Donnerstag, 28. März 2024

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Schmutziger Gold-Abbau
Gift für die Haselnuss

Ein Gold-Fund an der türkischen Schwarzmeer-Küste bedroht die lokalen Haselnuss-Plantagen. Das Edelmetall wird mit Hilfe von hochgiftigem Zyanid ausgebeutet - erste Umweltschäden sind schon nachweisbar. Die Bauern der Region fürchten um ihre Existenz - und ihre Heimat.

Von Christian Buttkereit | 01.10.2018
    Das alte Bauernpaar sitzt unter einem laubenartigen Feigenbaum vor seinem Haus im traditionellen Schwarzmeerstil. Es ist ein kleines Paradies, in dem Selahattin und Döndü leben.
    Sein Vater habe es vor 70 Jahren gebaut, erzählt der 72-jährige Selahattin. Er habe immer hier gewohnt, in dem Dorf, das übersetzt nicht nur Grünes Dorf heißt, sondern auch so aussieht: Wo keine Haselnuss-Sträucher wachsen, sprießen Obst und Gemüse.
    Zumindest bis jetzt: "Wenn es nach denen geht, sieht es bei uns bald genauso aus wie dort. Aber das wollen wir nicht." Die - das ist ein britisch-türkisches Konsortium - das dort, wo Selahattin gerade steht, gerne Gold abbauen würde.
    Die Region steht für 70 Prozent der weltweiten Haselnuss-Ernte
    Dafür müssten nicht nur Selahattin und seine Frau Döndü verschwinden, sondern auch ihre vier Hektar große Haselnussplantage. Haselnüsse sind aber die Haupteinnahmequelle der Region. 70 Prozent der weltweiten Ernte kommen von hier. Das meisten kauft ein italienischer Lebensmittelkonzern für seine Nuss-Nougat-Creme auf.
    Dort - das ist Altintepe, was übersetzt nicht zufällig Goldhügel heißt. Haselnuss-Sträucher wachsen dort nicht mehr - und auch nichts anderes. Der Hügel ist kahl, eine Mondlandschaft, auf der Bagger und Lastwagen fahren. Seit fünf Jahren wird in Altintepe Gold gefördert. Verschwindend kleine Mengen: 1,5 Gramm pro Tonne Gestein.
    Zyanid verseucht das Trinkwasser
    Um das Gold aus dem Gestein zu lösen, wird hochgiftiges Zyanid eingesetzt - laut offiziellem Bericht 30 Tonnen pro Jahr. Seitdem kommt bei Selahattin und Döndü kein klares Wasser mehr aus der Leitung. Ihr Trinkwasser schleppen die betagten Bauern jetzt aus einigen hundert Metern Entfernung heran.
    Das Wasser mehrerer Quellen sei durch den Goldabbau ungenießbar geworden, sagt Alaaddin Yilmazlar und zitiert aus den staatlichen Untersuchungsberichten. "Zum Beispiel Aluminium. Der zulässige Wert liegt zwischen null und 200 Milligramm pro Liter. Gemessen wurden 1.723 Milligramm, also rund das Zehnfache. Außerdem ist das Wasser sehr sauer geworden. Der zulässige pH-Wert liegt zwischen 6,5 und 9,5 - festgestellt wurden 4,1."
    Schimmelpilz befällt die Pflanzen
    Der 42-jährige Ingenieur hat lange im Ausland gearbeitet und kümmert sich nun auf dem elterlichen Hof um die Haselnüsse. Alaaddin deutet auf ein Blatt mit einem weißlichen Belag. Die Pflanze ist von Pilzen befallen, die Haselnussschalen sind leer. Vor dem Goldabbau habe es das nicht gegeben.
    Haselnussblätter einer türkischen Plantage sind mit einem weißen Schimmelpilz befallen. 
    Nun soll auch noch ein neues Gebiet erschlossen werden. Direkt neben dem Grundstück von Selahattin und Döndü fressen sich Bohrer mehrere Hundert Meter tief in den Boden. Probebohrungen auf der Suche nach Gold.
    Es wird mehr gebohrt, als erlaubt
    Alaaddin diskutiert mit dem Vorarbeiter. Nicht nur die Maschine wird laut sondern auch die beiden Männer. Für sechs Probebohrungen liegt eine Genehmigung vor. In Wirklichkeit werde an 52 Stellen sondiert, sagt Alaaddin. Eigentlich dürfe so nah an den Siedlungen nicht nach Gold gesucht werden.
    Doch ein Umweltverträglichkeitsgutachten, das im Auftrag der zuständigen Behörde erstellt wurde, kommt zu dem Schluss, dass es hier weder Menschen noch Landwirtschaft gibt.
    Auf dem Papier gibt es hier kein Dorf - und keine Haselnüsse
    Alaaddin hat vor Gericht erstritten, Einblick in dieses Gutachten zu bekommen. Das Papier, sagt er, habe mit der Wirklichkeit nichts zu tun: "Nur ein Beispiel: Im Gutachten wird behauptet, die nächste Siedlung sei 13 Kilometer entfernt und es gebe hier weder Moscheen noch Schulen - Tatsächlich sind hier zwei Dörfer mit 200 beziehungsweise 300 Einwohnern und zwei Moscheen."
    Auch die Haselnussplantage von Bauer Selahattin existiert laut Umweltverträglichkeitsprüfung nicht. "Wir erwarten Schutz vom Staat - und nicht, dass er mit diesen Banditen gemeinsame Sache macht."
    Wir fragen bei der Behörde nach, wie es zu diesem Gutachten gekommen ist und warum es so viele Probebohrungen gibt. Bis jetzt warten wir vergeblich auf eine Antwort.
    "Wir würden unsere Vorfahren verfluchen"
    Alaaddin sieht seine juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft. Und Selahattin befürchtet, dass schon bald ein Vertreter der Minengesellschaft mit einem Koffer voller Geld auf seinem Hof steht. Sofern die Probebohrungen auf lohnende Goldvorkommen schließen lassen: "Sie werden uns mehr Geld bieten, als es wert ist, aber wir wollen nicht verkaufen. Wenn wir das Haus verkaufen, würden uns unsere Vorfahren verfluchen. Wir brauchen kein Geld, wir brauchen Gesundheit und den Segen unserer Ahnen."
    Schließlich hoffen Selahattin und Döndü, dass eines ihrer sechs Kinder die Haselnussplantagen übernimmt und dazu beitragen kann, die Nachfrage nach Nuss-Nougat Creme zu befriedigen.