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Schmerzliche Verluste?

Was macht wohl Otto Schily, wenn er bald keinen Platz mehr im Bundestag hat? Vielleicht Honorarkonsul von Florenz? Und wie verkraftet Hans Eichel das Ende seiner vierjährigen Chill-Out-Zeit auf dem SPD-Sitz? Neben den beiden werden auch Riester, Merz, Struck und Meyer einfach so vor die Tür gesetzt. Ein Abschied von den Vergessenen.

Von Peter Zudeick |
    Wir haben es ja kommen sehen. Sie hat es nicht in den neuen Bundestag geschafft. Waltraud Lehn von der SPD ist draußen. Und damit auch Onkel Otto.
    Lehn: "Onkel Otto war kein Mensch, Onkel Otto war unser Hausschwein."

    Mit dem Hausschwein pflegte Waltraud Lehn das Verhalten der Opposition zu erklären.

    Lehn: "Onkel Otto raste ständig gegen die Wand. Und genau das ist Ihr Problem. Sie knallen ständig mit der Birne gegen die Wand. Meine Güte, das muss doch weh tun."

    Frau Lehn und Onkel Otto werden uns fehlen. Und sonst? Wird irgendjemand Walter Riester vermissen? Jaja, der war tatsächlich noch im Bundestag. Das hat keiner gemerkt, weil der gute Walter seit Jahren damit beschäftigt ist, viel Geld zu verdienen. Mit Vorträgen über die gleichnamige Rente.

    Riester: "Es kann einem Schlimmeres passieren. Denken Sie an den Bismarck. Dessen Name ist mit'm Hering verbunden worden. Dann lieber meinen mit der Rente."

    Der hat also auch weiter gut zu tun, um den muss uns nicht bange sein. Und da gibt's noch eine ganze Riege von Altvorderen, von deren Parlaments-Existenz niemand etwas wüsste, wenn nicht jetzt ihr Abschied bevorstünde. Laurenz Meyer, der immerhin mal CDU-Generalsekretär war, Herta Däubler-Gmelin, die "Schwertgosch" der SPD, die sich mit einem Hitler-Zitat um Kopf und Kragen redete. Jochen Borchert von der CDU, der ´93 bis ´98 Landwirtschaftsminister war und es danach fertigbrachte, elf Jahre völlig unbemerkt Bundestagsabgeordneter zu sein. Renate Schmidt von der SPD, die eine erfolgreiche Familienministerin hätte sein können. Leider hatte sie einen Kanzler, der die Themen Frauen und Familie für "Gedöns" hielt.

    Schily: "Ich habe eine schlechte Eigenschaft."

    Ach nee. Ja, auch der gehört zur Kategorie "Wie, der ist auch noch im Bundestag."

    Schily: "Ich bin etwas ungeduldig."

    Naja, die letzten Jahre nicht mehr, nach Ende seiner Regierungszeit hat er sich als Volksvertreter ziemlich rar gemacht.

    Schily: "Ich rede auch gerne mal gegen den Saal."

    Ja, bloß nicht mehr im Bundestag, da hat er nur noch seine Diäten kassiert. Insofern: Nein, wir vermissen ihn nicht, wir wünschen ihm viel Erfolg als Honorarkonsul von Florenz. Das wollte er ja immer werden.

    Schily: "Sie können mir den Buckel runterrutschen, da hab ich ganz andere Angebote."

    Auch gut.

    Eichel: "Sie sehen mich ausgesprochen kampfeslustig."

    Noch so einer, der nach Verlust des Ministeramtes noch vier Jahre im Bundestag rumhängen musste. Chill out, nennt man das wohl.

    Eichel: "Aber das ist, wie Sie wissen, ein hartes Brot."

    Nee, is klar. So'n bisschen werden wir ihn vermissen, denn früher war er immer mal für einen flotten Spruch gut.

    Eichel: "Aber auch da sind die Grenzen inzwischen voll ausgelutscht."

    Jetzt lutscht er schon lange keine Grenzen mehr aus, sondern kommentiert hin und wieder die Politik der gerade amtierenden Bundesregierung.

    Eichel: "Das ist großer Unfug."

    Oder seiner eigenen Parteiführung.

    Eichel: "Das ist alles dummes Zeug."

    Oder er gibt seinen Nachfolgern gute Ratschläge. Kostenfrei, versteht sich.

    Eichel: "Unter anderem kommt der Finanzminister mit einem relativ geringen Wortschatz aus: Er muss vorzugsweise Nein sagen können."

    So einfach ist das im Leben.

    Merz: "Ich frag mich manchmal, Herr Eichel: Was ist eigentlich in Sie gefahren?"

    Jaja, der sitzt auch noch im Bundestag rum. Theoretisch zumindest. Denn praktisch hat auch Friedrich Merz sich aus der Politik verabschiedet, als die große Koalition ans Ruder kam. Und er nichts wurde.

    Merz: "Jetzt schlägt die Spaßgesellschaft zurück."

    Ja, so kann man's auch sagen. Allerdings war sein Rückzug lange vorher absehbar. Hatte er doch zur 250. Sendung von Sabine Christiansens Talkshow gemeint:

    Merz: "Diese Sendung bestimmt die politische Agenda in Deutschland inzwischen mehr als der Deutsche Bundestag."

    Und wenn das so ist, was bleibt dann einem Volksvertreter in der Volksvertretung noch übrig?

    Merz: "Autismus."

    Genau. Und was ist das?

    Merz: "Psychotische, meist schizophrene Persönlichkeits-Störungen, die durch extreme Selbstbezogenheit und Insichgekehrtheit sowie durch phantastisch-traumhaftes, affektiv-impulsives Denken und Sprechen gekennzeichnet sind."

    Nervig war er immer, aber nie langweilig. Und das werden wir dann doch vermissen.

    Struck: "Manchmal macht man sich schon Gedanken, wie das weitergehen wird, wenn man selber nicht mehr aktiv im Geschehen ist."

    Ja, der Peter Struck wird uns auch fehlen. Erstens weil er den dämlichsten Satz der deutschen Politik in den vergangenen zwanzig Jahren geprägt hat, nämlich dass Deutschlands Freiheit nicht nur in Hindelang, sondern auch am Hindukusch verteidigt wird. Und zweitens weil kein Zweiter so schön nuscheln kann wie der Struck.

    Struck: "Mir sind die Politikerinnen und Politiker – manche jedenfalls heute – zu glatt, ich meine, nicht jeder muss eine Persönlichkeit sein, man kann auch mal schroff sein, man kann auch raubeinig auftreten, jeder muss versuchen, seinen eigenen Stil zu finden, das war bei mir der Fall."

    Und schließlich dürfen wir den hier nicht vergessen:

    Stiegler: "Du kannst den Hintern schminken, wie du willst, es wird nie ein ordentliches Gesicht daraus."

    Ludwig Stiegler von der SPD, der mit dem roten V-Pullover und der Vorliebe für hintersinnige Sprüche.

    Stiegler: "Erst mit vollen Hosen stinken, und dann auch noch frech sein, das, meine Damen und Herren, das haut nicht hin."

    Keine Stiegler-Rede ohne Hintern und volle Hosen, zuweilen auch in einem Satz vereint.

    Stiegler: "Großkotzig hier auf den Hintern gefallen, aber dann hier noch mit vollstinkenden Hosen noch frech werden, das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen."

    Als Altsprachler konnte er aber auch ganz andere Töne anschlagen.

    Stiegler: "Quod sit futurum cras, fugit querere."

    Und als echter Humanist hat er in aller Regel auch für die Übersetzung gesorgt.

    Stiegler: "Also all das, was hinterher ist, das interessiert mich heute überhaupt nicht."

    Ein schönes Motto für einen wehmütigen Abschied. Der nicht vollständig wäre ohne Stieglers Rat an uns Journalisten.

    Stiegler: "Kinder, recherchiert nicht so viel, es hetzt sich dann so schlecht."
    Daran wollen wir uns auch künftig halten.