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Schmettern im Schwarzwald

Waldkirch ist international bekannt für den Orgelbau. Die kleine Stadt an der Elz verfügt nicht nur über vier angesehene Orgelbauwerkstätten, sie lädt auch regelmäßig zum Orgelfest ein. "Paris in Waldkirch" heißt das diesjährige Motto für ein Fest mit viel Savoir-vivre, bei dem an den Einfluss französischer Innovationen für die Schwarzwälder Drehorgeln gedacht wird.

Von Sebastian Bargon | 08.06.2008
    Wer das 1750 erbaute Elztalmuseum im südbadischen Waldkirch besucht, wird staunen über die Vielzahl phantasievoll gestalteter und klangschöner Musikautomaten, die entweder mit Walzen oder pneumatischen Notenrollen gesteuert werden. Neben Dreh-, Kirchen- und Karussellorgeln gibt es Figurenorgeln, Orchestrien, aber auch einen Singvogelautomat aus dem Jahr 1895 zu sehen. In dem kuppelförmigen Käfig sitzt ein kleiner Vogel, der Kopf, Schnabel und Flügel bewegt und täuschend echt den Gesang einer Nachtigall imitiert.

    Besonders beindruckend ist die aus dem Fin de Siécle stammende "Automatische Capelle", welche die Kaffeehausatmosphäre der 20er Jahre lebendig werden lässt. Blickfang des riesigen Orchestrions sind fünf bewegliche Figuren, die eine Militärkapelle bilden. Alle - Dirigent, Trompeter, Geiger, Cellist und Trommler - tragen schmucke blaue Uniformen mit Epouletten sowie eine Pickelhaube mit Rossschweif. Für einen Groschen konnte man damals den über Kartonnoten gesteuerten Musikautomaten in Gang setzen - dann rollte der Dirigent mit den Augen und Jaques Offenbachs Ouvertüre zu Orpheus in der Unterwelt erklang.

    Für Museumsleiterin Evelyn Flögel ist das diesjährige Motto des Orgelfestes "Paris in Waldkirch" nicht aus der Luft gegriffen: Zunächst hatten die Waldkircher befürchtetet, dass sie von den Franzosen aus dem Markt gedrängt werden könnten. Aber letztlich profitierten sie von den Innovationen der Pariser Orgelbauer, indem sie deren Erfindungen übernahmen und teilweise sogar verbesserten.

    Die von der Firma Gavioli entwickelten Lochkarten zur Steuerung der Musikprogramme großer Kirmes- und Karussellorgeln halfen den Waldkirchern, im In -und Ausland konkurrenzfähig zu bleiben. Und das sind sie bis heute geblieben. Mit Paul Fleck Söhne, Achim Schneider, Wolfram Stützle und Jäger & Brommer verfügt die kleine Stadt an der Elz über vier angesehene Orgelbauwerkstätten, die nicht nur in Europa, sondern auch in den USA und Asien großen Erfolg haben, sagt Bürgermeister Richard Leibinger.

    Vor neun Jahren - pünktlich zum 200-jährigen Jubiläum der Waldkircher Orgelbautradition, beauftragte die Stadt den renommierten Gegenwartskünstler Otmar Alt aus Hamm, eine neuartige Orgel zu entwerfen. Der ließ sich nicht lange bitten und zeichnete ein knallbuntes Ungetüm, das von den Waldkircher Orgelbauwerkstätten in Gemeinschaftsarbeit gebaut wurde. Orgelbaumeister Michael Hiss ist sich sicher, dass die Altobella furiosa eine der ungewöhnlichsten Konzertorgeln ist, die je eine Werkstatt verlassen haben.

    In Waldkirch wird die Orgelbautradition von Bürgermeister, Gemeinderat und Bürgerschaft liebevoll gepflegt. Deshalb zögerten die Entscheidungsträger nicht lange, als sich vor sieben Jahren die Chance bot, eine der besten Orgeln, die jemals in der Waldkircher Gavioli-Filiale gebaut worden waren, aus England nach Waldkirch zurückzuholen, um sie von Grund auf zu restaurieren.

    Das 1907 erbaute Modell ist mit der Gavioli-Skala 89/4 ausgerüstet und hat ein französisch geprägtes Klangbild. In den 20er Jahren stand die fünf Meter breite und über zwei Meter hohe Orgel vor dem berühmten Zeppelin-Karussell der Münchner Schaustellerfirma Mathieu. Im Lauf der Jahre nagte jedoch der Zahn der Zeit an dem Instrument, hat Orgelbauer Stefan Fleck festgestellt, der die Gavioli gemeinsam mit seinen Waldkircher Kollegen restauriert hat.

    Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg sollte die Orgel trotz Materialmangels wieder in Betrieb genommen werden. Zuständig dafür war der Waldkircher Orgelbauer Karl Öhler, erzählt Stefan Fleck. Mittlerweile hat die 89er Gavioli im neugestalteten Gewölbekeller des Elztalmuseums ihren Platz gefunden. Beim 9. Orgelfest wird sie dem Publikum als deutsch-französisches Gesamtkunstwerk vorgestellt.

    Das 9. internationale Orgelfest soll eine mitreißende Feier voll Savoir-vivre werden und nebenbei beweisen, dass die Verbindung zwischen Paris und Waldkirch bis heute erhalten geblieben ist. Neben Führungen, Vorträgen und Konzerten gibt es am Sonntag die Möglichkeit, die Werkstätten der Waldkircher Orgelbauer zu besuchen. Schon jetzt freuen sich alt und jung auf das Zusammentreffen von 130 Dreh- und Jahrmarktorgeln aus dem In- und Ausland.