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Schmidt

Japs: Frau Ministerin Schmidt, alle Welt stöhnt über die Mängel im Gesundheitssystem. Wird es in der kommenden Legislaturperiode nun zu der ganz großen Gesundheitsreform kommen?

Gode Japs |
    Schmidt: Es kommt ja darauf an, was man darunter versteht. Wir werden weiter daran arbeiten und die notwendigen Reformen einleiten, dass in unserem Gesundheitswesen jeder Euro optimal eingesetzt ist - das ist heute nicht immer der Fall - und dass wir wirklich auch die beste Qualität in der Versorgung anbieten können und aufeinander abgestimmte Leistungen. Und insofern gehen die Reformen weiter, und was wir machen, ist vor allen Dingen: An der Solidarität festhalten.

    Japs: Aber nach wie vor befinden sich die gesetzlichen Krankenversicherungen finanziell doch in einem desolaten Zustand. Wie können die Finanzen wieder in Ordnung gebracht werden?

    Schmidt: Nun, durch mehr Qualität in der Versorgung, aber vor allen Dingen auch durch mehr Qualität in den Abläufen. Das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass chronisch kranke Menschen optimal behandelt werden, dass die, die die Menschen behandeln, dass die miteinander reden und die Leistungen abstimmen. Und das Zweite ist: Wir müssen dafür sorgen, dass in unserem System nicht alles doppelt gemacht wird, manchmal viel zu viel, manchmal zu wenig, manchmal das Falsche. Und insofern werden wir dann Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen können und für die Menschen mehr an Behandlung und Lebensqualität herausholen. Das ist ein Punkt. Und ein ganz wichtiger Punkt ist: Wir müssen mehr tun, um das Entstehen von Krankheiten zu verhindern und vorzubeugen, denn da ist Deutschland unterentwickelt.

    Japs: Aber ohne Geld ist das ja alles nicht möglich. Muss man nicht doch damit rechnen, dass die Beiträge weiter steigen werden?

    Schmidt: Ich rechne im Moment nicht damit. Es kann immer mal eine einzelne Krankenkasse sein, bei der die Beiträge steigen. Wir haben in der Regierung Schröder – in der Regierungszeit Schröder – eine durchschnittliche Beitragssatzsteigerung von 0,35 oder 0,36 Prozent, vier Jahre . . .

    Japs: . . . aber sie sind an der Grenze von 14 Prozent . . .

    Schmidt: . . . ja gut, aber Sie müssen ja eines wissen: Es war schon 1998 so, dass wir 13,64 Prozent hatten, und wir haben jetzt 13,99 Prozent exakt – zum 1. April 2002.

    Japs: Bloß – diese Bundesregierung ist angetreten, um die Lohnnebenkosten zu senken.

    Schmidt: Ja gut, wir haben sie ja auch gesenkt bei der Rentenversicherung. Ohne die Reformen der Bundesregierung läge der Rentenversicherungsbeitrag jetzt bei über 22 Prozent, und wir sind jetzt bei 19,2 Prozent. Bei der Frage der Krankenversicherung steht ja die Entscheidung: Sollen wir den Menschen Leistungen kürzen oder müssen wir versuchen, durch viel besser aufeinander abgestimmte Leistungen und durch Reformen im System eben dafür zu sorgen, dass das Geld optimal eingesetzt ist. Und ich gehe den zweiten Weg, und deswegen gehen wir auch davon aus, dass mit dem, was wir auf den Weg gebracht haben - die neuen Programme zur besseren Behandlung chronisch Kranker, die aber auch erst im kommenden Jahr richtig wirken können, mit den Neuordnungen im Arzneimittelbereich, mit der Frage, auch mehr Vertragsmöglichkeiten zu schaffen und andere Dinge -, dass wir damit auf Dauer zunächst mal stabilisieren und dass auch die Beiträge wieder mittelfristig gesenkt werden können.

    Japs: Das Finanzproblem bei den gesetzlichen Krankenkassen wäre sicherlich nicht so groß, wenn den großen Kassen ihre Mitglieder nicht weglaufen würden – hin zu den preisgünstigeren Betriebskrankenkassen oder gar zu den privaten Krankenkassen. Wie kann dieser Ausverkauf gestoppt werden?

    Schmidt: Also, einmal was die Wanderungsbewegungen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung angeht, da haben Sie recht. Wir hatten – oder haben – einen Wettbewerb um möglichst junge Gesunde, gut Verdienende. Und da haben vor allen Dingen die neuen Betriebskrankenkassen von profitiert. Und nicht die großen Kassen – wie die Ortskrankenkassen oder große Ersatzkassen, wo viele ältere Menschen auch sind, viele chronisch kranke Menschen. Die wechseln nicht, obwohl sie wechseln könnten. Die haben Angst oder Sorge, sie bekämen nicht die gleiche Versorgung dann, wenn sie die Kasse wechseln. Und darauf haben wir reagiert. Wir haben ja den Risiko-Strukturausgleich, der soll die Solidarität zwischen den Kassen auch regeln, den haben wir geändert: Wir haben seit dem 1.1.2002 einen Risikopool, damit die Kassen, die vor allen Dingen sehr viele Menschen bzw. Versicherte haben, die hohe Kosten verursachen, dass die einen Ausgleich bekommen. Und wir sagen, dass die Kassen, die eben gute Programme anbieten für die Behandlung chronisch kranker Menschen, davon auch profitieren sollen - und die, die das nicht tun oder nicht die Kosten haben, auch Finanzen in diese Kasse lenken können. Und damit können wir auf Dauer verhindern, dass es so ungleiche Wettbewerbschancen gibt. Das ist das eine. Und die Frage der Privatversicherung: Da haben wir auch heute einen ungleichen Wettbewerb, weil die gut verdienenden Berufseinsteiger oder junge Menschen, die meistens Singles sind, die gehen nur dann zur privaten Krankenversicherung, wenn sie gesund sind. Jeder, der ein Risiko hat, bleibt in der gesetzlichen, weil nämlich die private zu teuer wäre. Und das entzieht den Kassen derzeit auch bis zu einer Milliarde Euro im Jahr. Und deshalb habe ich gesagt: Wir müssen die Grenze, ab wann jemand wechseln kann, anheben. Denn diejenigen, die früh gehen, haben meistens auch über Jahre hinweg die Solidarität als beitragsfreie Mitversicherte der gesetzlichen Krankenversicherung genossen. Und ich glaube, es ist richtig, am Berufsanfang ein bisschen länger auch in die Solidarität wieder einzuzahlen.

    Japs: Die Ersatzkassen sehen als Allheilmittel zur finanziellen Gesundung ihrer Kassen die Abschaffung der Versicherungspflichtgrenze. Wieso lehnen Sie diesen Vorschlag eigentlich so prinzipiell ab?

    Schmidt: Wir haben in Deutschland ein System, das im Grunde genommen ja den Beamten eine Sonderregelung – auch per Beamtengesetz – zuschreibt. Die Gesundheitsversorgung der Beamten ist ja Pflicht des Dienstherrn; er ist fürsorgepflichtig für seine Beamten. Und deshalb gibt es auch die Beihilferegelungen, und Beamte sind nicht Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung. Und wenn ich im Grunde genommen hingehe und sage: 'Alle, die abhängig beschäftigt sind, müssen in die gesetzliche Krankenkasse' – was ja die Aufhebung der Pflichtgrenze wäre, dann komme ich in ein System, wo ich im Grunde genommen das Ganze ins Wanken bringe. Und ich kriege nirgendwo eine Zweidrittelmehrheit zur Abschaffung des Beamtenrechtes.

    Japs: Würden Sie denn darangehen wollen? Sie sind ja wohl selbst auch Beamtin, sind auch früher . . .

    Schmidt: . . . ja, aber ich habe früher schon gesagt, ich fände es gerechter, wenn alle Menschen, die abhängig beschäftigt sind, in die gleiche Krankenkasse, Rentenversicherung, in das gleiche Solidarsystem einzahlen. Ich habe nur feststellen müssen, dass schon die Finanzminister aller Länder nicht mitmachen, weil sie sagen: 'Wir müssen erstens für die, die bisher Rechte haben, die weiter bezahlen und müssten ja dann gleichzeitig für die, die neu kommen, auch die Arbeitgeberanteile mit bezahlen. Und dafür haben wir im Moment die Gelder nicht.' Also, auch dafür braucht man gesunde Haushalte, um das machen zu können.

    Japs: Aber es wäre auch eine Utopie, für die man kämpfen könnte.

    Schmidt: Ja, ich kann dafür kämpfen, nur ich sage: Es ist keine Lösung abzusehen. Ich weiß ja nicht, wie sich das langfristig entwickeln wird, verstehen Sie? Vielleicht kommt diese Gesellschaft irgendwann mal dahin, dass sie sagt: Alle müssen darin einzahlen. Nur im Moment ist das nicht das Gebot der Stunde, weil ich davon überzeugt bin: Wir haben nicht zu wenig Geld im System, sondern das Geld ist nicht optimal eingesetzt. Und jetzt über mehr Geld und neue Zuflüsse nachzudenken, würde verhindern, dass man wirklich die Reformen angeht, die notwendig sind, um zu einem wirtschaftlichen Einsatz auch im Gesundheitswesen zu kommen.

    Japs: Als kleinen Schritt wollen Sie ja die Versicherungspflichtgrenze anheben. Wann und in welcher Höhe?

    Schmidt: Ich sage immer, es wird einen Stichtag geben müssen. Wir werden ja im nächsten Jahr die Reformen auf den Weg bringen, und dann kann man sagen, wer – meinetwegen – nach dem 01.01.2004 erstmalig ein Versicherungsverhältnis begründet, für den gilt dann eine höhere Pflichtversicherungsgrenze. Und dann wird man im nächsten Jahr darüber entscheiden müssen: Gibt’s eine stufenweise Anhebung? Aber meine Meinung ist, dass das nur für neue Mitglieder ist und alle bestehenden Versicherungsverhältnisse nicht davon betroffen sein sollen. Man könnte das direkt anheben auf die Höhe der Rentenversicherungspflichtgrenze, und die Beitragsbemessungsgrenze für die Rentenversicherung liegt zur Zeit bei 4.400 Euro.

    Japs: Es gibt ja auch Überlegungen des Koalitionspartners, die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben.

    Schmidt: Ja, aber das ist nicht meine Auffassung, und die SPD sagt ja auch: Wir wollen das nicht. Sehen Sie mal: Wer heute in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versichert ist, der zahlt im Schnitt rund 550 Euro an Beitrag im Monat. Und in der gesetzlichen Krankenversicherung ist es anders als in der Rentenversicherung: Egal, wieviel ich einzahle – ich habe immer den gleichen Anspruch auf Leistungen. Bei der Rente steigen ja meine Alterseinkünfte auch mit einer höheren Beitragsbemessungsgrenze. Und insofern – glaube ich –: Wenn die gesetzliche Krankenversicherung wirklich konkurrenzfähig sein soll zur privaten und auch konkurrenzfähig sein soll vielleicht für diejenigen, die jung sind, gut verdienen und sich ausrechnen können, dass es besser ist, in der gesetzlichen zu bleiben, weil sie im Alter sonst sehr viel bezahlen bei ihren Alterseinkünften an privat – dann muss ich auch ein vernünftiges Beitragsverhältnis haben. Und ich finde, das reicht. 550 Euro ist viel Geld. Und die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben, würde nur dazu führen, dass alle, die es können, aus der gesetzlichen Krankenversicherung verschwinden, weil irgendwann es natürlich dann auch nicht rechnet, auch für Kinder eigene Beiträge zu zahlen, oder wenn man keine Kinder hat, zu sagen, man kann auch zwei Privatpersonen versichern, Ehepaare usw. Deswegen ist das kein Weg. Versicherungspflichtgrenze – ja, aber Beitragsbemessungsgrenze – nein.

    Japs: Einen großen Batzen bei den Gesundheitskosten machen die Arzneimittel aus; sie sind im ersten Quartal dieses Jahres wieder um vier Prozent gestiegen. Wie wollen Sie diese Ausgaben in den Griff bekommen?

    Schmidt: Also, erst einmal bin ich froh, dass sie nur um vier Prozent gestiegen sind, weil . . .

    Japs: . . . das ist auch eine Steigerung . . .

    Schmidt: . . . es ist eine Steigerung – aber mit abfallender Tendenz zunächst einmal. Man muss das beobachten. Wir hatten nur davor praktisch fünf Vierteljahre teilweise Steigerungen im zweistelligen Bereich, zumindest immer im oberen einstelligen Bereich. Und die Gesetze, die wir auf den Weg gebracht haben, nämlich die Umorganisierung der Budgetierung - hin zu Richtgrößen für die einzelnen Ärzte - und auch das Arzneimittel-Sparpaket, können erst im Laufe dieses Jahres wirken. Die Verträge sind gemacht worden, und wir hatten im März schon in einer Reihe von kassenärztlichen Vereinigungen Minusausgaben. Also, das sind wirklich sinkende Ausgaben im Arzneimittelsektor; im März war es nur eine Steigerung von 0,3 Prozent. Wir müssen das beobachten. Ab 1.7. ist eigentlich erst die volle Anwendung der Aud-idem-Regelung möglich; der Bundesausschuss hat noch nicht die Bewertung der sogenannten 'Scheininnovationen' fertiggestellt, und all das wird ja dann zusätzliche Einsparmaßnahmen bringen. Und wir werden das beobachten, und ich halte es für eine wichtige Frage, dass wir hier wirklich zu sinkenden Ausgaben kommen.

    Japs: Wann endlich sollen Vertrieb und Preisbindung für Arzneien liberalisiert werden?

    Schmidt: Wir werden diese ganze Frage - auch der Arzneimittel-Preisbindung, der Frage der Apotheken-Vertriebsordnung und anderes - in der Reform 2003 mit angehen. Auf der einen Seite müssen wir gucken, wie können wir zum Beispiel die Zuschläge auf Arzneimittel für die Apotheken anders gestalten - also die Verdienstspanne, die Preisspannenverordnung - , dass man sagt: 'Können wir hier zu anderen Systemen kommen, die eben mehr berücksichtigt auch die Abgabe kostengünstigerer Arzneimittel im Hinblick auf teure Arzneimittel'? Und wir werden uns auch über die Grundlagen eines Versandhandels beraten müssen und auch dort Schritte eingehen müssen, denn Europa wird den Versandhandel mit Arzneimitteln bringen. Da wird man keine Mauer ziehen können.

    Japs: Aber die Apotheker laufen Sturm gegen Ihr Vorhaben, Apotheken ins Internet zu stellen.

    Schmidt: Ja, aber ich sage immer: Die Apotheker wären eigentlich gut beraten, wenn sie das mit umsetzten, was am runden Tisch auch vorgeschlagen wurde – übrigens von allen, die im Gesundheitswesen beteiligt sind, weil wir gesagt haben: Wenn die Gerichte und die Europäische Kommission mit Sicherheit irgendwann den Arzneimittelversand wegen des Binnenmarktes in Europa zulassen wird – der ist nämlich in anderen Ländern auch zugelassen –, dann kommt es darauf an, dass wir unsere Bedingungen daran knüpfen. Und wir haben gesagt, wir wollen das hohe Niveau an Arzneimittelsicherheit, das wir in Deutschland haben, wir wollen den Verbraucherschutz, auch mit Beratung in deutscher Sprache – auch gebunden an Apotheken oder an die Apothekerschaft, und wir wollen faire Wettbewerbsbedingungen in den Preisen zwischen den einzelnen europäischen Ländern auf den Weg bringen und davon abhängig machen, ob zum Beispiel Kassen Arzneimittel ersetzen dürfen, die in Versandhandelsapotheken gekauft oder bestellt werden. Und insofern wollen wir gestalten, und im Grunde genommen ist das, was der runde Tisch auf den Weg gebracht hat, das Beste, was der Apothekerschaft in Deutschland passieren kann. Wenn alle nichts tun, führt das zu unfairen Wettbewerbsbedingungen und damit zu Nachteilen für die Apotheken.

    Japs: Davon müssen Sie die Apotheker aber noch überzeugen.

    Schmidt: Ja, das ist schwierig. Manchmal glauben ja vielleicht Menschen, man könne, indem man einfach den Kopf in den Sand steckt, davor weglaufen – als würde es nie irgendwo eine Entscheidung geben für den Versandhandel. Ich sage immer: Das muss der Verbraucher selber entscheiden, ob er oder sie im Internet oder per Telefon bestellt oder ob er in die Präsenzapotheke geht. Und diese Freiheit wird man auch den Deutschen auf Dauer nicht verweigern können.

    Japs: Frau Schmidt, Sie haben eben vom 'Kopf in den Sand stecken' gesprochen. Viele Bürgerinnen und Bürger fürchten, dass sich die Privatisierung, wie wir sie bei der Rentenreform erlebt haben, auch im Gesundheitswesen wiederholen könnte. Ist diese Sorge völlig unbegründet?

    Schmidt: Nein, die Sorge ist nicht unbegründet. Ich kann nur sagen: Wir machen es nicht. Aber andere wollen das, und insofern ist auch die Sorge begründet. Es muss jeder sich entscheiden, was er denn eigentlich will. Und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist eigentlich die einzige, die ganz klar sagt: Wir wollen keinen Weg in die Zwei-Klassen-Medizin. Wir wollen, dass auch in Zukunft das, was medizinisch notwendig ist, was wissenschaftlich anerkannt ist, jedem, ohne Ansehen seiner Person und seines Einkommens, zur Verfügung gestellt wird. Und das betrifft die Bekämpfung von Krankheit, die Vorbeugung von Krankheiten, Bekämpfung von Schmerzen oder auch nur ein Stück Lebensqualität – manchmal noch in den letzten Monaten oder Wochen des Lebens. Und wir werden dafür sorgen, dass dies so in diesem System finanzierbar bleibt wie es heute ist und in der Solidarität. Eine Privatisierung lehnen wir ab, weil – auf Gesundheit kann ich nicht ansparen und auch nicht auf Krankheit. Ich kann für mein Alter vorsorgen, das ist in etwa berechenbar, wenn ich sage: Ich zahle 20 Jahre oder 25 – dann kann ich in etwa absehen, was ich später bekomme. Aber sehen Sie mal: Ich kann heute eine private Zusatzversicherung – wenn ich anspare aufs Alter. Dann kann ich aber schon krank sein. Wenn ich eine Vorerkrankung habe, nimmt mich keine private Versicherung mehr. Und deshalb kann alles das, was wirklich die Absicherung von Lebensrisiken betrifft, nur eine Solidargemeinschaft leisten, also die Kassen, die in Deutschland gezwungen sind, jeden aufzunehmen, egal, welche Vorerkrankung vorliegt. Und andere, wie die CDU - oder die FDP will ganz privatisieren, die sagt: Das macht der Markt. Wo das hinführt, sehen wir in den USA. Und die Union sagt: Wir wollen, dass die Menschen mehr Wahlfreiheit haben! Auch das hört sich schön an, ist aber letztlich eine Privatisierung des Krankheitsrisikos, weil nur junge Gesunde sich die Wahlfreiheit leisten können. Wer krank ist und wer älter ist und befürchten muss, krank zu werden, wer zum Beispiel zwei oder drei Kinder hat, der hat die Wahlfreiheit nicht, weil ein verantwortungsbewusster Familienvater oder eine Familienmutter immer damit rechnen muss, dass sein Kind auch krank werden kann und dass man einen umfassenden Gesundheitsschutz braucht. Und insofern geht es in der Frage 'Gesundheit' wirklich um eine Richtungsentscheidung am 22. September.

    Japs: Ja, und wie sieht es denn aus mit der Patienten-Selbstbeteiligung. Was spricht gegen eine Selbstbeteiligung von Patienten – etwa an Behandlungskosten?

    Schmidt: Aber das machen die Leute doch heute . . .

    Japs: . . . minimal . . . Schmidt: . . . nein, nicht minimal. Wenn Sie mal gucken, wenn Sie eine Familie sind und zwei Kinder haben, die sind älter als 18 und in der Ausbildung, und es bricht eine Grippe aus in der Familie, dann sind Sie da mal ganz schnell 100 Mark los, also 50 Euro heutzutage, weil man sagt: Bagatell-Arzneimittel bezahlt keine Kasse. Wenn ich Arzneimittel bekomme, dann gibt’s Zuzahlungen. Wenn ich ins Krankenhaus gehe, zahlen die Menschen zu. Wenn ich zur Massage gehe, zahlen die Menschen zu. Wenn ich eine Kur mache, zahlen die Menschen zu. Und es ist eine völlige Fehldebatte, so zu tun, als würden die, die krank sind und die Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen, heute nicht zuzahlen. Und ich bin da eigentlich auch der Auffassung: Es ist schwierig, und wenn man da mehr reingeht, dann sage ich immer: Es trifft nur kranke Menschen, weil - ein gesunder zahlt seinen Beitrag und muss nicht zuzahlen. Er hat das Glück, gesund zu sein – oder sie. Und das ist ja nichts, was man selber beeinflussen kann, sondern man hat Glück und man hat was dafür getan. Insofern glaube ich, dass das eine falsche Debatte ist. Wir sollten mehr darüber nachdenken, wo wir Anreize setzen können, dass Menschen mehr als bisher in die Gesundheitsvorsorge investieren und wirklich zumindest die Vorsorgeleistungen der Krankenkasse in Anspruch nehmen, aber auch etwas für sich tun in bezug auf Ernährung, Bewegung, Reduzierung des Alkoholgebrauchs und auch des Tabakkonsums, um zu sagen: Wir können ein bisschen mehr selber mit dafür tun, dass die Gesundheit auch in Zukunft bezahlbar bleibt.

    Japs: Sie haben die Vorsorge angesprochen. Ist die nicht sträflich vernachlässigt worden in Deutschland – nur vier Prozent der Gesundheitsausgaben werden in die Prävention gegeben?

    Schmidt: Es ist sträflich vernachlässigt, weil wir im Grunde genommen über Jahre hinweg verzichtet haben auf wirklich nationale Präventionsstrategien und auf Präventionskampagnen. Es gab mal so etwas für die Eltern – Sie erinnern sich vielleicht daran – mit der 'Trim-Dich-Kampagne' – als wir jünger waren. Das durchzog ja auch das ganze Land und setzte ja schon daran an, dass man sich mehr bewegen muss. Wir haben ja erst mal wieder 1998 – auch mit der Gesundheitsreform – die Prävention überhaupt zu einer Kassenleistung gemacht. Wenn Sie sich erinnern, hatte ja die CDU/CSU-Regierung unter Seehofer nicht nur die Zuzahlungen der Patienten sich von 1 ½ Milliarden auf über 5 Milliarden Mark erhöht, sondern gleichzeitig wurde die Vorsorge abgeschafft und die Präventionsleistungen als Kassenleistungen. Und das ist nun wirklich kurzsichtig. Und alles, was so zerschlagen wird, ist immer schwierig, wieder aufzubauen. Das muss man einfach feststellen. Aber es reicht nicht. Das, was die Kassen machen alleine, das kann nicht reichen, sondern wir haben ja jetzt entschieden: Wir wollen ein deutsches Forum für Prävention und Gesundheitsvorsorge, und wir sind dabei, dies aufzubauen. Mein Ziel ist . . .

    Japs: . . . welche Aufgaben wird dieses Forum haben? . . .

    Schmidt: . . . mein Ziel ist, dass wir das vielleicht in eine Stiftung überführen, damit wir auch Finanzen akquirieren können für diese Sachen, und da können sich Betriebe und alle dran beteiligen. Das Forum hat die Aufgabe, wirklich mal zu bündeln: Was gibt es in Deutschland? Und wenn wir zum Beispiel ein nationales Programm ausrufen – 'Bekämpfung von Herz-Kreislauf-Krankheiten', das kann man sehr gut machen und das war erfolgreich in anderen Ländern – dann hätte dieses Forum die Aufgabe, mal zu bündeln: Wer macht was wo? Was machen die Sportvereine, was können wir dort anbieten? Was geht in Kindergärten, in Schulen? Wie können wir uns an ältere Menschen wenden, wie können wir Selbsthilfegruppen unterstützen? – und, und, und. Wir sagen dann: Wir bündeln alles, und wir machen wirklich konzentriert ein Programm für ein Jahr lang, um zu sagen: Leute, tut was für Euch, versucht Euch besser zu ernähren, Euch mehr zu bewegen, macht vor Ort wirklich Präventionsräte, die in der Stadt auch die gesunde Stadt leben. Und da – glaube ich – kommt eine ganze Menge mehr raus. Feststellen lässt sich, wenn man mit anderen Ländern vergleicht: Alles, was so punktuell geschieht – da kann man auch schöne Werbung machen, das erreicht nicht immer die Menschen zielgenau, sondern nur, wenn man sagt: Jetzt ein ganzes Land – ähnlich wie der Darmkrebsmonat März. Da hat es – glaube ich – niemanden gegeben, wenn er nicht gerade auf einer einsamen Insel lebt und weder Radio noch Telefon noch Zeitungen hatte oder Fernsehen, der nicht irgendwo mit diesem Problem konfrontiert worden ist. Und wenn man sich jetzt vorstellt, dass man das ein ganzes Jahr lang macht und man geht wirklich noch in die Schule, in die Pflegeheime, in die Altenheime usw. und dann sagt: 'Hier, lasst uns was machen', und alle nehmen das auf, dann glaube ich, kann man die Menschen begeistern und dann werden viel mehr etwas für sich tun.

    Japs: Im Argen liegt vor allem die Behandlung chronisch kranker Menschen hier in Deutschland. Als Grund hierfür gilt die Abschottung des ambulanten und des stationären Bereichs. Wie kann diese Abschottung aufgebrochen werden?

    Schmidt: Also, erst mal bin ich ja froh, dass wir jetzt diese Programme zur Behandlung chronisch Kranker auf den Weg bringen. Und abgestimmt ist jetzt schon das Programm für Diabetes, und zwar die Diabetes – Typ 2 und was früher so bekannt war als Altersdiabetes. Und heute stellen wir aber fest, dass immer auch schon mehr jüngere – 40-jährige oder 30-jährige – daran leiden, deshalb ist das Wort 'Altersdiabetes' etwas verfehlt. Aber es bedeutet, dass man durch eigenes Zutun und durch die eigene Lebensweise diese Krankheit mit hervorgerufen hat. Und wir haben jetzt ein abgeschlossenes Programm, das auf den Weg kommen wird. Und wir haben Briefe – weltweit, auch von Fachgesellschaften aus anderen Ländern, die sagen: 'Was jetzt dort in Deutschland erarbeitet wurde, ist weltweit Spitze, ist weltweit Spitzenklasse'. Und jetzt werden wir das akkreditieren und ab Juli können die Kassen anfangen damit zu arbeiten – dass man Menschen gewinnt, die sich einschreiben, dass Verträge geschlossen werden usw., so dass wir hier zu einer guten Versorgung kommen.

    Japs: Bloß – die Kassenärzte wollen hierfür von den Kassen zusätzliche Mittel in Milliardenhöhe. Wer soll das bezahlen?

    Schmidt: Das wird erst einmal so nicht gehen, sondern man muss erst einmal gucken, wer bekommt die Verträge. Ich sage nur: Generell möchte ich, dass wir die Verträge anders gestalten und auch die Vergütung der Ärzte anders gestalten, als das heute der Fall ist. Wir wollen neben den Verträgen für alle Ärzte eben auch besondere Verträge schließen. Da muss man auch besonderes Geld in die Hand nehmen. Ein Arzt oder eine Ärztin, die eben auch Diabetiker dann in diesen Programmen behandeln, das muss sich auch in der Vergütung niederschlagen. Aber das kann man auch machen, wenn wir heute folgendes Problem haben: Da alles gleichverteilt ist, hat heute schon ein Hausarzt oder eine Hausärztin, die 200 oder 300 Diabetiker in der Praxis haben, haben die schon viel schlechtere Bedingungen als der Arzt im Nachbarort, wo gar keine Diabetiker und Diabetikerinnen sind. Und deshalb glaube ich: Wir müssen zu mehr Gerechtigkeit auch in der Vergütung kommen, und wir wollen praktisch die ambulante Vergütung ähnlich umorganisieren, wie wir es im Krankenhaus machen - bei den Fachärzten und Fachärztinnen die Beschreibung medizinischer Leistungen und dafür Pauschalen, bei den Hauärzten und Hausärztinnen muss man im Grunde genommen nach krankheitsorientierten Kopfpauschalen gehen. Und Sonderverträge, die die Kassen dann abschließen können, nachdem man sich auch über Qualitätsstandards geeinigt hat, die werden dann eben auch sondervergütet. Das wollen wir mit der nächsten Reform eben alles auf den Weg bringen 2003, und bis dahin wird man auch Übergangslösungen schaffen müssen in den Verträgen, die die Kassen mit den Ärzten und Ärztinnen abschließen. Da wird es Sondervergütungen geben müssen, weil es eben auch ein erhöhter Verwaltungsaufwand ist und andere Dinge mehr. Aber da sind die Kassen auch zu bereit.