Das unscheinbare Nest Campione soll nur 200 Einwohner haben. Mehr passen nicht auf dem schmalen Uferstreifen hier zwischen den Felsen und dem See. Campione ist eine Topadresse für wilde Surfer. Und wir hören den Wellenschlag des Sees, sehen die pop-bunten Segel der Bügelbrett-Artisten, die von einem sogenannten Kaminwind getrieben über das Wasser fetzen. Und nur zur Vervollständigung, der gleiche Kaminwind bläst 1786 auch gegen das Segelboot, mit dem 36-jährigen Herrn Goethe, bläst ihn fast hierher an die Gestade von Campione.
Der Gardasee ist hier nur dreieinhalb Kilometer breit. Schräg gegenüber, auf der Veroneser Seite, liegt Malchesine mit seiner markanten, sprichwörtlich "malerischen" Burgruine. Diese Burg zeichnet Goethe, wird deshalb von den aufgebrachten Fischern, im Zweitberuf ehrbare Schmuggler, fast festgenommen. Ihr Verdacht, dieser fremdländische, zudem noch Minister "Inkognito", sei ein Habsburger Spion. Diese Angelegenheit löst sich schließlich friedlich auf. Goethe darf - rehabilitiert - weiterreisen und verhilft schließlich damit Malchesine mit des Dichters abenteuerlichen Reisenotizen zu einer unbezahlbaren PR-Geschichte. Goethe nennt diesen Teil des Gardasees ein Fels-Amphitheater. Ob er das hoch droben versteckte Pilgerkirchlein der Madonna di Monte Castello, 700 Meter über dem See in schwindelnder Höhe mit den Augen ausgemacht hat? Kaum wahrscheinlich, er war sowieso kein Kirchenmann. Eine andere Bildbeschreibung von Campione kommt vom österreichischen Dichter Adalbert Stifter. Er veröffentlicht vor 160 Jahren eine Erzählung, Titel "Zwei Schwestern". Und Stifters Roman spielt hier, genau an jenen hellgrauen Kalkfelsen, die hier bei Campione senkrecht aus dem See steigen.
"Wir fuhren stets an den Gestaden. Bald war es ein großer, unermesslich scheinender Fels, den wir umschifften, und der wie ein Stück Alpe in das Fahrwasser des Sees geworfen schien. An seinem Körper spielten die grauen Lichter und die violetten Schatten. Der See warf sein Gitterspiel zauberhaft an die Fläche des Felsens."
Dieses Spiegelbild des Wassers an der Felswand mögen auch die frommen Wallfahrer aus dem Veroneser- oder gar aus dem Mailänder Raum zum Monte Castello sehen, wenn sie über den See Campione ansteuern. Denn bis vor 75 Jahren müssen alle, die von weit her zur Madonna hoch wollen, ausschließlich über das Wasser. Denn die umlaufende Uferstraße um den Garda-See, mit den vielen Tunneln, wird erst 1931 fertig.
Und während ich Ihnen das alles erzähle, stehen wir vor dem Felsen, der 700 Meter fast senkrecht hoch einen Weg auf den Monte Castello vorhalten soll. Aber wie? Schließlich finden wir den Einsteig in einer Klamm. Einstieg ist auch Aufstieg. Über in den Felsen geschlagene Stufen muss der Wanderer sich nun hoch quälen. Schnell geht einem die Luft aus. Der Anstieg geht rapide in die Oberschenkel, soll zweieinhalb Stunden dauern. Es trocknet einem die Spucke. Man denkt vielleicht an Häftlinge, die vor 600 oder mehr Jahren diese Route in den Stein schlagen mussten? Unser Pilgerweg ist oft nur einen halben Meter breit. Zwei falsche Schritte und man würde in den Abgrund stürzen. Hier und da ein Eisengitter zur Sicherheit. Und da kommen uns zwei Frauen, die Stiege abwärts, entgegen. Wohl schon auf dem Rückweg von der Madonna? Welche Erinnerungen haben sie im Rucksack?
"Einmal die schöne Landschaft, die Lage. Und dieser christliche, alte Kult-Ort."
Haben Sie sich irgendwie oben auch einen Segen in Form einer Kerze erhalten, oder ein Votivbildchen gesehen?
"Jesus segnet Maria: Das ist das Gemälde, was über dem Altar ist. Das werden Sie auch noch erleben. Es ist wunderschön still da oben."
Und wir stapfen weiter in diese Stille hoch. Die Stufenhöhe wächst auf 40 Zentimeter. Serpentine um Serpentine. Und immer wieder begegnen wir auch kleinen, frommen Marienbildchen, Fotos, abgebrannten Kerzen, auch Textfragmenten. Und man fragt sich dabei im Schweiße seines Angesichtes: Warum ist wohl der Madonna eine Wallfahrtskirche auf einer so exponierten Höhe geweiht worden? Mein und unser Begleiter Dr. Herfried Schlude, er wohnt hier in der Nähe und arbeitet auch literarisch:
"Man hört, dass wir etwas außer Atem sind. Die Marienverehrung hat unverhältnismäßig stark zugenommen ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im Zuge der Gegenreformation. Die Symbolfigur der ganzen Gegenreformation, das war die Immaculata, also die unbefleckte Maria."
Das passt hier auch ein bisschen rein. Die Reformation ist ja nie über den Brenner nach Italien rein gekommen.
"Ich würde vielleicht einen anderen Ausdruck wählen. Bollwerk, nicht, gegen den vom Norden anbrandenden Lutherismus, wie der damals genannt wurde."
Und auf der gegenüberliegenden Seeseite, da ist der schroffe 2200 Meter hohe Monte Baldo. Und er hat sich über Nacht eine weiße Schneepuderhaube aufgesetzt. Ein 5-Sterne-Blick auf den See, tief unter uns. Und der Dichter Johann Jakob Heinse kommt, drei Jahre früher als der große Goethe, an den Gardasee und notiert in seinem "Tagebuch einer italienischen Reise":
"Der See liegt da im Morgenduft und die Berge im dünnen Nebel. Ein leises Wehen kräuselt in der Mitte die Wellen und macht ihn lebendig und weckt seine Schönheit. Eine Barke wallt leicht mit voll geschwelltem Segel darüber hin. Die Häuschen allein am Ufer scheinen zu schlummern mit ihrer Unbeweglichkeit. Und die dünnen Wölkchen schweben still um den heiteren Raum des Äthers, worin Vögel entzückte Flüge zur Lust machen. Der See ist wirklich einer der schönsten, die ich je gesehen habe, so majestätisch und mit vielem Farbenspiel und Licht und Schatten erhebt sich das Gebirge."
Unser rapider Anstieg auf den Monte Castello verebnet sich nun. Ach, tut das gut! Wir treten nun auf eine Hocheben hinaus. Es ist die Almlandschaft von Tignale. Weit verstreut liegende Weiler, ein paar Kirchtürme, der Geruch von satten Heuwiesen, Obstbäumen: Diese Hochebene ist ein Naturpark. Tignale bietet ein sehr informatives Museum über die Geschichte und auch über die scheue Tierwelt, über die Fauna von hier oben, 500 Meter über dem See an. Uns stehen noch einmal 150 Höhenmeter Anstieg bevor. Der schmale Pilgerweg wird nun von einer breiten Prozessionsstraße unter Kastanienbäumen abgelöst. Er ist von Kreuzwegstationen und frommen Votivhäuschen gesäumt.
"Diese Stationen, diese Rosenkranzstationen dienen natürlich auch dazu, die Pilger, wenn sie hoch kamen, denen eine Atempause zu verschaffen. Die konnten dann hier oben stehen bleiben, das Bild anschauen, den Rosenkranz weiter beten und, wenn sie wieder zu Atem gekommen waren, die Wanderung fortsetzen. Hier unten sehen wir die zweitgrößte Gardaseeinsel, die sogenannte Isola tri Meloni, nach drei Melonen benannt."
Das waren auch Friedhofs- oder Beerdigungsinseln?
"Im Gegenteil. Was man heute sieht, das sind die Reste eines Pulverdepots aus österreichischen oder italienischen Zeiten."
Der Anstieg zu diesem Bollwerk ist kein Ausflug für Stöckelschuhe oder Badelatschen. Noch eine letzte Kehre und jetzt sind wir oben angekommen. Die Kirchenfassade aus hellem Kalkstein, draußen stehen Tische und Bänke, laden natürlich zu einer Pause ein. Und wir sprechen hier eine andere Wander- oder Pilgergruppe an.
"Die wunderschöne Landschaft, das Kulturgut, das ist es das, was uns freut. Und das tun wir, indem wir oftmals hier hochgehen, besonders hier zum Castello. Wir sind verhältnismäßig selten am Strand."
Machen Sie denn auch richtig einen Bußegang von ganz unten?
"Wir gehen eigentlich am liebsten durch die Wälder im Hinterland. Da gibt es einen sehr, sehr schönen Weg, der auch hier oberhalb des Sees entlang geht. Mit einem wunderschönen Ausblick."
So wie Sie sich anhören, könnte man natürlich auch sagen, dass Sie ein gläubiger Mensch sind.
"Das bringt mir eigentlich nahe, wie wunderschön die Welt ist, und dass jeder dazu beiträgt auf seine Art und Weise, dass es möglich lange uns erhalten bleibt. Und auch der Nachwelt."
Und auch, wenn man mit dem lieben Gott nicht immer per du ist.
"Jeder geht auf seine Weise mit dem lieben Gott um. Jeder sieht dann auch auf seine Art und Weise den Gardasee und die Landschaft."
Diese Landschaft sehen, überhaupt der Blick von hier oben! Und wir kommen hier zu Aussichtspunkten, wo einem, wie man so schön sagt, die Worte fehlen. Der Schriftsteller Friedrich Muckermann notiert vor 80 Jahren seinen Blick:
"Man muss schon vom Paradies sprechen, will man den Eindruck schildern, den das märchenhafte Blau des zu unseren Füßen sich dehnenden, spielglatten, manchmal leicht bewegten Gardasees in uns weckt. Dieses Blau hat nicht seinesgleichen auf der Welt. Es ist die Schönheit selber, eingefangen in den Zauber der Farben. Man schaut immerzu hin, während sich Bilder, die man im Leben entzückend fand, vom Untergrund der Seele heben. Bis schließlich alles Licht ist und Gesang, Wunder und Gnade, Madonna und Jungfräulichkeit, Dantes Paradiso."
Der Monte Castello ist seit alters her immer schon ein Kultplatz gewesen. Diese Kirche steht hier oben seit einer "Erscheinung", etwa 1283. Sie ist natürlich mehrfach umgebaut und erweitert worden. Sicher war ein mittelalterlicher Wallfahrtplatz - hier oben - auch immer schon ein Ort für Geschäfte, für Ablasshandel und Gegenreformation, auch mit "Event-Charakter". Und innen im Halbdunkel der Wallfahrtskirche wird das Gnadenbild über dem Altar angestrahlt. Wir sehen Jesus auf einer Himmelsbank sitzend. Vor ihm kniet seine Mutter in demütiger Haltung. Und Jesus setzt ihr eine funkelnde Krone auf.
"Um das Gnadenbild herum haben wir vier Darstellungen aus dem Marienleben: Die Verkündigung, Christi Geburt und dann oben die Anbetung der
Weisen aus dem Morgenlande, eine Szene, die nicht so bekannt ist, Marias Darstellung im Tempel. Der Künstler ist ein Künstler aus unserer Gegend, der aber aus der venezianischen Schule Palmas des Jüngeren stammt. Und wir kennen in der Tat alle Motive, die hier dargestellt sind von Palma dem Jüngeren. Dieses Bild 'Marias Darstellung' befand sich als Leinwandbild in der Gemäldegalerie von Dresden, bis es dann dem letzten Weltkrieg zum Opfer fiel."
Überhaupt, für den Analphabeten damals, der hier hochgeschlurft ist…
"Man muss sich vorstellen, diese Wallfahrt, die hatten doch eine tagelange Reise - zum Teil auch Fußmärsche - hinter sich. Und denen musste ja am Ende dieser Reise etwas geboten werden."
Am Ende dieser Reise steht uns der Abstieg 700 Meter abwärts wieder nach Campione bevor. Zeit, darüber nachzudenken, wie die Maler, auch die großen Namen der Renaissance, von einander abgekupfert haben: Ein fast gleiches Bild in der Gemäldegalerie in Dresden und hier auf dem Monte Castello.
Der Gardasee ist hier nur dreieinhalb Kilometer breit. Schräg gegenüber, auf der Veroneser Seite, liegt Malchesine mit seiner markanten, sprichwörtlich "malerischen" Burgruine. Diese Burg zeichnet Goethe, wird deshalb von den aufgebrachten Fischern, im Zweitberuf ehrbare Schmuggler, fast festgenommen. Ihr Verdacht, dieser fremdländische, zudem noch Minister "Inkognito", sei ein Habsburger Spion. Diese Angelegenheit löst sich schließlich friedlich auf. Goethe darf - rehabilitiert - weiterreisen und verhilft schließlich damit Malchesine mit des Dichters abenteuerlichen Reisenotizen zu einer unbezahlbaren PR-Geschichte. Goethe nennt diesen Teil des Gardasees ein Fels-Amphitheater. Ob er das hoch droben versteckte Pilgerkirchlein der Madonna di Monte Castello, 700 Meter über dem See in schwindelnder Höhe mit den Augen ausgemacht hat? Kaum wahrscheinlich, er war sowieso kein Kirchenmann. Eine andere Bildbeschreibung von Campione kommt vom österreichischen Dichter Adalbert Stifter. Er veröffentlicht vor 160 Jahren eine Erzählung, Titel "Zwei Schwestern". Und Stifters Roman spielt hier, genau an jenen hellgrauen Kalkfelsen, die hier bei Campione senkrecht aus dem See steigen.
"Wir fuhren stets an den Gestaden. Bald war es ein großer, unermesslich scheinender Fels, den wir umschifften, und der wie ein Stück Alpe in das Fahrwasser des Sees geworfen schien. An seinem Körper spielten die grauen Lichter und die violetten Schatten. Der See warf sein Gitterspiel zauberhaft an die Fläche des Felsens."
Dieses Spiegelbild des Wassers an der Felswand mögen auch die frommen Wallfahrer aus dem Veroneser- oder gar aus dem Mailänder Raum zum Monte Castello sehen, wenn sie über den See Campione ansteuern. Denn bis vor 75 Jahren müssen alle, die von weit her zur Madonna hoch wollen, ausschließlich über das Wasser. Denn die umlaufende Uferstraße um den Garda-See, mit den vielen Tunneln, wird erst 1931 fertig.
Und während ich Ihnen das alles erzähle, stehen wir vor dem Felsen, der 700 Meter fast senkrecht hoch einen Weg auf den Monte Castello vorhalten soll. Aber wie? Schließlich finden wir den Einsteig in einer Klamm. Einstieg ist auch Aufstieg. Über in den Felsen geschlagene Stufen muss der Wanderer sich nun hoch quälen. Schnell geht einem die Luft aus. Der Anstieg geht rapide in die Oberschenkel, soll zweieinhalb Stunden dauern. Es trocknet einem die Spucke. Man denkt vielleicht an Häftlinge, die vor 600 oder mehr Jahren diese Route in den Stein schlagen mussten? Unser Pilgerweg ist oft nur einen halben Meter breit. Zwei falsche Schritte und man würde in den Abgrund stürzen. Hier und da ein Eisengitter zur Sicherheit. Und da kommen uns zwei Frauen, die Stiege abwärts, entgegen. Wohl schon auf dem Rückweg von der Madonna? Welche Erinnerungen haben sie im Rucksack?
"Einmal die schöne Landschaft, die Lage. Und dieser christliche, alte Kult-Ort."
Haben Sie sich irgendwie oben auch einen Segen in Form einer Kerze erhalten, oder ein Votivbildchen gesehen?
"Jesus segnet Maria: Das ist das Gemälde, was über dem Altar ist. Das werden Sie auch noch erleben. Es ist wunderschön still da oben."
Und wir stapfen weiter in diese Stille hoch. Die Stufenhöhe wächst auf 40 Zentimeter. Serpentine um Serpentine. Und immer wieder begegnen wir auch kleinen, frommen Marienbildchen, Fotos, abgebrannten Kerzen, auch Textfragmenten. Und man fragt sich dabei im Schweiße seines Angesichtes: Warum ist wohl der Madonna eine Wallfahrtskirche auf einer so exponierten Höhe geweiht worden? Mein und unser Begleiter Dr. Herfried Schlude, er wohnt hier in der Nähe und arbeitet auch literarisch:
"Man hört, dass wir etwas außer Atem sind. Die Marienverehrung hat unverhältnismäßig stark zugenommen ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im Zuge der Gegenreformation. Die Symbolfigur der ganzen Gegenreformation, das war die Immaculata, also die unbefleckte Maria."
Das passt hier auch ein bisschen rein. Die Reformation ist ja nie über den Brenner nach Italien rein gekommen.
"Ich würde vielleicht einen anderen Ausdruck wählen. Bollwerk, nicht, gegen den vom Norden anbrandenden Lutherismus, wie der damals genannt wurde."
Und auf der gegenüberliegenden Seeseite, da ist der schroffe 2200 Meter hohe Monte Baldo. Und er hat sich über Nacht eine weiße Schneepuderhaube aufgesetzt. Ein 5-Sterne-Blick auf den See, tief unter uns. Und der Dichter Johann Jakob Heinse kommt, drei Jahre früher als der große Goethe, an den Gardasee und notiert in seinem "Tagebuch einer italienischen Reise":
"Der See liegt da im Morgenduft und die Berge im dünnen Nebel. Ein leises Wehen kräuselt in der Mitte die Wellen und macht ihn lebendig und weckt seine Schönheit. Eine Barke wallt leicht mit voll geschwelltem Segel darüber hin. Die Häuschen allein am Ufer scheinen zu schlummern mit ihrer Unbeweglichkeit. Und die dünnen Wölkchen schweben still um den heiteren Raum des Äthers, worin Vögel entzückte Flüge zur Lust machen. Der See ist wirklich einer der schönsten, die ich je gesehen habe, so majestätisch und mit vielem Farbenspiel und Licht und Schatten erhebt sich das Gebirge."
Unser rapider Anstieg auf den Monte Castello verebnet sich nun. Ach, tut das gut! Wir treten nun auf eine Hocheben hinaus. Es ist die Almlandschaft von Tignale. Weit verstreut liegende Weiler, ein paar Kirchtürme, der Geruch von satten Heuwiesen, Obstbäumen: Diese Hochebene ist ein Naturpark. Tignale bietet ein sehr informatives Museum über die Geschichte und auch über die scheue Tierwelt, über die Fauna von hier oben, 500 Meter über dem See an. Uns stehen noch einmal 150 Höhenmeter Anstieg bevor. Der schmale Pilgerweg wird nun von einer breiten Prozessionsstraße unter Kastanienbäumen abgelöst. Er ist von Kreuzwegstationen und frommen Votivhäuschen gesäumt.
"Diese Stationen, diese Rosenkranzstationen dienen natürlich auch dazu, die Pilger, wenn sie hoch kamen, denen eine Atempause zu verschaffen. Die konnten dann hier oben stehen bleiben, das Bild anschauen, den Rosenkranz weiter beten und, wenn sie wieder zu Atem gekommen waren, die Wanderung fortsetzen. Hier unten sehen wir die zweitgrößte Gardaseeinsel, die sogenannte Isola tri Meloni, nach drei Melonen benannt."
Das waren auch Friedhofs- oder Beerdigungsinseln?
"Im Gegenteil. Was man heute sieht, das sind die Reste eines Pulverdepots aus österreichischen oder italienischen Zeiten."
Der Anstieg zu diesem Bollwerk ist kein Ausflug für Stöckelschuhe oder Badelatschen. Noch eine letzte Kehre und jetzt sind wir oben angekommen. Die Kirchenfassade aus hellem Kalkstein, draußen stehen Tische und Bänke, laden natürlich zu einer Pause ein. Und wir sprechen hier eine andere Wander- oder Pilgergruppe an.
"Die wunderschöne Landschaft, das Kulturgut, das ist es das, was uns freut. Und das tun wir, indem wir oftmals hier hochgehen, besonders hier zum Castello. Wir sind verhältnismäßig selten am Strand."
Machen Sie denn auch richtig einen Bußegang von ganz unten?
"Wir gehen eigentlich am liebsten durch die Wälder im Hinterland. Da gibt es einen sehr, sehr schönen Weg, der auch hier oberhalb des Sees entlang geht. Mit einem wunderschönen Ausblick."
So wie Sie sich anhören, könnte man natürlich auch sagen, dass Sie ein gläubiger Mensch sind.
"Das bringt mir eigentlich nahe, wie wunderschön die Welt ist, und dass jeder dazu beiträgt auf seine Art und Weise, dass es möglich lange uns erhalten bleibt. Und auch der Nachwelt."
Und auch, wenn man mit dem lieben Gott nicht immer per du ist.
"Jeder geht auf seine Weise mit dem lieben Gott um. Jeder sieht dann auch auf seine Art und Weise den Gardasee und die Landschaft."
Diese Landschaft sehen, überhaupt der Blick von hier oben! Und wir kommen hier zu Aussichtspunkten, wo einem, wie man so schön sagt, die Worte fehlen. Der Schriftsteller Friedrich Muckermann notiert vor 80 Jahren seinen Blick:
"Man muss schon vom Paradies sprechen, will man den Eindruck schildern, den das märchenhafte Blau des zu unseren Füßen sich dehnenden, spielglatten, manchmal leicht bewegten Gardasees in uns weckt. Dieses Blau hat nicht seinesgleichen auf der Welt. Es ist die Schönheit selber, eingefangen in den Zauber der Farben. Man schaut immerzu hin, während sich Bilder, die man im Leben entzückend fand, vom Untergrund der Seele heben. Bis schließlich alles Licht ist und Gesang, Wunder und Gnade, Madonna und Jungfräulichkeit, Dantes Paradiso."
Der Monte Castello ist seit alters her immer schon ein Kultplatz gewesen. Diese Kirche steht hier oben seit einer "Erscheinung", etwa 1283. Sie ist natürlich mehrfach umgebaut und erweitert worden. Sicher war ein mittelalterlicher Wallfahrtplatz - hier oben - auch immer schon ein Ort für Geschäfte, für Ablasshandel und Gegenreformation, auch mit "Event-Charakter". Und innen im Halbdunkel der Wallfahrtskirche wird das Gnadenbild über dem Altar angestrahlt. Wir sehen Jesus auf einer Himmelsbank sitzend. Vor ihm kniet seine Mutter in demütiger Haltung. Und Jesus setzt ihr eine funkelnde Krone auf.
"Um das Gnadenbild herum haben wir vier Darstellungen aus dem Marienleben: Die Verkündigung, Christi Geburt und dann oben die Anbetung der
Weisen aus dem Morgenlande, eine Szene, die nicht so bekannt ist, Marias Darstellung im Tempel. Der Künstler ist ein Künstler aus unserer Gegend, der aber aus der venezianischen Schule Palmas des Jüngeren stammt. Und wir kennen in der Tat alle Motive, die hier dargestellt sind von Palma dem Jüngeren. Dieses Bild 'Marias Darstellung' befand sich als Leinwandbild in der Gemäldegalerie von Dresden, bis es dann dem letzten Weltkrieg zum Opfer fiel."
Überhaupt, für den Analphabeten damals, der hier hochgeschlurft ist…
"Man muss sich vorstellen, diese Wallfahrt, die hatten doch eine tagelange Reise - zum Teil auch Fußmärsche - hinter sich. Und denen musste ja am Ende dieser Reise etwas geboten werden."
Am Ende dieser Reise steht uns der Abstieg 700 Meter abwärts wieder nach Campione bevor. Zeit, darüber nachzudenken, wie die Maler, auch die großen Namen der Renaissance, von einander abgekupfert haben: Ein fast gleiches Bild in der Gemäldegalerie in Dresden und hier auf dem Monte Castello.