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Schmidt: Der Irak braucht eine "Koalition der Vernunft"

Engels: Am Telefon begrüße ich nun Christian Schmidt, den verteidigungspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Guten Morgen Herr Schmidt.

    Schmidt: Guten Morgen!

    Engels: US-Präsident Bush will Kurs halten. Wir haben es gerade im Beitrag gehört. Aber stehen de facto die USA nicht vor den Trümmern ihrer Irak-Politik?

    Schmidt: Also da stehen sie nicht. Sie stehen allerdings vor einer Situation, in der es sehr notwendig ist, aus der Koalition der Willigen eine gesamte Koalition der Vernunft zu machen. Ich will nicht sagen, dass das unvernünftig war, aber dass es nicht ausreichend ist, das sieht man. Ich kann das nur unter dem Wort, das ja bereits auch anderweitig gebraucht worden ist, der Rückkehr des Politischen formulieren. Das heißt es muss den Amerikanern nun auch deutlich sein, dass ein Konzept für die weitere Entwicklung im Irak auch ein Konzept für die Entwicklung in der Region sein muss und dass man dazu die Nachbarn und Verbündeten braucht.

    Engels: Bevor wir nach vorn schauen, blicken wir einmal nach hinten. Wie bewerten Sie heute rückblickend den Irak-Krieg, der ja von großen Teilen der Union zumindest toleriert wurde?

    Schmidt: Toleriert worden, wenn Sie das Wort so gebrauchen wollen, ist er von sehr vielen und mich wundert in der gegenwärtigen Diskussion ein Stück der Kurzatmigkeit, wer sich noch erinnert in welcher Situation Saddam Hussein den im Bericht vorhin erwähnten ersten bzw. zweiten Golf-Krieg damals geführt hat, welche Massenvernichtungswaffen er hatte, dann ist es schon ein Thema gewesen, Saddam Hussein aus dem Amt zu bringen und vor allem das Terrorregime, das er im eigenen Lande geführt hat. Allerdings ist das Thema, das wir damals auch diskutiert haben, nämlich Solidarität heißt nicht absolute Unterstützung jeder einzelnen Operation der USA, sondern heißt eine glaubwürdige vernünftige Position, um auch Einfluss zu gewinnen - übrigens das, was von einigen in Europa ja auch versucht worden ist -, dass dies leider nicht zu dem Ziel geführt hat. Ein Stück Verantwortung für das, was passiert ist, haben alle, auch die Europäer, die sich einem Dialog dort verweigert haben. Also ich will sagen: Das sind Fragen, die man wirklich nach vorne blickend prüfen muss - die Situation ist da - und dass man Krieg wenn immer möglich vermeiden muss. Dass dies unser aller Aufgabe ist, das ist allerdings sehr deutlich geworden.

    Engels: Ihr Parteifreund der CDU, Innenminister Schönbohm aus Brandenburg, sagt sehr deutlich, dass der Irak-Krieg ein Fehler war. Muss sich die Union für ihren Kurs damals den Vorwurf machen lassen, auch Fehler gemacht zu haben?

    Schmidt: Mit Verlaub die Union war am Irak-Krieg nicht beteiligt, um das noch mal auf diese Ebene zu bringen. Mich wundert, dass wir hier eigentlich nur eine Pro- und Anti-USA-Diskussion haben.

    Engels: Na, aber damals hat doch auch Frau Merkel sich deutlich vom Kanzler abgegrenzt?

    Schmidt: Ja. Der Kanzler hat da einen falschen Schritt getan. Das war unsere Reaktion. Der Kanzler hat sich in einer überhaupt nicht außenpolitisch und sicherheitspolitisch vernünftigen Art und Weise in dieser Frage verhalten. Bei dem, was an Beteiligung oder Unterstützung diskutiert wurde, da war Regierung und Opposition faktisch nicht auseinander. Mir ist nicht bekannt, dass die Bundeswehr nicht auf Anordnung der Bundesregierung Soldaten zum Schutz amerikanischer Einrichtungen in Deutschland gemacht hätte. Sie hat das getan. Auch das wäre der Beitrag gewesen. Überflugrechte wurden akzeptiert.
    Wir diskutieren hier eigentlich ein Thema, das viel weiter geht. Das will ich sagen. Es geht wirklich um die Frage, ist die transatlantische Struktur in der Lage, auch in solchen schwierigen Situationen für sich selbst strategische Relevanz zu behalten. Das hat sie nicht getan und das ist das, was uns eigentlich Sorgen machen muss, denn es ist ja nun nicht so, dass wir nach dem Motto der heidenschen Abschiedssymphonie nun alle aus dem Irak gehen und der letzte das Licht ausmacht und dann ist nichts passiert. Die Entwicklung zeigt doch, dass die Region nach wie vor Stabilitätsprobleme hat.
    Sie hatten angesprochen, dass der amerikanische Präsident nun den Anschlag in Saudi-Arabien in Bezug gesetzt hat. Ich halte das für richtig. Für mich ist deswegen die Frage was ist zu tun, um die Stabilisierung der anliegenden arabischen Staaten sicherzustellen.

    Engels: Herr Schmidt, Sie wollen nach vorn blicken. Dann tun wir das. Italien hat angekündigt, auf jeden Fall im Land zu bleiben. Polen dagegen schließt einen Abzug nicht aus. Was würde denn ein Abzug dieser großen Kontingente politisch für die Glaubwürdigkeit der Truppen und auch von US-Präsident Bush bedeuten?

    Schmidt: Das lässt sich im einzelnen nicht überprüfen, wie die Entwicklung jetzt im Hinblick auf die gesamte Besatzungsstruktur ist. Ich denke es liegt jetzt vor allem in amerikanischer Hand, durch eine gezielte Politik der Übergabe der Verantwortung an irakische Strukturen unter zur Hilfenahme, unter Unterstützung und auch unter Anleitung der Vereinten Nationen wieder so viel Vertrauen auch bei der Koalition der Willigen zu gewinnen, um einen geordneten Übergang des Status Quo in eine Perspektive für eine eigene Stabilisierung des Irak zu bringen. Ich sehe, dass das noch weit entfernt ist, lange dauert, dass das übrigens nicht nur Militär erfordert, sondern auch viele andere Hilfe. Da ist es richtig, dass wir uns bei der anderen Hilfe einordnen. Aber das, was uns Deutschen als Begriff zugeordnet wird, "Gesamtkonzept", das muss jetzt nun kommen. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, das eben auch das politische Umfeld und die Zielsetzungen etwas stärker definiert, als das bisher der Fall ist.
    Dann empfehle ich auch, dass man sich verabschiedet von der Vorstellung, man könne durch solche Interventionen Demokratie sozusagen aus dem Stand erzeugen. Das wird nicht der Fall sein. Mir reicht schon aus, wenn es gelingt, bei den Vernünftigen, bei den Gemäßigten, wie man so schön sagt, die gegen solche Selbstmordterroristen sind - und ich glaube, dass das nach wie vor die breite Mehrheit nicht nur der normalen, nicht politisch verbundenen Bevölkerung, sondern auch der politischen Eliten im Irak ist, gerade nach den Erfahrungen von Saddam Hussein -, dies nutzt und versucht, aus diesem Kapital heraus eine gemeinsame Zukunft für den Irak zu entwickeln. Die ist nämlich in Gefahr.

    Engels: Sie fordern ein Gesamtkonzept, aber am 30. Juni wollen die US-Kräfte bereits die Souveränität übergeben. Ist es da nicht etwas spät, sich jetzt Gedanken über ein Gesamtkonzept zu machen, oder heißt dies nicht, das US-Konzept ist wirklich versagend auf der ganzen Linie?

    Schmidt: Na ja, ich bin da mit Klugheiten und mit Schlauheiten sehr zurückhaltend was die Frage angeht, was jetzt getan werden muss und was getan werden soll. Wir sollten auch davon Abstand nehmen zu meinen, die obersten Schiedsrichter der Weltgeschichte zu sein. Es geht ganz konkret darum, dass die Europäer auch ein Stabilitätsinteresse haben und dass sie deswegen nicht, wie Herr Prodi das in eigenartiger Weise in Italien gefeiert hat, nun solch eine Politik betreiben können, sondern es ist jetzt notwendig, dass die Europäer eine gemeinsame Position entwickeln. Das Gesamtkonzept ist nicht nur eine Idee, die die Amerikaner liefern können. Da sind wie gesagt die Europäer auch gerne dazu eingeladen das zu tun, wenn sie ein eigenes Interesse haben, und ich meine sie haben das.
    Der 30. Juni musste als Datum bleiben, schon allein deswegen, damit nicht die Terroristen sich nachrechnen lassen können und vorrechnen können, dass sie eigentlich einen unmittelbaren Einfluss auf die weitere Entwicklung auch der politischen Gestaltung genommen haben. Es ist noch Zeit bis zum 30. Juni, zumindest eine Perspektive zu entwickeln. In Afghanistan ist uns sehr viel mehr gelungen und deswegen sehe ich überhaupt nicht, wieso das nicht im Irak auch möglich sein sollte. Es bedarf allerdings auch - und das lassen Sie mich sagen - der Beteiligung der arabischen Länder, soweit diese hierzu bereit sind. Darauf muss dazu noch Augenmerk gelegt werden. Wenn die drei zusammen versuchen, ein Gesamtkonzept zu entwickeln, und die Vereinten Nationen das dann präsentieren - mit den drei meine ich die Araber, die Europäer und die Amerikaner -, dann glaube ich schon, dass dies auch vernünftige zeitliche Perspektiven sind.

    Engels: Christian Schmidt, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Schmidt: Gerne.