann kommt dies und dann kommt jenes, über das man sich dann später selber ärgern muss und dass es einem peinlich ist, wenn man sich selbst auf Fotos von vor zwei Jahren sieht. Was aber bleibt, sind diese Negativikonen, an denen man sich immer abarbeiten kann als einer, der das nicht macht. Ich glaube, nichts ist für die Firma Schiesser in den letzten Jahren besser gewesen als ihr schlechter Ruf.
Fischer: Nun werden die Marken ja selbst vielleicht gar nicht verschwinden, aber noch mal wird klar, wie Sie das schon zu Beginn angedeutet haben, wie das Made in Germany der globalisierten Welt nicht standhält. Traditionsfirmen stehen für Tradition. Sie haben gerade schon angedeutet, was fehlen könnte, wenn diese Tradition fehlt.
Spinnen: Na ja, für uns Konsumenten ist die Tradition sehr wesentlich in dem Namen aufgehoben, wenn weiter Märklin-Loks unter diesem Namen produziert werden. Und der Name wird nicht verschwinden, dafür ist er einfach zu wertvoll. Dieser Name ist Millionen wert, der Name Schiesser wahrscheinlich auch. Für uns wird dann erst mal sehr lange Zeit zumindest alles beim Alten bleiben. Wir lernen jetzt nur durch diese Mittelstandskatastrophen, dass diese Identität, diese Heimeligkeit, die wir da in unserem Kopf uns immer zurechtschneidern, im Guten wie im Bösen, nicht mehr die realen ökonomischen Verhältnisse trifft. Wer sich in irgendeiner Branche auskennt, der weiß längst, dass bestimmte Elektrogeräte oder Sachen für sein Hobby usw. nicht mehr an den Orten und von den Leuten gefertigt werden, die das vor Jahren oder Jahrzehnten gemacht haben. Aber das ist die Rückseite des Profits, den wir daraus ziehen. Wir sind es, die als Kunden - ich sage nur, Geiz ist geil, Abstimmung an der Ladentheke oder an der Kasse -, wir sind diejenigen, die das Spiel um die immer niedrigeren Preise, das Spiel um den Preiskampf mitbestimmt haben. Und wir haben implizit immer die Forderung, etwas noch einen Euro billiger kaufen zu können. Und die Reaktion darauf sieht eben dann in der Regel so aus wie jetzt.
Fischer: Der Schriftsteller Burkhard Spinnen über die Rolle von Marken und den Zusammenhang von Kapitalismus und Kultur. Vielen Dank!
Burkhard Spinnen: Zunächst mal nichts Neues. In den letzten Jahren sind der Reihe nach ich glaube fast alle Mitbewerber von Märklin auf dem Modelleisenbahnmarkt in die Krise gekommen, haben Insolvenz anmelden müssen, sind verkauft worden, haben fusioniert. Tatsächlich sind alle Marken noch da, es sind auch alle Loks noch da. Ich kann Ihnen nur nicht sagen, wer die gerade wo produziert.
Fischer: Die Modelleisenbahn, Herr Spinnen, ist das Leben auf Achse in klein. Was bedeutet das?
Spinnen: Ich glaube, das Überlebensgeheimnis der Modelleisenbahn, immerhin ein Spielzeug, das jetzt schon seit 100 Jahren besteht, das Überlebensgeheimnis ist, dass man so viel Verschiedenes damit machen kann. Das geht vom wilden Bespielen quer durch den Flur, einmal durch die Küche und wieder zurück, hinzu zu einem minutiösen Aufbau in sich geschlossener Welten, die dann auf dem Speicher oder im Keller hinter Schloss und Riegel versteckt werden, bis hin zum schieren Ansehen von besonders schön gestalteten Exemplaren. Man kann die sammeln wie Schmetterlinge oder wie Briefmarken. Man kann sie mit guter, alter handvermittelter Elektrizität betreiben, und man kann sie seit geraumer Zeit an den Computer anschließen. Es ist ein sehr, sehr vielgestaltiges Spielzeug, sagen wir einfach, es ist ein Zeug.
Fischer: Dem hat vor Kurzem der Schriftsteller Georg Klein widersprochen, der sehr über Märklin beziehungsweise die klägliche Begrenztheit dieser Spielewelt gespottet hat - aufgeklebt und für den Homo ludens eher unterkomplex, sei das Ganze.
Spinnen: Ja, da ist er wahrscheinlich nicht auf dem Stand der Dinge. Natürlich haben wir alle, so wir Hundehasser oder Katzenhasser oder eben Modelleisenbahnhasser sind, dieses wirklich etwas problematische Bild von diesen zwei Quadratmetern im Kopf, die da jemand, vielleicht das Trauma, das generelle Nachkriegstrauma in Deutschland bearbeitend, zu einer heilen Welt formt, zu einer Art Lummerland. Da war ja auch eine Eisenbahn, die so einmal drumrum fuhr. Das ist eine Spielart, die, ich würde sagen, achtjährige Kinder tun das. Aber es ist nicht die Avantgarde der Modelleisenbahnerei. Außerdem ist es immer sehr leicht, sich über, na ja, sagen wir mal, über das, was Menschen in den ganz eigenen Zimmern tun, so von außen lustig zu machen, weil es von außen in sehr vielen Fällen auch einfach albern aussieht. Wichtig aber ist ja in diesem Falle nicht das, was auf der Platte ist, sondern es geht immer darum, was im Kopf des Betrachters ist. Und in den können wir eben nicht immer reingucken.
Fischer: Wir haben aber doch ein ganz ähnliches Phänomen tatsächlich mit der Firma Schiesser, die sich, was das Unterwäschedesign anbelangt, ja sehr, sehr gewandelt hat in den letzten Jahren. Trotzdem als Emblem, als Marke in den Köpfen funktioniert das immer noch mit Schiesser-Feinripp und Igitt. Wenn wir uns von solchen Marken jetzt, wenn auch nur im Kopf, verabschieden müssten, könnte man dann sagen, man könnte sich auch von einer untergehenden Spießerwelt verabschieden? Wäre das die Chance, die in der Krise liegt?
Spinnen: Glaube ich nicht. Ich glaube, das ist ganz besonders schmerzlich, wenn diese Spießerikonen den Bach runtergehen. Denn die sind viel wirksamer als all diese avantgardistische, hippe Angelegenheit, die wechselt alle paar Monate. Dann kommt dies und dann kommt jenes, über das man sich dann später selber ärgern muss und dass es einem peinlich ist, wenn man sich selbst auf Fotos von vor zwei Jahren sieht. Was aber bleibt, sind diese Negativikonen, an denen man sich immer abarbeiten kann als einer, der das nicht macht. Ich glaube, nichts ist für die Firma Schiesser in den letzten Jahren besser gewesen als ihr schlechter Ruf.
Fischer: Nun werden die Marken ja selbst vielleicht gar nicht verschwinden, aber noch mal wird klar, wie Sie das schon zu Beginn angedeutet haben, wie das Made in Germany der globalisierten Welt nicht standhält. Traditionsfirmen stehen für Tradition. Sie haben gerade schon angedeutet, was fehlen könnte, wenn diese Tradition fehlt.
Spinnen: Na ja, für uns Konsumenten ist die Tradition sehr wesentlich in dem Namen aufgehoben, wenn weiter Märklin-Loks unter diesem Namen produziert werden. Und der Name wird nicht verschwinden, dafür ist er einfach zu wertvoll. Dieser Name ist Millionen wert, der Name Schiesser wahrscheinlich auch. Für uns wird dann erst mal sehr lange Zeit zumindest alles beim Alten bleiben. Wir lernen jetzt nur durch diese Mittelstandskatastrophen, dass diese Identität, diese Heimeligkeit, die wir da in unserem Kopf uns immer zurechtschneidern, im Guten wie im Bösen, nicht mehr die realen ökonomischen Verhältnisse trifft. Wer sich in irgendeiner Branche auskennt, der weiß längst, dass bestimmte Elektrogeräte oder Sachen für sein Hobby usw. nicht mehr an den Orten und von den Leuten gefertigt werden, die das vor Jahren oder Jahrzehnten gemacht haben. Aber das ist die Rückseite des Profits, den wir daraus ziehen. Wir sind es, die als Kunden - ich sage nur, Geiz ist geil, Abstimmung an der Ladentheke oder an der Kasse -, wir sind diejenigen, die das Spiel um die immer niedrigeren Preise, das Spiel um den Preiskampf mitbestimmt haben. Und wir haben implizit immer die Forderung, etwas noch einen Euro billiger kaufen zu können. Und die Reaktion darauf sieht eben dann in der Regel so aus wie jetzt.
Fischer: Der Schriftsteller Burkhard Spinnen über die Rolle von Marken und den Zusammenhang von Kapitalismus und Kultur. Vielen Dank!