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Schmoldt verlangt Änderungen an Arbeitsmarktreformen

Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie, Hubertus Schmoldt, hat die Bundesregierung zu weitreichenden Korrekturen in der Sozialpolitik aufgefordert. Schmoldt sagte, notwendig sei etwa die längere Auszahlung des Arbeitslosengeldes I. Zudem müsse die Grenze für das sogenannte Schonvermögen, das bei Hartz-IV-Empfängern nicht angetastet werden dürfe, heraufgesetzt werden. Auch bei der Rente mit 67 seien Änderungen sinnvoll.

Moderation: Gerhard Schröder |
    Gerhard Schröder: Herr Schmoldt, das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokratie ist gestört, man könnte sagen zerrüttet. Die SPD will nun hier korrigieren, will das Arbeitslosengeld I verlängern. Reicht das, um das Verhältnis wieder ins Lot zu bringen?

    Schmoldt: Nun, es geht zunächst darum, dass Gewerkschaften und SPD bestimmte eigene Positionen vertreten müssen. Wir haben traditionell mit der SPD die gemeinsamen Wurzeln. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die SPD eine Volkspartei ist und sehen muss, dass ihre Politik Mehrheiten findet. Und wir haben die Aufgabe, der SPD dabei zu helfen, dass ihre Politik sozial gerecht ist, von den Menschen so empfunden wird und dann auch Zustimmung findet.

    Schröder: Dem neuen IG-Metallchef Berthold Huber und auch vielen anderen Gewerkschaftern reicht das aber nicht, die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I. Sie fordern weitere Korrekturen. Wo sehen Sie noch Änderungsbedarf?

    Schmoldt: Ja, wir haben ja im Zusammenhang mit der Agenda einige Punkte von Anfang an benannt, die wir nicht akzeptieren. Dazu gehörte das Thema Arbeitslosengeld, also Hartz IV, dazu gehörte das Thema Rente mit 67 und dazu gehörte auch das nach wie vor nicht geregelte Problem, wie wir Löhne verhindern, die Menschen akzeptieren müssen, wo keine Tarifverträge gelten. Diese Themen wollen und müssen wir mit der derzeitigen Regierung und auch mit der SPD bereden.

    Schröder: Konkret Hartz IV: Was wollen Sie geändert haben?

    Schmoldt: Na, da geht es um das Thema Regelsätze, und reichen die noch aus, um ein menschenwürdiges Leben zu akzeptieren? Wir verkennen natürlich nicht, dass mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe insbesondere den Sozialhilfeempfängern geholfen wurde. Auf der anderen Seite hat es für viele Arbeitslosenhilfsempfänger deutliche Einschnitte gegeben, und da müssen Korrekturen möglich sein, und ich hoffe auch bald.

    Schröder: Konkret also: Die Regelsätze müssen angehoben werden?

    Schmoldt: Die Regelsätze sollten angehoben werden, darüber muss man mit der Politik reden. Ich denke, jede Zahl, die man jetzt nennt, wird dann verbrannt sein - also klugerweise darüber reden und ein vernünftiges Ergebnis dann erzielen.

    Schröder: Sehen Sie denn auf Seiten der SPD die Bereitschaft, hier was zu machen?

    Schmoldt: Ich glaube, die SPD hat eine schwere Aufgabe mit der Agenda 2010 übernommen, also Reformen in Deutschland überhaupt auf den Weg zu bringen. Das waren ja nicht nur die im sozialpolitischen Bereich, die anderen über 20 werden ja sehr häufig in der Diskussion vergessen.

    Und nun geht es darum, nach einer gewissen Zeit der Erfahrung, darüber auch zu reden und ganz offen zu reden: Was hat sich bewährt, was ist der Zielsetzung gerecht geworden, was hat leider sein Ziel eben nicht erreichen können? Beispielsweise sehr deutlich geworden ist, dass die Verkürzung des Arbeitslosengeldbezuges nicht automatisch Platz für die betroffenen Arbeitsplätze bietet.

    Schröder: Franz Müntefering aber sagt, Hartz IV wirkt, die Arbeitslosigkeit sinkt, und zwar stärker als erwartet. Finden Sie das auch?

    Schmoldt: Das ist natürlich richtig, Gott sei Dank. Die Konjunktur springt an, die Arbeitslosenzahlen gehen zurück. Da haben dann auch ältere Arbeitslose wieder eine Chance. Aber wir wissen sehr genau, auch aus der Dauer, wie lange bezieht jemand in welcher Altersgruppe Arbeitslosengeld, dass die Älteren länger Arbeitslosengeld auch heute schon beziehen, auch in der Vergangenheit bezogen haben. Und das heißt ganz eindeutig: Wenn die Konjunktur wieder ein bisschen zurückgeht, sind es die Älteren wieder, die zunächst von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Und deshalb muss man hier die Bezugsdauer verlängern.

    Schröder: Ist es denn gerecht, nur das Arbeitslosengeld für Ältere zu verlängern? Ein Familienvater mit 40, der hat vielleicht noch viel größere Einschnitte zu ertragen, wenn er langzeitarbeitslos wird und dann auf die Grundsicherung zurückfällt.

    Schmoldt: An irgend etwas muss man ja die Bezugsdauer festmachen, und da eben die Erfahrung leider zeigt, dass Ältere größere Probleme in der erneuten Vermittlung haben, muss man es am Lebensalter festmachen, wobei ich nicht verkenne, dass es durchaus einzelne Schicksale auch von Jüngeren geben kann. Aber bei grundsätzlichen Regelungen gibt es halt auch diese Härtefälle.

    Schröder: Der Staat sagt den Bürgern: Ihr müsst vorsorgen, Ihr müsst sparen fürs Alter. Und wer dann etwa mit 50 arbeitslos wird und keinen neuen Job mehr findet, der verliert fast alles. Ist das gerecht, ist das auch logisch?

    Schmoldt: Dabei geht es ja um das sogenannte "Schonvermögen" in diesem Zusammenhang. Man darf den Betroffenen, die nun schon ihren Job losgeworden sind, auch nicht das, was sie in der Vergangenheit ersparen konnten, wegnehmen. Auch das gehört zu dem Themenbereich, den wir zunächst mit der SPD bereden müssen und dann auch in die Koalition einzubringen haben.

    Schröder: Aber da tut sich doch nichts.

    Schmoldt: Doch, es gibt ja im Zusammenhang mit dem IG-Metall-Kongress die ganz konkrete Forderung des DGB-Vorsitzenden, darüber in den nächsten Wochen zu reden.

    Schröder: Aber es tut sich nichts auf Seiten der Großen Koalition, auf Seiten der SPD, auf Seiten der Union.

    Schmoldt: Na ja, bisher hat ja auch in der Frage "Arbeitslosengeldbezug", in der Frage "Mindestlohn", zum Thema "Leiharbeit" sich wenig zu Beginn getan. Dann hat es ja wiederholt die Forderungen der Gewerkschaften gegeben, und dann ist die Politik auf diese Forderungen eingegangen. Ich gehe einmal davon aus, dass das auch bei diesem Thema der Fall sein wird.

    Schröder: Sie sind da also durchaus optimistisch, dass da was zu bewegen ist?

    Schmoldt: Ja, das bin ich, weil inzwischen die Politik begriffen hat, dass das Empfinden der Menschen einer ungerechten Behandlung sich auch im Wahlverhalten niederschlägt. Und ich glaube, da trifft man die Politiker an ihrer wundesten Stelle.

    Schröder: Jeder Job ist zumutbar, heißt es nach Hartz IV. Müssen diese Zumutbarkeitsregeln geändert werden, müssen die gelockert werden?

    Schmoldt: Das war ja auch ein Punkt, den wir von Anfang an versucht haben zu verhindern, was uns nicht gelungen ist. Man darf nicht Menschen jede Art von Tätigkeit zumuten, sie muss in einem bestimmten Verhältnis zu ihrer Qualifikation und zu ihren bisherigen Tätigkeiten stehen. Das wird aber ein Abwägungsprozess sein, aber überhaupt keine Kriterien da zu finden, halte ich nach wie vor für falsch.

    Schröder: Ein anderer Streitpunkt: Rente mit 67. Auch der stößt in den Gewerkschaften auf grundlegende Ablehnung. Viele Gewerkschaften fordern: Es muss einen flexiblen Ausstieg aus dem Berufsleben geben. Wie kann das funktionieren?

    Schmoldt: Ja, wir schlagen ja vor, dass man nicht an einer starren Altersgrenze sich orientiert, sondern wir würden empfehlen, dass wir über einen Korridor des Ausstiegs reden, der reicht vom 60. Lebensjahr bis zum 67. Lebensjahr. Und je nach Anforderungen und natürlich auch gesundheitlichen Belastungen muss es den Beschäftigten möglich sein, auch vor dem 67. Lebensjahr, vor dem 65. Lebensjahr auszusteigen, wobei für uns das 65. Lebensjahr der Bezugsrahmen für die Berechnung des Altersruhegeldes ist. Wir müssen eine Nachfolgeregelung für das Thema "Altersteilzeit" nach dem Jahre 2009 finden. Auch das wird zu bereden sein.

    Schröder: Halten wir fest: Hartz IV, Rente mit 67 - die Wunschliste der Gewerkschaften, was zu ändern ist, ist ziemlich lang. Bislang haben wir auf der Gegenseite die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I, und das sorgt in den Gewerkschaften nach wie vor für großen Unmut. Sie mit Ihrer relativ moderaten Haltung stehen da bislang relativ allein. Sehen Sie, dass sich das ändert, dass Sie da größere Unterstützung aus anderen Gewerkschaften bekommen?

    Schmoldt: Dass wir alleine stehen, glaube ich nicht. Ich habe mir aufmerksam die Rede von Berthold Huber durchgelesen, der in diesen Punkten genau wie wir Klärungsbedarf anmeldet, der auch sagt, es darf nicht nur ein plattes Rentenalter mit 67 geben, der über Mindestlöhne, das heißt branchenbezogene Lösung redet, wie wir es schon immer gefordert haben, der auch zum Thema "Leiharbeit" eine Regelung will, die sowohl das europäische Prinzip von gleicher Bezahlung für gleiche Arbeit durchsetzt, allerdings den Zeitpunkt abhängig machen will von entsprechenden tarifvertraglichen Regelungen. Also ich denke, dass wir im DGB dort, wenn auch mit Nuancen hier und dort, gemeinsame Positionen haben und die auch gegenüber der Politik vertreten.

    Schröder: Das heißt, mit Berthold Huber an der Spitze der IG Metall bessert sich das Verhältnis zwischen SPD und Gewerkschaften. Sie haben einen neuen Bündnisgenossen?

    Schmoldt: Das würde ich so nicht sehen. Berthold Huber hat zu Recht gesagt, Gewerkschaften sind nicht Transmissionsriemen irgendeiner Partei, obwohl es natürlich traditionelle Wurzeln zur SPD gibt. Aber das ist kein Automatismus. Hier geht es um konkrete Sachfragen und jeweils Regelungen zu einzelnen Punkten.

    Schröder: Das heißt, so schnell wird der Bruch zwischen SPD und Gewerkschaften nicht zu kitten sein?

    Schmoldt: Ob es denn ein Bruch ist, das wage ich zu bezweifeln. Man muss halt die unterschiedlichen Rollen und Aufgaben einer Gewerkschaft und einer Partei zunächst sehen, auch bewerten, und daraus muss man dann für seine - für unsere - gewerkschaftlichen Positionen eine Handlungsstrategie entwickeln, die es uns ermöglicht, bei der SPD möglichst viele gemeinsame Punkte zu finden, die sich dann im Regierungshandeln auch niederschlagen.

    Schröder: Im Januar finden die ersten Landtagswahlen statt, dann geht es Schlag auf Schlag bis zur nächsten Bundestagswahl. Was erwarten Sie noch von der großen Koalition im nächsten Jahr bis zu den Bundestagswahlen? Passiert da noch viel?

    Schmoldt: Nun, das kann ich ja nur hoffen. Es wäre ja traurig, wenn nun in gut zwei Jahren, die wir noch vor uns haben, wir keine konkrete Regierungstätigkeit erleben. Dass die Versuchung der Parteien, sich jetzt auf Wahlkämpfe zu konzentrieren, groß ist, ist so. Da müssen halt die Bürger und nicht nur die Gewerkschaften darauf achten, dass das am Ende dann nicht zum Stillstand führt.

    Schröder: Konkret: Was muss die große Koalition noch in dieser Legislaturperiode anpacken?

    Schmoldt: Na, all die Punkte, die ich bisher genannt habe. Das sind die Forderungen, die wir als Gewerkschaften haben. Ich habe das Thema "Bildung" als ein weiteres Thema benannt. Wir müssen die Frage der unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeit in den einzelnen Ländern uns angucken.

    Es kann nicht sein, dass mit Dumpinglöhnen aus anderen Regionen der Welt hier nach Deutschland Waren geliefert werden, die dann hier zu Arbeitsplatzverlusten führen. Hier geht es um einen fairen Welthandel. Dann müssen wir uns mit den ja schwierigen Erscheinungen an den internationalen Finanzmärkten befassen, auch da muss es Regelwerke geben. Das Wort von den Heuschrecken von Franz Müntefering ist ja sehr berechtigt, hat ja auch leider wiederholt seine Bestätigung erfahren - obwohl es auch andere Finanzinvestoren gibt, auch in unseren Bereichen, mit denen wir gute Erfahrungen gesammelt haben, die die Unternehmen auch nach vorne gebracht haben.

    Schröder: Konkret noch einmal nachgefragt: Sie rechnen damit, dass sich bei der Hartz-IV-Agenda 2010 in dieser Legislaturperiode noch mehr tut, als nur die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I?

    Schmoldt: Davon gehe ich aus, wenn die Politik nicht weiter mit dem Vorwurf leben will, die soziale Gerechtigkeit nicht entsprechend in ihrem Handeln zu berücksichtigen.

    Schröder: Sie haben es angesprochen: Immer mehr Menschen können von dem, was sie an Arbeitseinkommen erzielen, nicht mehr leben. Da gibt es nun zwei Strategien. Die SPD sagt und die Gewerkschaften: Wir brauchen Mindestlöhne. Die Union sagt: Wir brauchen einen Kombilohn. Was ist Ihre Antwort?

    Schmoldt: Wir brauchen beides. Wir brauchen Mindestlöhne in den Bereichen, wo Tarifverträge nicht entsprechend vorhanden sind oder die Gewerkschaften in bestimmten Situationen so schwach waren, keine entsprechend vernünftigen Tarifverträge durchzusetzen. Dazu gibt es ja unterschiedliche Instrumente. Und wir brauchen eine Antwort in Form von Kombilöhnen, die den Menschen helfen, die einfache Tätigkeiten nachfragen, die in Deutschland nicht angeboten werden.

    Schröder: Es gibt eine ganz einfache Möglichkeit: Den Mindestlohn so hoch ansetzen, dass er zum Überleben reicht. Was spricht dagegen?

    Schmoldt: Dagegen spricht gar nichts. Ich will nur keinen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn. Wir haben in Deutschland eine gute Erfahrung mit der Tarifautonomie und wir unterscheiden uns von allen anderen europäischen und internationalen Ländern. Es gibt kein vergleichbares Land mit einer solchen Struktur von Tarifautonomie, Flächentarifverträgen. Und deshalb kann man nicht - und da ist auch dieser Verweis auf über 20 europäische Länder, die Mindestlohn haben, nur halb wahr - wir brauchen eine Lösung, die für unser System passt. Und das heißt, in den Bereichen muss jeweils ein für den Bereich passender Mindestlohn gefunden werden

    Schröder: Die Wirtschaft jammert derzeit ganz vehement über Fachkräftemangel. Angeblich hat sich das sogar schon zu einer echten Wachstumsbremse entwickelt. Ist das ein hausgemachtes Problem? Hat die Wirtschaft in den vergangenen Jahren zu wenig getan?

    Schmoldt: Das ist leider so. Das rächt sich jetzt. Und deshalb ist auch in dieser Frage der Staat gefordert, den Unternehmen deutlich zu machen, dass Ausbildung auch am Ende eine Investition in die eigene unternehmerische Zukunft ist. Jetzt wird diskutiert über entsprechenden Zuzug von ausländischen Arbeitskräften. Ich glaube, dass man dieses Thema regeln kann. Es darf aber nicht die Unternehmen dann aus ihrer eigenen Verantwortung entlassen. Also erst einmal geht es darum, die Menschen, die wir hier im Lande haben, in Beschäftigung zu bringen, auch mit entsprechender zusätzlicher Qualifizierung. Und dann muss man auch über Möglichkeiten des Zuzugs von ausländischen Arbeitnehmern reden.

    Schröder: IG-Metallchef Berthold Huber sagt, der Ausbildungspakt ist gescheitert. Stimmen Sie zu?

    Schmoldt: Das ist so. Die Wirtschaft hat ihre Zusage, jedem, der einen Ausbildungsplatz sucht, einen anzubieten, nicht erfüllt. Natürlich sind die Zahlen gestiegen. Aber das große Problem, dass immer mehr junge Leute nicht im dualen Ausbildungssystem eine berufliche Entwicklung nehmen können, ist gestiegen. Und das ist ein schwieriger Punkt, wenn man an die Qualifikation und auch an die Chancen der jungen Menschen hinterher nach dieser Ausbildung denkt.

    Schröder: Wenn der Ausbildungspakt gescheitert ist, kommt also dann demnächst die Ausbildungsplatzumlage?

    Schmoldt: Nein, wenn ich Berthold Huber richtig gelesen habe, hat er nicht von einer Ausbildungsplatzumlage geredet, sondern von einer Verpflichtung, die die Regierung auf den Weg bringen soll, die die Unternehmer dann verpflichtet, auch entsprechende Ausbildungsplätze anzubieten.

    Schröder: Wenn der Ausbildungspakt scheitert, also die freiwillige Verpflichtung nicht ausreicht, dann müssen Strafzahlungen her, dann müssen Sanktionen her. Ist es dafür nicht Zeit?

    Schmoldt: Also, so eine Vereinbarung kenne ich nicht. Ich kenne nur die Forderung nach einer Ausbildungsplatzumlage, die der Deutsche Gewerkschaftsbund erhoben hat. Allerdings, wir haben uns dieser Forderung nicht angeschlossen, weil wir ja mit anderen Umlagen - ich denke nur an die Schwerbehinderten - entsprechende Erfahrung sammeln konnten.

    Wenn man eine Umlage macht, dann werden die Unternehmen bereit sein, die entsprechende Umlage zu zahlen, und die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze wird weiter zurückgehen. Das kann ernsthaft keiner wollen. Was wir brauchen und was ja unser großer Vorteil in den vergangenen Jahrzehnten war, war die duale Ausbildung, die Kombination von betrieblicher und schulischer Ausbildung. Die müssen wir erhalten, und da müssen wir entsprechende Instrumente dafür haben.

    Schröder: Sie haben das Thema Leiharbeit schon angesprochen. Die rot-grüne Koalition hatte damals die Regeln gelockert, um mehr Flexibilität zu schaffen auf dem Arbeitsmarkt. Das hat auch gut funktioniert. Die Leiharbeit boomt jetzt. Jetzt sagen viele, wir müssen diese Schleusen wieder schließen. Und das heißt ganz konkret Gesetzesänderungen. Fordern Sie das auch?

    Schmoldt: Ja. Wir fordern eine gesetzliche Initiative, die dem europäischen Grundsatz entspricht für gleiche Arbeit gleiche Bezahlung. Nur wollen wir dann die konkrete Ausgestaltung, ab welchem Zeitpunkt ein Leiharbeitnehmer die gleiche Bezahlung bekommt, in den Tarifverträgen regeln, denn je nach Tätigkeit gibt es unterschiedlich lange Vorlaufzeiten. Und die würden wir in den Tarifverträgen dann im Einzelnen positionieren.

    Schröder: Warum nicht im Gesetz eine Begrenzung auf sechs Monate, wie es das mal gab?

    Schmoldt: Ja, weil sie dann das Problem, das wir damals schon hatten, wieder bekommen werden, dass man nach sechs Monaten die Menschen wieder entlässt und dann neue einstellt. Damit haben wir ja nichts erreicht. Wir wollen ja die Leiharbeit zur Brücke in den ersten Arbeitsmarkt machen. Deshalb muss man diesen schnellen Wechsel verhindern und man muss eine Lösung finden. Und wir sehen in der Möglichkeit gleicher Bezahlung nach entsprechender Einarbeitungszeit, und das per Tarifvertrag geregelt, eine Chance, mehr Menschen hier die Brücke und damit auch den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu öffnen.

    Schröder: Herr Schmoldt, die Gewerkschaften verlieren seit Jahren Mitglieder. Das Tarifsystem erodiert. Der Flächentarif wird immer stärker durchlöchert. Wie kann der Machtverlust der Gewerkschaften gestoppt werden?

    Schmoldt: Also, zunächst einmal erodiert das Tarifsystem nicht in allen Branchen. Wir können nach wir vor in all unseren Branchen auf eine hohe Tarifbindung verweisen. Wir haben darüber hinaus innovative Tarifverträge abgeschlossen. Auch das ist eine Frage natürlich der Organisationsstärke in der jeweiligen Branche. Aber wir haben Entwicklungen, die den Tarifvertrag angreifen, sowohl nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten - im Osten haben wir eine nicht so ausgeprägte Tarifbindung. Und dies wollen wir verändern.

    Und da gibt es ja diese Instrumente, über die wir geredet haben, also das Thema der Mindestlöhne, der Kombilöhne, das Thema Leih- und Zeitarbeit entsprechend zu korrigieren. Und wir müssen als Gewerkschaften die Situation, in der wir uns ja im Moment Gott sei Dank befinden, dass die Akzeptanz von Gewerkschaften oder auch Tarifverträgen gegenüber einige Jahre zurück deutlich gewachsen ist, die nutzen, um dann auch eine größere Mitgliederzahl für uns zu gewinnen und dann auch mehr Druck ausüben zu können.

    Schröder: Was machen sie falsch? Seit Jahren heißt es, die Gewerkschaften wollen neue Zielgruppen erschließen, sie wollen mehr Frauen organisieren, sie wollen bei den Hochqualifizierten, bei den Akademikern, bei den Technikern, bei den Ingenieuren mehr Mitglieder gewinnen. Aber das passiert nicht.

    Schmoldt: Zunächst einmal sind uns die Mitglieder ja nicht weg gelaufen. Aber wenn wir eine wirtschaftliche Situation haben, in der die Unternehmen allesamt entlassen, verlieren wir damit auch Mitglieder.

    Schröder: Aber zurzeit entstehen ja wieder neue Arbeitsplätze, und die Gewerkschaften verlieren immer noch Mitglieder.

    Schmoldt: Nein, wir verlieren keine Mitglieder. Wir sind erstmals wieder in der Situation, wo wir nahezu genau so viele neue Mitglieder aufnehmen können wie wir Mitglieder verlieren. Das ist ein ganz normaler Fluktuationsprozess. Leider sterben auch unsere Mitglieder oder wandern in andere Bereiche ab.

    Und deshalb sage ich ja, die derzeitige Situation ist für uns eine große Chance, nicht nur mehr Mitglieder zu gewinnen und damit unsere Position wieder zu verstärken, sondern wir müssen auch Wege finden, wie wir an die Menschen herankommen, die wir bisher nicht gewinnen konnten. Das sind die von Ihnen genannten Höherqualifizierten. Was die Frauen angeht sind wir dort ausgesprochen erfolgreich. Wir können inzwischen mehr Frauen organisieren, als das in der Vergangenheit der Fall war, und insbesondere jüngere Frauen.

    Schröder: Einzelne Berufsgruppen ziehen da aber ganz andere Schlüsse raus. Die sagen nämlich, alleine können wir viel mehr herausholen. Die Piloten haben es vorgemacht. Die Ärzte haben es nachgemacht. Jetzt sehen wir das Beispiel der Lokführer. Ist das eine Gefahr für die großen Gewerkschaften?

    Schmoldt: Das ist keine Gefahr für die großen Gewerkschaften, das ist eine Gefahr für unser System von Einheitsgewerkschaften und Flächentarifvertrag. Ich denke mit Grausen daran. Wenn diese Entwicklung nicht umzukehren ist, dann landen wir da, wo die Engländer vor zehn Jahren waren, zersplitterte Gewerkschaften in den Unternehmen.

    Gewerkschaften, die gegeneinander unterschiedliche Positionen vertreten. Das wäre das Ende des Erfolgsmodells soziale Marktwirtschaft mit Einheitsgewerkschaften und Flächentarifverträgen. Natürlich müssen in den Flächentarifverträgen die unterschiedlichen Berufsgruppen mit ihren spezifischen Belastungen, Anforderungen und auch Qualifikationen berücksichtigt werden. Das kann man aber in einem Tarifvertrag tun, das kann man auch ganz konkret im Bereich der Lokführer bei der Bahn tun. Man muss es nur wollen.

    Schröder: Kann man den Lokführern gleichwohl ihr Anliegen untersagen? Die wollen nun weiter in den Streik gehen, möglicherweise das gesamte Land lahm legen. Dürfen sie das?

    Schmoldt: Streik ist nun einmal das letzte Mittel einer Gewerkschaft, um Druck auszuüben. Der ist nicht ohne Schaden dann durchzuführen. Insoweit müssen wir aufpassen, dass in dieser Auseinandersetzung, in der es eigentlich um mehr geht als um die Durchsetzung konkreter Lokführerinteressen, das Streikrecht nicht beeinträchtigt wird. Und das andere Thema, nämlich eine Bezahlung der Lokführer wie sie glauben, wie sie für ihren Beruf sinnvoll ist, die muss man im bestehenden Tarifvertrag lösen. Und ich glaube auch, dass man - wie in allen anderen Tarifverträgen bewiesen - dieses lösen kann.

    Dass es Einzelinteressen gibt, die gibt es auch in unseren Branchen, aber wir haben unsere Stärke in den Tarifverträgen durch diese Solidarität eines gemeinsamen Tarifvertrages mit unterschiedlichen Elementen. Und ich kann nur davor warnen, dass dies sich auflöst. Dann sind wir in der Tat da, wo die Engländer mal waren.

    Schröder: Wer will denn das Streikrecht in Frage stellen?

    Schmoldt: Es wird ja gefordert, dass man wegen des wirtschaftlichen Schadens jetzt hier eine Abwägung vornimmt, was darf bestreikt werden, wie lange darf gestreikt werden. Das wird auf den geschossenen Widerstand aller Gewerkschaften im DGB führen, weil das Streikrecht für uns das einzige Mittel ist, am Ende Druck auszuüben, wenn die Verhandlungen nicht zu entsprechenden Ergebnissen kommen.

    Schröder: Herr Schmoldt, ein Reizthema in diesen Tagen sind die Strom- und Gaspreise. Sie sitzen nun selbst im Aufsichtsrat des Energiekonzerns EON. Sind die Preiserhöhungen gerechtfertigt?

    Schmoldt: Also, wenn die Energieunternehmen mit der entsprechenden Transparenz beweisen können, dass diese geforderten Preiserhöhungen notwendig sind, dann wird die Öffentlichkeit sie akzeptieren. Dieser Beweis steht derzeit noch aus. Insoweit ist die Forderung richtig, dass die Grundlagen für diese Forderung offen gelegt werden. Und dann haben wir das Bundeskartellamt, das sich mit dieser Frage befasst und auch sehr kritisch dann die einzelnen Elemente zu überprüfen hat.

    Schröder: Sie sitzen ja nun nah dran, sind bei EON im Aufsichtsrat. Sie sind aber auch im Aufsichtsrat von großen Unternehmen, die Energieverbraucher sind, zum Beispiel BAYER und Dow Chemical. In dieser Position müssten Sie die Preiserhöhungen doch empören?

    Schmoldt: Ich sage ja nicht, dass ich die Preiserhöhungen gut finde. Ich bin für Offenheit und Transparenz. Und wenn ein Unternehmen wegen Kostensteigerungen entsprechend höhere Preise verlangt, dann muss es das auch belegen können. Ich habe ein bisschen die Sorge, dass die Energiewirtschaft, die ja im Moment öffentlich zum Teil selbstverschuldet in einer schwierigen Situation steht, zuweilen nicht das notwendige Fingerspitzengefühl hat, ihre - ich hoffe - berechtigten Forderungen der Öffentlichkeit deutlich zu machen. Es ist allerdings nicht so, dass in einem Aufsichtsrat die Preispolitik eines Unternehmens beredet wird.

    Schröder: Hessens Wirtschaftsminister Rhiel will scharf gegen die Energiekonzerne vorgehen. Da ist sogar von Zerschlagung die Rede. Wäre das der richtige Weg?

    Schmoldt: Das ist mit Sicherheit nicht der richtige Weg. Ich wundere mich ein bisschen, wie ein Christdemokrat, der eigentlich für die soziale Marktwirtschaft ist, hier Unternehmen zerschlagen will. Es wäre gut, wenn Herr Rhiel die Kompetenzen des Bundeskartellamtes und der Bundesnetzagentur stärken würde. Das sind ja die beiden Einrichtungen, die verhindern sollen, dass insbesondere die vier großen Energieunternehmen ihre Oligopolstellung ausnutzen, und zwar zu Lasten der Verbraucher, egal ob Privatverbraucher oder Industrielle.

    Schröder: Aber ist nicht offensichtlich, dass wir hier ein Wettbewerbsproblem haben, wenn vier Unternehmen 80 Prozent des Marktes abdecken? Wie kann dieses Problem gelöst werden, wie kommen wir zu mehr Wettbewerb?

    Schmoldt: Sage ich ja grade, wenn das Bundeskartellamt entsprechende Möglichkeiten und Rechte kriegt und auch die Bundesnetzagentur, die ja durchaus schon ein paar Elemente auf den Weg gebracht hat. Nun wird man in einem halben Jahr vermutlich etwas besser beurteilen können, ob diese Instrumente ausreichen, dann den notwendigen Wettbewerb, die Offenheit und damit auch die Zugangschancen für neue Wettbewerber zu ermöglichen.