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Schminke in der Eiszeit

Archäologie. - Der Neandertaler gilt als der Prototyp des tumben Wilden. Doch das ist offenbar ein zu Unrecht bestehendes Vorurteil. Funde in Südspanien zeigen jetzt, dass unsere Vettern unabhängig von uns modernen Menschen Sinn für Schminke und Schmuck entwickelten.

Von Michael Stang | 11.01.2010
    In gleich zwei Höhlen in der spanischen Provinz Murcia auf der iberischen Halbinsel stieß Joao Zilhao auf die Hinterlassenschaften von Neandertalern. Wo der Paläoanthropologe der Universität Bristol bei solchen Ausgrabungen bislang nur Reste von Werkzeugen, Waffen oder Nahrung unserer ausgestorbenen Vettern fand, entdeckte er nun 45.000 bis 50.000 Jahre alte Muscheln. Diese waren zum Teil aufwendig mit Farben verziert oder dienten einfach als Farbtöpfchen.

    "Das Wichtige an den Funden ist, dass sie eindeutig Neandertalern zugeordnet werden können. Die eine Muschel hat vermutlich als eine Art Anrührbecher für rotes Pigment mit schwarzen reflektierenden Teilchen gedient. Das allein ist ein viel zu komplizierter Prozess der Kosmetikherstellung, als dass so etwas zufällig passiert sein könnte. Da mussten verschiedene Zutaten passend zusammengerührt werden, damit man eine einheitliche Paste hatte, die für Bodypainting oder zum Schminken geeignet war."

    Das Bild eines geschminkten Neandertalers sei vielleicht noch etwas gewöhnungsbedürftig, aber definitiv nicht mehr von der Hand zu weisen, so Joao Zilhao. Erste Analysen der benutzten Farbzutaten zeigen, dass diese aus verschiedenen Gebieten in Spanien stammen. Vermutlich wurden sie geplant gesammelt und dann in der Höhle verarbeitet. Hinsichtlich ihrer Eitelkeit stünden die Neandertaler heutigen Menschen in nichts nach.

    "Die Neandertaler haben diesen Körperschmuck vermutlich aus dem gleichen Grund wie heutige Menschen benutzt: als Zeichen persönlicher Identifikation. Damit kann man das Geschlecht, das Alter, die kulturelle Zugehörigkeit zeigen, Body Painting also als eine Art persönliche Visitenkarte. Natürlich könnte man das auch als eine Art Tarnfarbe interpretieren, wie es das Militär benutzt, aber dann würde man nicht Rot nehmen. Solche Farben benutzt man nur, um gesehen zu werden und um zu zeigen, wer man ist."

    Diese Erkenntnisse bestärken Joao Zilhao in seiner Überzeugung, dass Neandertaler vor knapp 30.000 Jahren nicht ausgestorben sein können, weil sie intellektuell unfähig waren. Zudem kann er ein weiteres altes Vorurteil aus der Welt schaffen. Werkzeuggebrauch von Neandertalern etwa wurde von einigen Experten bislang als eine Art Nachahmen ohne das Verstehen um die Bedeutung einer Handlung, interpretiert. Damit sei es nun endgültig vorbei.

    "Wenn etwas nicht existiert, kann man es auch nicht imitieren. Unsere Vorfahren haben zu dieser Zeit weder in Afrika noch im Nahen Osten solche Muscheln oder Farben für Körperschmuck benutzt. Sie sind diesen Neandertalern auch nie begegnet, das passierte auf der iberischen Halbinsel erst 10.000 Jahre später. Das bedeutet: entweder gab es einen kulturellen Austausch zwischen anatomisch modernen Menschen und Neandertalern, der bislang nicht bekannt ist, was aber nahezu unwahrscheinlich ist, oder diese Form der Kosmetikherstellung war tatsächlich eine eigene Erfindung der Neandertaler."

    Damit verblasst 154 Jahre nach der Entdeckung des ersten Neandertalerfossils das Bild vom tumben Urmenschen deutlich, der ausgestorben ist, weil er unseren Vorfahren in allen Belangen unterlegen war. Die Entdeckungen der vergangenen Jahre zeigen zunehmend eine Menschenform, die erfolgreich Europa erobert hatte, den Eiszeiten trotzte, Waffen herstellte, Großwildjagden organisierte, ihre Toten bestattete und ihre Körper zu besonderen Anlässen verzierte. Dennoch ist sie ausgestorben. Aktuelle Forschungen gehen nun davon aus, dass die Neandertalerpopulationen sehr gering waren und plötzliche Katastrophen wie Hungersnöte, Seuchen oder Kälteeinbrüche zu einem raschen Verschwinden unseres Vetters geführt haben.